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Skandal im Skandal

Wenn Pferde in ihrem Pferdepass als potenzielles Lebensmittel geführt sind, dürfen sie im Krankheitsfall nur mit bestimmten Medikamenten behandelt werden. Verboten ist zum Beispiel das Schmerz- und Dopingmittel Phenylbutazon, das nun aber auch in Lebensmitteln gefunden wurde, die mit Pferdefleisch gepanscht wurden.

Von Michael Engel | 20.02.2013
    Pferd statt Rind. Und nun auch noch Phenylbutazon. Nach Ansicht von Karsten Feige ist es ein Skandal im Skandal, dass nun offensichtlich auch Tiere in die Lebensmittel gelangt sind, die mit Phenylbutazon behandelt wurden. Professor Feige leitet die Klinik für Pferde an der Tierärztlichen Hochschule Hannover.

    "Wir haben verschiedene Präparate, die nicht für Tiere zugelassen sind, die der Lebensmittelgewinnung dienen. Dazu gehört dieses entzündungshemmende Schmerzmittel Phenylbutazon. Daneben gibt es Antibiotika und auch andere Medikamente mit unterschiedlichsten Wirkungen, die bei Anwendung eine Schlachtung der Tiere später nicht mehr erlauben."

    Phenylbutazon wurde in französischen Tiefkühlprodukten gefunden. Ebenso im Fleisch britischer Schlachtpferde. Das Präparat hat viele unerwünschte Nebenwirkungen. Das Blutbild verändert sich. Darmblutungen entstehen. Phenylbutazon ist zwar auch in der Humanmedizin erlaubt, aber nur in Ausnahmefällen. Tiermediziner hingegen verwenden es massenhaft, weil es billig und effektiv bei schmerzhaften Entzündungen der Gelenke wirkt. Dokumentiert wird die Medikation der Pferde im sogenannten Equiden- bzw. Pferdepass, der in allen EU-Ländern verpflichtend ist. Karsten Feige:

    "Im Equidenpass, das ist also der Pass, den das Pferd permanent mit sich führen muss, wird eine Eintragung gemacht, ob das Pferd zur Schlachtung zugelassen ist oder nicht. Und in dem Moment, wo es das Phenylbutazon bekommt, darf es nicht mehr geschlachtet werden."

    Dass nun offensichtlich kranke und nie für die Schlachtung freigegebene Pferde in der Lebensmittelindustrie gelandet sind, spricht für den hohen Grad an krimineller Energie, sagt Professor Günter Klein, der das Institut für Lebensmittelqualität und Sicherheit der Tierärztlichen Hochschule Hannover leitet:

    "An einer Stelle steckt sicherlich kriminelle Energie drin. Ein Versehen kann es eigentlich nicht sein, weil die Bestimmungen klar sind und auch die Dokumentation im Pferdepass erfolgen muss. Der Tierarzt muss das auch gegenzeichnen. Genau deswegen gibt es ja diesen Pferdepass, damit das nachverfolgbar ist."

    Die meisten Pferdehalter betreiben die Reiterei hierzulande als Hobby und entscheiden sich deshalb in der Regel gegen die Schlachtung. Deshalb dürfen kranke Tiere bis zum Schluss mit allen verfügbaren Medikamenten - auch Phenylbutazon und Metronidazol - behandelt und später sogar medikamentös eingeschläfert werden. Bei Schlachttieren ist das alles verboten, damit keine Medikamente in die menschliche Nahrung gelangen und schädliche Nebenwirkungen auslösen. Warum es dennoch passiert ist, warum selbst medikamentös kontaminiertes Pferdefleisch verarbeitet wurde und durch die Lebensmittelkontrolle fiel, das ist die große Frage. Günter Klein mit einem Erklärungsversuch:

    "In der Regel wird Schwein gegen Rind ausgetauscht oder umgekehrt. In der BSE-Krise wollte man kein Rind haben, da hat man nach Rind gesucht. Und jetzt sucht man nach Schwein, weil es billiger ist. Aber man muss erst mal den Verdacht haben. Das, muss ich ehrlich sagen, hatte man bisher nicht. Das kann ich auch nachvollziehen. Dann ist es einfach zu teuer, auf blinden Verdacht darauf hin zu untersuchen. Das kostet schon einiges an Analysezeit und auch Geld."

    Bleibt noch die Frage, wie viele kontaminierte Pferde zu Wurst verarbeitet wurden, die nie hätten geschlachtet werden dürfen? Und die Frage, woher diese Tiere überhaupt kommen? Eine systematische Umwidmung von Tieren, die ursprünglich "Nicht zur Schlachtung bestimmt" waren, können sich die Experten in der Tierärztlichen Hochschule Hannover und bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung nicht vorstellen. Letztere stellt die Pferdepässe aus. Vorstellbar seien aber Einzelfälle, in denen zum Beispiel eine Medikation mit Phenylbutazon - aus welchen Gründen auch immer - nicht dokumentiert und das Pferd deshalb auch weiterhin als Schlachtpferd geführt wurde. Man darf gespannt sein, was da in Zukunft noch alles rauskommt.