Burkhard Müller-Ullrich: Wir haben es heute mit den 50er und 60er Jahren. Erst Kerouac, dann Piene und jetzt Skandale. Nun gab und gibt es Skandale zu jeder Zeit, aber das Bonner Haus der Geschichte zeigt in einer großen Ausstellung deutsche Skandale seit 1945. Und da denkt man natürlich gleich an die nackte Knef und die tote Nitribitt und dieses ganze bös-verlockende Geschlechtliche, was unser Land vor der fabelhaften Sittenlockerung durch die 68er Folgende umtrieb. Wenn ich sage, da denkt man, dann sage ich das, ohne die Ausstellung zu kennen. David Eisermann, Sie haben sie gesehen. Was sind denn von Bonn aus betrachtet die deutschen Skandale seit 1945?
David Eisermann: Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist eben auch genau das. Es ist ein Geschichtsmuseum für den westlichen Teil Deutschlands und den einen DDR-Skandal, den man da hinzugefügt hat, die Aufregung über die gefälschten, was denn sonst, Kommunalwahlen von 1989 in der zu Ende gehenden DDR. Der wirkt ein bisschen bemüht da hinzugefügt, ist aber ganz instruktiv insofern, als er einem klarmacht: Skandale kann es natürlich in einer Diktatur nicht geben, weil dort die freie Berichterstattung, die es dann Ende 1989 wohl auch in schon in Ansätzen für die DDR gegeben hat, die gibt es nicht in der Diktatur. Man kann auch leicht erschließen, dass in den unmittelbar vorhergehenden Jahren der NS-Zeit natürlich viel unendlich viel Skandalöseres passiert ist in Deutschland als in diesen ersten drei oder vier Jahrzehnten der Nachkriegsgeschichte.
Müller-Ullrich: Das heißt, für den Skandal, um es mal kurz aufs Philosophische zu heben, braucht man die Medien. Skandale sind eigentlich die Inszenierungen, also deswegen sind wir ja in der Kultur zuständig dafür. Es ist ein politisches Bühnenstück.
Eisermann: Skandalöses geschieht zweifelsohne und geschieht auch ständig, aber das ist eben eigentlich das Interessante wirklich an dieser Ausstellung und der Idee dazu, dass wir lernen, dass diese scheinbar vollkommen unverbundenen Ereignisse, denen wir da begegnen, die ja auch vollkommen unterschiedliches Gewicht haben. Also es gibt todernste Dinge, meinetwegen wie die NS-Vergangenheit führender Politiker und die Skandale, die das dann jeweils ausgelöst hat in den 50er, 60er Jahren, und die "Spiegel"-Affäre, ein ganz ernsthaftes, mediengeschichtliches Ereignis. Auf der anderen Seite eben dann die Farce, die Hitler-Tagebücher und die Zeitschrift "Stern" oder auch dann beinahe komisch die gaunerhaften Originaltöne von mitgeschnittenen Telefongesprächen aus den frühen 70er Jahren, als Schiebung und Bestechung den Fußballsport geprägt haben. Und wir lernen trotzdem, da gibt es eben etwas Verbindendes. Die Medien konstruieren das, diese Skandale, sie machen sie überhaupt erst möglich in der Wahrnehmung und, auch das verschweigen die Ausstellungsmacher nicht, sie versuchen natürlich daran zu verdienen, machen sich unter Umständen auch wie der "Stern" in dieser berühmten Hitler-Tagebücher-Geschichte eben lächerlich.
Müller-Ullrich: Eben, denn Skandale sind ja ein bisschen doppelgesichtig. Es kann sich um eine plötzliche Enthüllung von Wahrheit handeln. Es kann sich aber auch um Instrumentalisierung handeln, also an der Erregungsbörse verspricht sich ja mancher etliche Sondergewinnspannen.
Eisermann: Und die Ausstellung zeigt uns eben, auch das ist ein unverhoffter Lerneffekt eigentlich, wenn man durch diese Inszenierung durchgeht, die es ein bisschen schwer hat, weil natürlich Skandale bedeuten Texte, Texte, Texte. Dann hat man natürlich auch die heute immer verfügbaren Bild- und Tondokumente, aber natürlich wenige Artefakte, sie schafft es trotzdem, einem klarzumachen, dass eben Skandalgeschichte auch gleichzeitig Sitten- und Sozialgeschichte ist, und zwar nicht nur in der Rückschau, nicht raffiniert durch den Blick des Historikers, sondern wir schauen den Leuten wirklich zu, was sie damals für Wertmaßstäbe gehabt haben, wie sie gedacht und was sie eigentlich damals für wichtig gehalten haben.
Müller-Ullrich: Beispiel?
Eisermann: Zum Beispiel diese ungeheure Aufregung einerseits eben über diesen Film "Die Sünderin", ganz interessant. Wir lernen, die Aufregung galt eben nicht nur der nackten Hildegard Knef, sondern dem Thema Euthanasie damals noch ganz dicht dran an der Nazi-Zeit, doch eine ernstere Sache, als man so glaubt. Auch die "Spiegel"-Affäre eben, Rudolf Augstein im Knast, auch das wird einem in seiner Bedeutung dort vor Augen geführt. Auf der anderen Seite tut sich die Ausstellung da natürlich ein bisschen schwer, wenn es auf die Gegenwart zugeht bis hin zu Ackermann und dem Siegeszeichen Victory möchte dann auch noch zu den Managergehältern, die jetzt wieder Thema sind, einen Bezug schaffen. Für mich zum Teil wirklich verblüffend waren dann eben Artefakte wie der schwarze 190er Mercedes Benz Cabrio SL der Nitritbitt, ein baugleiches Stück natürlich nur, aber auch original für mich vielleicht am erschütternsten ein kleiner Zettel in dieser Ausstellung, der über 40 Jahre alt ist. Der ist beschriftet in Kinderschrift. Darauf steht nur ein Wort: Krüppel. Und den haben eben Mitschüler in der ersten Klasse zugesteckt einem Mädchen, das keine Arme hatte durch die Contergan-Affäre. Man sieht daneben das Cape, das sie tragen musste, um das so ein bisschen zu verhüllen.
Müller-Ullrich: Wie ist die Auswahl überhaupt vorgenommen worden? Gibt es da irgendein Prinzip? Ich meine, wenn wir schon über Skandale brainstormen, dann fallen uns wahrscheinlich Hunderte ein. Wie viele sind gezeigt, ich glaube, 20 oder so?
Eisermann: Man nimmt etwa 20, man nimmt die ganz bekannten Sachen. Das Wiedersehen beispielsweise mit den Dokumenten von dem Gladbecker Geiseldrama, das geht schon unter die Haut, wenn man diese Schwerverbrecher da sieht, die Interviews geben und die später auch ihre Geiseln ja zum Teil ermordet haben. Und auch eben erschütternd zu sehen, dass eben der ganze Glanz und Glamour des vierten Standes der Presse, der Medien dann häufig doch nichts ausmacht, wenn man sieht diese ganzen Parteispendenaffären, Neue Heimat und so weiter. Da ist dann am Ende dann doch geringe Wirkung eingetreten durch die Skandalisierung dieser politischen Ereignisse.
Müller-Ullrich: David Eisermann über eine Skandalausstellung, deutsche Skandale seit 1945, im Haus der Geschichte in Bonn.
David Eisermann: Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist eben auch genau das. Es ist ein Geschichtsmuseum für den westlichen Teil Deutschlands und den einen DDR-Skandal, den man da hinzugefügt hat, die Aufregung über die gefälschten, was denn sonst, Kommunalwahlen von 1989 in der zu Ende gehenden DDR. Der wirkt ein bisschen bemüht da hinzugefügt, ist aber ganz instruktiv insofern, als er einem klarmacht: Skandale kann es natürlich in einer Diktatur nicht geben, weil dort die freie Berichterstattung, die es dann Ende 1989 wohl auch in schon in Ansätzen für die DDR gegeben hat, die gibt es nicht in der Diktatur. Man kann auch leicht erschließen, dass in den unmittelbar vorhergehenden Jahren der NS-Zeit natürlich viel unendlich viel Skandalöseres passiert ist in Deutschland als in diesen ersten drei oder vier Jahrzehnten der Nachkriegsgeschichte.
Müller-Ullrich: Das heißt, für den Skandal, um es mal kurz aufs Philosophische zu heben, braucht man die Medien. Skandale sind eigentlich die Inszenierungen, also deswegen sind wir ja in der Kultur zuständig dafür. Es ist ein politisches Bühnenstück.
Eisermann: Skandalöses geschieht zweifelsohne und geschieht auch ständig, aber das ist eben eigentlich das Interessante wirklich an dieser Ausstellung und der Idee dazu, dass wir lernen, dass diese scheinbar vollkommen unverbundenen Ereignisse, denen wir da begegnen, die ja auch vollkommen unterschiedliches Gewicht haben. Also es gibt todernste Dinge, meinetwegen wie die NS-Vergangenheit führender Politiker und die Skandale, die das dann jeweils ausgelöst hat in den 50er, 60er Jahren, und die "Spiegel"-Affäre, ein ganz ernsthaftes, mediengeschichtliches Ereignis. Auf der anderen Seite eben dann die Farce, die Hitler-Tagebücher und die Zeitschrift "Stern" oder auch dann beinahe komisch die gaunerhaften Originaltöne von mitgeschnittenen Telefongesprächen aus den frühen 70er Jahren, als Schiebung und Bestechung den Fußballsport geprägt haben. Und wir lernen trotzdem, da gibt es eben etwas Verbindendes. Die Medien konstruieren das, diese Skandale, sie machen sie überhaupt erst möglich in der Wahrnehmung und, auch das verschweigen die Ausstellungsmacher nicht, sie versuchen natürlich daran zu verdienen, machen sich unter Umständen auch wie der "Stern" in dieser berühmten Hitler-Tagebücher-Geschichte eben lächerlich.
Müller-Ullrich: Eben, denn Skandale sind ja ein bisschen doppelgesichtig. Es kann sich um eine plötzliche Enthüllung von Wahrheit handeln. Es kann sich aber auch um Instrumentalisierung handeln, also an der Erregungsbörse verspricht sich ja mancher etliche Sondergewinnspannen.
Eisermann: Und die Ausstellung zeigt uns eben, auch das ist ein unverhoffter Lerneffekt eigentlich, wenn man durch diese Inszenierung durchgeht, die es ein bisschen schwer hat, weil natürlich Skandale bedeuten Texte, Texte, Texte. Dann hat man natürlich auch die heute immer verfügbaren Bild- und Tondokumente, aber natürlich wenige Artefakte, sie schafft es trotzdem, einem klarzumachen, dass eben Skandalgeschichte auch gleichzeitig Sitten- und Sozialgeschichte ist, und zwar nicht nur in der Rückschau, nicht raffiniert durch den Blick des Historikers, sondern wir schauen den Leuten wirklich zu, was sie damals für Wertmaßstäbe gehabt haben, wie sie gedacht und was sie eigentlich damals für wichtig gehalten haben.
Müller-Ullrich: Beispiel?
Eisermann: Zum Beispiel diese ungeheure Aufregung einerseits eben über diesen Film "Die Sünderin", ganz interessant. Wir lernen, die Aufregung galt eben nicht nur der nackten Hildegard Knef, sondern dem Thema Euthanasie damals noch ganz dicht dran an der Nazi-Zeit, doch eine ernstere Sache, als man so glaubt. Auch die "Spiegel"-Affäre eben, Rudolf Augstein im Knast, auch das wird einem in seiner Bedeutung dort vor Augen geführt. Auf der anderen Seite tut sich die Ausstellung da natürlich ein bisschen schwer, wenn es auf die Gegenwart zugeht bis hin zu Ackermann und dem Siegeszeichen Victory möchte dann auch noch zu den Managergehältern, die jetzt wieder Thema sind, einen Bezug schaffen. Für mich zum Teil wirklich verblüffend waren dann eben Artefakte wie der schwarze 190er Mercedes Benz Cabrio SL der Nitritbitt, ein baugleiches Stück natürlich nur, aber auch original für mich vielleicht am erschütternsten ein kleiner Zettel in dieser Ausstellung, der über 40 Jahre alt ist. Der ist beschriftet in Kinderschrift. Darauf steht nur ein Wort: Krüppel. Und den haben eben Mitschüler in der ersten Klasse zugesteckt einem Mädchen, das keine Arme hatte durch die Contergan-Affäre. Man sieht daneben das Cape, das sie tragen musste, um das so ein bisschen zu verhüllen.
Müller-Ullrich: Wie ist die Auswahl überhaupt vorgenommen worden? Gibt es da irgendein Prinzip? Ich meine, wenn wir schon über Skandale brainstormen, dann fallen uns wahrscheinlich Hunderte ein. Wie viele sind gezeigt, ich glaube, 20 oder so?
Eisermann: Man nimmt etwa 20, man nimmt die ganz bekannten Sachen. Das Wiedersehen beispielsweise mit den Dokumenten von dem Gladbecker Geiseldrama, das geht schon unter die Haut, wenn man diese Schwerverbrecher da sieht, die Interviews geben und die später auch ihre Geiseln ja zum Teil ermordet haben. Und auch eben erschütternd zu sehen, dass eben der ganze Glanz und Glamour des vierten Standes der Presse, der Medien dann häufig doch nichts ausmacht, wenn man sieht diese ganzen Parteispendenaffären, Neue Heimat und so weiter. Da ist dann am Ende dann doch geringe Wirkung eingetreten durch die Skandalisierung dieser politischen Ereignisse.
Müller-Ullrich: David Eisermann über eine Skandalausstellung, deutsche Skandale seit 1945, im Haus der Geschichte in Bonn.