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Skandalös?

Ein Prunkstück ist die Festwiese. Keine lausige Hans-Sachs-Bretterbude wie zuvor. Wie ein Liliput-Wald von Gräsern breitet sich der Horizont. Die Zünfte wuchten ihre Scheren, Brezeln, Trommeln angepinnt an Riesengrashalmen auf die Bühne. Und als Bewohner eines utopischen Paradies und Parnass marschieren auf sämtliche Wagner-Heroinen und -Heroen von Holländer bis Parsifal.

Ein Beitrag von Georg-Friedrich Kühn |
    Ritter Stolzing mit Wallemähne im Dürer-Habit wird nach seinem Preislied gewiss mit eingemeindet in diesen Olymp. Aber er will das Käppi nicht tragen wie diese vielen kleinen Wagner-Klone aus der Meistersingerschule von Nürremberg. Er will nur Eva, die ihm zu Füßen liegt, die der Preis-Ochse ist dieses Wettsingens. Doch Sachs hält ihn fest am Schlawittchen.

    Nur – das mit der deutschen Kunst und dem heilgen deutschen Reich, das da zu zerbrechen droht, wenn man die Meister nicht ehrt –, da kommt selbst Widerspruch auf unter den Bühnen-Meistern. "Das kannst Du so nicht machen", ruft’s aus den hinteren Reihen, "Wolfgang!" Wolfgang wer? Wolfgang Schöne, der Sänger dieses Hamburger Sachs? Wolfgang Wagner, der Herrscher des Grünen Parnass in Bayreuth? Rüttelt der Regisseur Peter Konwitschny wie einst Gerhard Schröder am Kanzleramtszaun nun vehement am roten Ziegelfachwerkbau des Wagner-Walhall?

    Die Leute im Parkett und auf den Rängen mögen den Disput nicht, rufen "aufhören", "Oberlehrer", als Eva etwa erklärt, warum der alte Richard wohl das mit der deutschen Kunst so gedichtet hat. Der Mann am Pult, Ingo Metzmacher, macht Schluss. "Bringen wir’s zu Ende, Freunde", sagt er übers Mikro, und weiter geht’s im Originaltext.

    Nur das helle Juni-Festlicht verdüstert sich, und die Lädierten der mitternächtlichen Prügelszene recken ihre Krücken wie beim Defilee in der Dreigroschenoper. Am Ende: Eine Buh- und Bravoschlacht, schon als der Hamburger GMD auf der Bühne sich zeigt, und erst recht, als Konwitschny und sein Ausstatter Johannes Leiacker sich verbeugen. Der mittlerweile obligate Konwitschny-Skandal als Festwiesenzugabe?

    Eher zäh zieht sich das freilich die ersten zwei Akte. Die Meistersingerkirche ist die von Altarbildern flankierte Brettelbühne. Eva in der letzten Reihe flirtet heftig mit dem Neuankömmling, Stolzing. Auch die Lehrbuben benutzen den doppelten Boden der Kirche als willkommenes Versteck und Souffleurkasten, wenn sie Stolzings ersten Sitzversuchen auf dem Meistersinger-Hinrichtungsstuhl lauschen. Immerhin bringt der Ritter die Singschule schon mal regelrecht zum Tanzen.

    Im zweiten Akt ist die Bühne umbaut mit einem vergilbten Kitschpostkarten-Prospekt, in dem die Lehrbuben Bierparty feiern. Beckmesser kommt mit einem Leiermann-Adjutanten zum nächtlichen Ständchen, von Sachs unsanft mit seinen Hammerschlägen verschustert. Heftig versucht er zu fensterln mit Eva. Dabei vergnügt die sich mit Stolzing in heißen Küssen im Bühnen-Unterbett.

    Die nächtliche Prügel-Orgie kündigt sich an mit gewaltigem Horntuten als Fermate. Der wohl eindringlichste Moment ist dann der Beginn des dritten Akts mit der fahlen Wahn-Morgenmusik. Sachs sitzt da vor einem Nürnberg-Panorama der Kriegszerstörung. Aus einer Luke mit Krücke voran steigt der zum Krüppel geschlagene Beckmesser.

    Auf der Festwiese allerdings fällt er mit seinem düsteren Holpergesang nicht so negativ auf. Sie alle sind gezeichnet von ihrem nächtlichen Entfesselungserlebnis; weswegen Eva raus will, sich ran wirft an den Fremden, ohne auch nur zu fragen, ob er ein wirklicher Ritter, Retter oder nur ein Hamelnscher Rattenfänger ist.

    Aber geht das alles so? Konwitschny, man weiß, mag keine Bühnenbilder, die selbst auch was erzählen, die etwas übersetzen in eine eigene Bild-Ebene. Er empfindet das als Einengung. Hier freilich ist der Bühnen-Realismus selbst die Einengung. Immerhin nimmt Ingo Metzmacher den Schlachtruf "dies ist eine Komödie" erfrischend ernst. Schon im Vorspiel hält er sein Orchester an zu einem luftig-filigranen Ton. In den Nachtbildern bekommt die Partitur etwas von geradezu Mendelssohnscher Zeckenhaftigkeit.

    Eine wunderbar leichte Eva ist Anja Harteros, so skurril wie bemitleidenswert der Beckmesser von Hans-Joachim Ketelsen, grandseigneurhaft Wolfgang Schönes Sachs. Als Stolzing kann John Treleaven nur darstellerisch punkten. Im Ganzen eine wie immer Aufsehen erregende Premiere an der Hamburger Staatsoper, deren Bruchstellen allerdings auch nicht zu übersehen sind.

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