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Skandal um Anthropologieprofessor in Frankfurt

Schädelknochen und Gebisse von Neandertalern und vom Homo Erectus - an der Frankfurter Universität konnte man bisher eine der größten anthropologischen Sammlungen sehen. Jetzt wird sie stark verkleinert. Nicht etwa, weil etwas gestohlen oder zerstört wurde oder weil Mittel gekürzt wurden. Nein, sondern weil sich ein Professor offensichtlich verschätzt hat. Denn viele auf die Steinzeit datierte Schädel sind um einige Zehntausend Jahre jünger als angegeben.

Von Riccardo Mastrocola | 18.08.2004
    Der betroffene Professor heißt Reiner Protsch von Zieten - die Frankfurter Universität will die Sache erstmal hausintern klären. Der Professor schweigt. Vor den aktuellen Vorwürfen hat Campus und Karriere einen Blick auf die Sammlung geworfen.

    Wir haben also hier Originalexponate, sage ich mal, so 40 oder 50.

    Wenn er es doch nur genauer wüsste - der Professor Reiner Protsch von Zieten. Ob 40 oder 50 Stück - auf jeden Fall sieht es toll aus, was er da in seinem Institut in den vergangenen Jahren versammelt hat, auf welchen Wegen auch immer.

    Und dann auch noch viele andere Originale, zum Beispiel der Abguss des Heidelberger Unterkiefers, an dem wir zwei Jahre gearbeitet haben.

    Zwei Jahre Arbeit, was sind die schon im Vergleich zu 30.000 oder 40.000 Jahre alter Menschheitsgeschichte oder gar Millionen Jahre alter Funde.

    Oder hier ein Original, vor 38 Millionen Jahren, auch wieder ein Original.

    Doch Reiner Protsch von Zieten, selbst ein Original, hat sich bei den meisten Schädeln verschätzt, sagen britische Wissenschaftler aus Oxford - teilweise um Zehntausende von Jahren. Sie haben das Alter der Knochenfunde mit der Radiokarbonmethode nachgeprüft. Der so genannte Neandertaler von Hahnhöfersand ist demnach nicht 36.000, sondern nur 7500 Jahre alt. Bei der Frau von Binshof-Speyer ist Protsch von Zieten offensichtlich eine Zwei zuviel untergekommen: Sie soll nicht aus dem Jahr 21.300 vor Christus, sondern von 1300 vor Christus stammen.

    All diese Sachen machen wir hier.

    Und dass er solche Sachen macht, vermuten seine Kollegen aus der Fachgesellschaft Anthropologie schon länger und befürchten, dass das fragwürdige Image von Protsch von Zieten auch auf sie abfärbt. Kollegen hatten die Neudatierung angestoßen, weil sie unsaubere Arbeit in seinem Frankfurter Labor vermuteten. Und weil sie Protsch von Zieten schon seit langem nicht mehr über den Weg trauen und glauben, er komme mit seinem Datierungsgerät nicht zurecht. Nach dem Aussortieren der verfälschten Funde gebe es nun kaum noch bedeutende Exponate aus der Zeit vor 10.000 bis 40 000 Jahren. Der Anthropologe Protsch von Zieten aber wehrt sich: Die Daten aus Oxford seien alle falsch. Seine Objekte sind und bleiben Originale! Seine Kollegen würden ihn mobben:

    Wir haben hier Originalmaterial drin, dass viele Millionen wert ist.

    Von denen er den größten Teil selbst bezahlt habe, versichert der selbstbewusste Knochensammler. Als so genannter Hotshot aus den USA hatte sich Protsch von Zieten in den 70er Jahren an der Frankfurter Uni präsentiert, als die einen neuen schillernden Anthropologen suchte. Den haben sie bekommen, amerikanisch locker, welterfahren, aber auch unberechenbar. So wie viele seiner Knochenfunde. Und was viele seiner Fachkollegen überhaupt nicht mehr wundert. Einen bestimmten Kelsterbacher Fund nehmen sie schon lange nicht mehr ernst.

    Sie sehen also: Alles Originale. Das ist die Kelsterbacher Lady, 32.000 Jahre alt, das ist der erste anatomisch moderne Mensch nach dem Neandertaler in Europa.

    Er würde unter anderem beweisen, dass es neben den Neandertalern vor 30.000 Jahren auch schon den modernen Menschen gab. Übrigens: Diese Kelsterbacher Lady ist in den letzten Tagen angeblich verschwunden. Ist sie womöglich doch echt? Bisher hat sich die Universität dazu nicht geäußert. Protsch von Zieten gilt seit Jahren als schwierig im Umgang und erscheint bei keiner Sitzung. Konsequenzen aus dem ewigen Streit mit dem ehemaligen Star hat die Uni Frankfurt bis zum Frühjahr nicht gezogen. Dann aber hat sie Anzeige erstattet: Protsch von Zieten soll versucht haben, 278 Affenschädel zu verkaufen, die offensichtlich der Hochschule gehören, für die er aber angeblich einen Original-Kaufvertrag von 1975 besitzen will. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt. Und heute hat die Unileitung angekündigt, den Fälschungsvorwürfen hausintern nachzugehen - eine Kommission zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten soll den Fall untersuchen.

    All diese Sachen machen wir hier!