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Situationistische Internationale

Guy Debord, geboren 1931 und 1995 gestorben, Autor, theoretischer Kopf der Situationistischen Internationale und politischer Aktivist des Mai 68, ist in vieler Munde. Vor mehr als zehn Jahren reihte der Pop-Historiker Greil Marcus die Situationisten und ihre unmittelbaren Vorläufer in eine geheime Geschichte subkultureller Praktiken ein, die er von Punk ausgehend historisch aufrollte. In den neunziger Jahren wurde "Die Gesellschaft des Spektakels", Debords bekanntestes, 1967 erschienenes Buch, zum Bezugpunkt von Medienaktivisten und Kommunikationsguerilleros, die die situationistische Taktik des détournement, der Entwendung und Umkodierung, auf alle Spielarten medialer Zeichenproduktion anwendeten.

Von Barbara Büscher | 26.07.2004
    Was aber weiß man hierzulande über das, was Guy Debord in den 50er Jahren gemacht oder nach 68 geschrieben hat?

    Antworten auf diese Fragen finden sich in dem jüngst erschienen, Debord gewidmeten Band von Vincent Kaufmann. Sein Untertitel "Die Revolution im Dienste der Poesie" markiert den roten Faden, an dem entlang Kaufmann die Geschichte und Geschichten Debords organisiert. Der Titel weist zugleich nachdrücklich darauf hin, dass es ein Leben nach dem politischen Aktivismus der 1960er Jahre gab. Und er behauptet, dass theoretische Entwürfe, öffentliche Interventionen, die Taktiken des détournement ebenso wie der besondere, nomadisierende Lebensstil Debords sich als Einheit erst unter dem Signum eines Strebens nach Poesie zusammenfügen.

    Kaufmanns Buch ist keine Biographie im traditionellen Sinne, die einer Chronologie von Leben und Werk folgt. Er organisiert sein Material in thematischen Blöcken, die temporären Konstellationen folgen – Konstellationen, die immer aus einer Mischung aus persönlichen, historisch-gesellschaftlichen und situativen Elementen entstehen. So zum Beispiel am historischen Punkt von Debords "Auftauchen", seiner selbst gesetzten Geburt, 1951, als er nach Paris zieht. Er trifft dort auf die Lettristen um Isidore Isou , die in Texten, Filmen und Aktionen den provokatorischen Gestus der Avantgarde fortführen. In diesem Kontext steht Debords erster Film von 1952 mit dem Titel "Geheul für Sade". Er endet in 24 Minuten Schwarzfilm und Stille, löscht sich als Film also selbst aus. Wie gewünscht führte seine Vorführung zu einem veritablen Skandal.

    Gleichzeitig findet Debord in Paris, jenem der verrufenen Cafes von St.Germain-des-Près, durch die er sich treiben lässt, jene Stadt "vor dem Fall ins Spektakel", die ihn und seine Mitstreiter zu den Praktiken des dérive, des Umherschweifens, inspiriert. Der Wieder-Aneignung des öffentlichen, urbanen Raums widmet er später ein Kapitel der "Gesellschaft des Spektakels".

    Debord hat alles getan, um jenen Blick zu widerlegen, der identifizieren, anweisen und anpassen will. Er hat diesem Blick einen regelrechten Krieg geliefert. Das Buch will diesen Krieg beschreiben: es will detailliert die von Debord erdachten und geführten Züge analysieren, will zeigen, wie seine Texte und autobiographischen Filme dem Blick des ‚Feindes’ zuvorkommen, um ihn besser zu konterkarieren. Dieses Buch ist ein Inventar der Taktiken, die zu diesem Zweck ins Werk gesetzt werden.

    Die Taktiken im einzelnen sind variabel, passen sich den vorgefundenen und selbst konstruierten Konstellation an – sei es im Paris der 50er oder der 68er Jahre, im Italien der 70er oder im von der Franco-Diktatur befreiten Spanien, wo immer Debord auch auftaucht. Sie sind durchzogen von einem Paradox, das Kaufmann sehr schön zu Beginn des Bandes, eben die 50er Jahre betreffend, an Fotos und autobiographischen Filmbildern entfaltet. Es ist das Paradox einer grundlegenden und prinzipiellen Verweigerung, sich vom Spektakel vereinnahmen zu lassen, und gleichzeitig durch Selbst-Inszenierungen am Rande des Verschwindens Herr zu sein über das, was bleibt und wie es bleibt.

    1957 zur Gründungszeit der Situationistischen Internationale schreibt Debord: "Wir müssen uns unverzüglich eine neue Legende schaffen." Oder später, nach deren Ende: "Je berühmter unsere Thesen sein werden, desto obskurer werden wir selbst sein." Obskur werden heißt, sich am Rande des Verschwindens aufzuhalten, das Recht wieder aufzutauchen inbegriffen. Das kriegerische Spiel kann jederzeit fortgeführt werden. Kaufmann besteht nicht zuletzt in seiner Begrifflichkeit auf der Zusammengehörigkeit von Militanz und Krieg auf der einen und von Spiel und Poesie auf der anderen Seite in Debords Denken und Praktiken.

    Drei weitere Filme und eine Reihe von Texten, darunter die 1988 erschienenen ‚Kommentare zur Gesellschaft des Spektakels’ und den zwei Bände umfassenden ‚Panegyrikus’ hat Debord in den 70er und 80er Jahren verfasst. Das Verschwinden einer revolutionären Perspektive und die Allgegenwärtigkeit des Spektakels führten ihn, wie Kaufmann zeigt, zu einem gänzlich veränderten Verständnis von détournement, Entwendung:

    Sie verliert ihre Funktion als revolutionäre Kommunikationstechnik. Fortan steht sie im Dienst eines Denkens der Erinnerung, der Geschichte, ja der Bewahrung der Sprache, die die Fortschritte des Spektakulären zu vernichten drohen. Debords Stil ist eine Politik der Kommunikation, die mit den Mitteln der Literatur fortgesetzt wird, oder zu ihren poetischen Ursprüngen zurückkehrt, mit denen die Avantgarden – der Situationsmus inbegriffen – nie gebrochen haben.

    Kaufmanns Buch macht indirekt deutlich, dass die Rezeption Debords in Frankreich inzwischen eine vielseitige und streitbare Geschichte hat, von der man hier kaum etwas weiß. Auch wenn das Buch einige Längen durch Wiederholungen hat, kann sich daran nun etwas ändern.

    Vincent Kaufmann
    Guy Debord – Die Revolution im Dienste der Poesie

    Edition Tiamat, 374 S., EUR 28-,

    Guy Debord
    Die Gesellschaft des Spektakels
    Edition Tiamat, 300 S., EUR 20,-

    Guy Debord
    Panegyrikus
    Edition Tiamat, 96 S., EUR 16,-