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Skandal in Buenos Aires

Das 100-jährige Bestehen des Teatro Colon wird nicht im großen Saal des Hauses, sondern im Foyer gefeiert. Die Sanierung des imposanten Gebäudes konnte nicht rechtzeitig zum Jubiläum abgeschlossen werden, denn im dem berühmten Opernhaus von Buenos Aires herrschen Chaos und Misswirtschaft.

Von Peter B. Schumann |
    Puccinis "Turandot" im größten Opernhaus Lateinamerikas, ein kulinarisches Erlebnis in einem neobarocken Tempel der Musik. Birgit Nilsson in der Rolle der Prinzessin und Montserrat Caballé als ihre Sklavin. Das war vor gut 40 Jahren, als das Teatro Colon noch als Meilenstein einer Opernkarriere galt.

    Doch die goldene Epoche dieses herrlich-pompösen Hauses ist seit langem vorbei. Der riesige Komplex, ein Häuserblock groß, steckt seit Jahren tief in der Misere. Oder besser gesagt: die Misere ist längst der Normalzustand. Die Intendanten wechselten im letzten Jahrzehnt fast so oft wie die Spielzeiten. Bemerkenswerte Inszenierungen sind eher Zufall. Die Qualität der zwei Orchester, die sich das Teatro Colon leistet, ist allenfalls mittelmäßig, die von Chor und Ballett noch nicht einmal nennenswert. Das hängt unter anderem mit der mafiösen Struktur der beiden Standesorganisationen, Gewerkschaften genannt, zusammen. Die Kulturwissenschaftlerin Beatriz Sarlo:

    "Die Gewerkschaften im Colon verhindern jegliche Anpassung an internationale Normen, nach denen große Bühnen mit riesigen festen Ensembles wie dieses heute funktionieren. Das Ballett ist völlig überaltert, genauso wie die Musiker, die keinerlei Beweis ihrer Weiterentwicklung erbringen müssen. Die Gewerkschaftsführung klammert sich trotzdem militant an längst obsolete Rechte … Und bei der Stadtverwaltung gab es bisher niemanden mit der nötigen Intelligenz, um dies zu bewältigen."

    Das Teatro Colon ist ein Moloch, der mehr als die Hälfte des städtischen Kulturetats verschlingt. Jeder Intendant ist daran gescheitert, den Mief der hundertjährigen Tradition aus dem Haus mit nahezu 3000 Plätzen zu vertreiben: zu verfestigt sind die Strukturen oder besser gesagt: die Seilschaften egoistischer Interessen in allen Bereichen. Hinzu kommt der Zustand des gesamten Hauses: Er ist so marode wie die künstlerische Qualität. Seit sechs Jahren wird an dem überall desolaten Gebäude renoviert. Guillermo Brizzio von der künstlerischen Leitung:

    "Die Installationen sind uralt und entsprechen keinerlei Sicherheitsvorschriften mehr. Bisher konnte ein größerer Unfall vermieden werden, aber wir sind nicht vor ihm gefeit ... Diese Arbeiten bedeuten die völlige Schließung des Hauses bis 2008, wenn das Teatro Colon 100 Jahre alt wird."

    Das hoffte man vor zwei Jahren. Doch Mitte 2007 wurden die Renovierungsarbeiten eingestellt: Das Budget war erschöpft. Einen Teil hatte die offiziell kaum vorhandene Inflation geschluckt, ein anderer soll in den dunklen Kanälen des Hauses verschwunden sein. Die Stadtverwaltung hatte wohl auch den Finanzbedarf schön gerechnet, damit er vom Parlament genehmigt wurde. Das ist ja nicht nur in Buenos Aires Usus. Seit vergangenem Dezember ist eine neue Stadtregierung im Amt und die hat erstmal nachgerechnet:

    "Von den vorgesehenen Arbeiten sind 30 ausgeführt, und es fehlen nur noch 3. Aber diese 3 erfordern 70 Prozent der gesamten Renovierungskosten."

    Also bleibt Amerikas imposantestes Opernhaus weitere zwei Jahre geschlossen, denn nun mussten zunächst neue Mittel beschafft, ein neuer Masterplan erstellt, eine neue Baufirma beauftragt werden. Dafür hat die Stadtregierung ihrem schönsten kulturellen Schmuckstück für die Zukunft endlich Autonomie versprochen. Generalintendant Horacio Sanguinetti, ebenfalls neu im Amt:

    "So sollen wir künftig über unsere Einnahmen selbst verfügen können. Bisher gingen sie direkt an den allgemeinen Haushalt der Stadt. Danach hat man uns etwas davon zurück gegeben oder auch nicht. Berühmte Sänger wie den Argentinier Marcelo Alvarez, einen der besten, zu engagieren, war so nicht möglich … Durch das neue Gesetz können wir solche Dinge mit größerer Freiheit handhaben."

    Doch zunächst fällt das Jubiläum des Teatro Colon am 25. Mai der allgemeinen Fehlplanung zum Opfer. Statt einer festlichen Aufführung der Aida – wie vor 100 Jahren – gibt es nur einen halbstündigen "symbolischen Akt" mit Kammermusik – im Foyer des Hauses.