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Skandalös?

Eigentlich regt die Kunst doch niemanden mehr groß auf. Vorbei die Zeiten, in denen nackte Körper oder zu wüst auf die Leinwand gebrachte Farbe die Gemüter erhitzen konnte. Der Satz: "Das ist doch nicht wirklich Kunst" hat sich im Jahr 2004 erledigt. Und doch sorgt zur Zeit eine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst in Wien wieder für Aufregung. Gezeigt wird dort das Lebenswerk des Aktionskünstlers Otto Mühl, jenes heute 78-Jährigen, der Anfang der 70er-Jahre im Burgendland seine "Kommune" gründete und die "Aktionsanalyse" als Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen durch die Kunst und durch die freie Sexualität propagierte. Die Sexualität allerdings war offenbar so frei, dass Mühl von 1991 bis 1998 eine Haftstrafe wegen Drogenmissbrauchs, Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verbüßen musste. "Verbrechen dürfen nicht als Kunst ausgestellt werden", fordern deshalb nun aus Anlass der Wiener Ausstellung ehemalige Mitglieder der Mühl-Kommune.

Von Michael Freund | 02.03.2004
    Künstler, Krawallmacher, Kommune-Chef, Kinderschänder: Jeder hat seinen Lieblings-Otto-Mühl, immer stimmt etwas daran, doch immer ist es nur ein Teil des Ganzen, der anderen Teilen widerspricht. Eine Ausstellung, die ab Mittwoch, dem 3. März, im Wiener Museum für angewandte Kunst zu sehen ist, versucht, wenigstens dem Künstler Mühl gerecht zu werden, und das ist schon schwierig genug.

    Der im Burgenland geborene, mittlerweile in Südportugal lebende, fast 79 Jahre alte Mann hat ja zwischendurch, in seiner Zeit als Leiter der aktionsanalytischen Kommune, sein vorheriges Schaffen abgelehnt:

    In den 70er Jahren hab ich gesagt: Malerei ist out, bringt nichts. Ich habe mich mit Therapie beschäftigt, und das war sozusagen die neue Kunst. Und Theater und Musik haben wir gemacht, so ist die Kunst als Pädagogik zurückgekommen, ganz im Dienste einer ganz neuen Gemeinschaft. Es war nicht mehr diese Kunst, die es vorher war.

    Vorher war Mühl einer der wichtigsten Exponenten des Wiener Aktionismus. Der hatte seine Wurzeln in Action Painting und Happenings, ging aber in destruktiven Veranstaltungen unter Einbeziehung von nackten Menschen, toten Tieren, viel Blut und anderen Körpersäften und -ausscheidungen weit darüber hinaus. Die damaligen Gefährten Hermann Nitsch, Günter Brus, Peter Weibel, Oswald Wiener und andere sind bis heute bekannte Künstler. Für Mühl war die künstlerische Aktivität damals, Anfang der Sechziger, eine Erlösung von der Aussicht, Zeichenlehrer werden zu müssen:

    Weil Mühl nach seiner Scheidung nicht alleine leben wollte, startete er um 1970 eine Kommune in einer Wiener Wohnung. Die wurde als Ort, in dem es kein Privateigentum, dafür umso mehr freie Sexualität und den großen Aktionisten als an Wilhelm Reich geschulten Therapeuten gab, im In- und Ausland bekannt. So stieß zum Beispiel Claudia aus der Schweiz zum Otto, den sie in einer anderen Wiener Kommune kennen lernte:

    Da hab ich gemerkt: Von da geht das Ganze aus. Ich bin dann rüber zu ihm zu Besuch und hab beschlossen, da bleib ich, das ist das Paradies, so eine friedliche Stimmung. dann hab ich es geschafft. Seit Dezember 1973 lebe ich mit dem Otto zusammen.

    Claudia wurde bald Otto so genannte Lieblingsfrau. Sie heirateten. das taten damals zwar alle Kommunarden, aus formalen und finanziellen Gründen. Doch Otto, Claudia und ihre Kinder wurden tatsächlich so etwas wie eine erste Familie. Folgt man den Interviews, Büchern, Diplom- und Dissertationsarbeiten zahlreicher enttäuschter Ex-Mühlis, dann war diese Hierarchisierung einer der Gründe für das Ende der Kommune. Andere waren die wachsende Lust am Geldverdienen, Misswirtschaft, vor allem beim Kauf einer ganzen Bucht auf der kanarischen Insel Gomera, und sexuelle Privilegien.

    1990 jedenfalls wurde Mühl entmachtet, kurz danach zu sieben Jahren Gefängnis wegen Unzucht mit Minderjährigen verurteilt. Gegen die Vorwürfe wehrt er sich bis heute:

    Ich bin kein Pädophiler, ich stehe nicht auf Kinder. Ich mein, es ist vorgekommen, dass eine 13 war oder 13 einhalb. Aber sie hat die Regel gehabt, sie war reif, die wollten. Es ist nicht wahr, dass sie gezwungen wurden. Und ich war auch nicht allein. Es haben viele mitgemacht. Aber mich haben sie herausgeschossen.

    Wegen dieses Kapitels in seinem Leben laufen viele Gegner Mühls seit Monaten Sturm gegen die Ausstellung im Wiener MAK. Sie wollen nicht, dass ein Mensch mit dieser Vergangenheit sozusagen als Gesamtkunstwerk gewürdigt wird. Der Titel musste bereits geändert werden, um viele Ausstellungsobjekte wurde debattiert. Es gibt ja viele Fotos und Videos von seinerzeitigen Kommunarden in voller Aktion, die jetzt wenig Interesse an öffentlicher Zurschaustellung haben. Museumsdirektor Peter Noever versichert, dass die Persönlichkeitsrechte gewahrt blieben, er sei ja kein Selbstmörder.

    In der Mitte des Sturms aber sitzt Otto Mühl und wirkt abgeklärt, was seine Vergangenheit als Kommune-Guru anbelangt:

    Ich habe – notwendigerweise – viele Fehler gemacht. Ich war mehr Marxist – das war falsch, absolutes Gemeinschaftseigentum ist Unsinn, das nimmt dem Einzelnen die Freiheit. Eine Organisation von oben engt auch das Individuum ein. Das waren schwere Fehler, und es war auch richtig, dass das zugrunde gegangen ist.

    Was seine Kunst anbelangt, ist er wieder, oder noch immer, voll aktiv: Nach den Jahren im Gefängnis, in denen er viel gemalt hat, hat er sich nun den Medien Video, Digitalfotografie und Computer zugewandt und dabei seine aktionistischen Ansprüche aufgehoben:

    Ich kann alles machen - ich kann auf Video malen, Electric painting, ich habe die totale Freiheit, kann alles unter einen Hut bringen, wieder ein Aktionismus in der Malerei.

    Auch diese Videos werden im MAK bis 30. Mai zu sehen sein. Was aber sagt Otto Mühl, wenn er darauf angesprochen wird, was gut war in seinem Leben und wie es anders hätte sein können?

    So geht’s ja im Leben meistens. Man glaubt, es ist alles richtig, und ist ein totaler Psychopath und weiß es nicht. Vielleicht bin ich’s auch. Das ist alles möglich. Vielleicht stellt sich noch heraus, dass ich total wahnsinnig bin (lacht), und die Leute halten mich noch für normal.

    Und seine Vorstellung vom Glück ist für Mühl, der mit rund zwei Dutzend Kommunarden zwischen fünf und 50 an der Algarve wohnt, relativ konstant geblieben:

    In einer Gruppe zu leben mit mehreren Frauen. Und Männern. (Lachen).