Tonia Koch: Frau Kramp-Karrenbauer, diese Woche sind Sie exakt einhundert Tage im Amt. Welches Resümee ziehen Sie denn nach den ersten Tagen als saarländische Ministerpräsidentin?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Insgesamt hat die Arbeit einen guten Anfang genommen. Wir haben schnell auch nach der MP-Wahl Tritt gefasst, die Arbeitsabläufe werden quasi reibungslos weitergeführt. Auch mit der neuen Mannschaft sind viele ganz wichtige Kontakte auch mit Blick auf saarländische Interessenvertretungen geknüpft worden. Und, was besonders wichtig ist, die Hauptaufgabe des Landes, nämlich im Rahmen von "Saarland 2020" sich im Rahmen der Schuldenbremse, aber auch mit Blick auf die Attraktivierung aufzustellen, diese Arbeiten laufen hinter den Kulissen sehr geräuschlos, sodass ich sehr zuversichtlich bin, dass wir die Ergebnisse dann auch im Frühsommer präsentieren können.
Koch: Nach nur einhundert Tagen sehen Sie sich mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss konfrontiert. Es geht um Schlamperei und Günstlingswirtschaft und um eine durchaus vermeidbare Kostenexplosion bei dem Bau eines Museums. Und die Opposition, so scheint es, versucht nun, diese politische Verantwortung in erster Linie bei Ihnen zu verorten. Sind Sie in Erklärungsnöten, oder haben Sie sich nichts vorzuwerfen?
Kramp-Karrenbauer: Also, ich bin nicht in Erklärungsnöten. Dass die Opposition, die ja schon vor Wochen angekündigt hat, einen Untersuchungsausschuss machen zu wollen, den natürlich auf diejenige konzentriert, die noch aktiv mit dem höchsten Amt in der Politik ist und die die Hauptgegnerin auch in der Landespolitik ist, das ist, glaube ich, ein politisches Kalkül, das jeder nachvollziehen kann. Ich habe meine Stellungnahme zum vierten Pavillon ja abgegeben. Es gab ja den einen oder anderen Vorwurf, der gegen mich im Raum stand und der aus meiner Sicht in der Kulturausschusssitzung auch entkräftet wurde. Insgesamt habe ich ein laufendes Verfahren, ein bestehendes System übernommen. Ich habe in vielen Punkten auch auf das System, auch auf handelnde Personen vertraut, und das hat sich im Nachhinein als falsch erwiesen.
Koch: Ihr Start war ein wenig holprig, Sie benötigten einen zweiten Wahlgang. Und auch in diesem entscheidenden Wahlgang hat Ihnen ein Mitglied der Regierungskoalition die Zustimmung verweigert. Wie regiert es sich denn mit der Gewissheit, dass eine oder einer aus den eigenen Reihen – dass auf diesen Menschen eben kein Verlass ist?
Kramp-Karrenbauer: Mit der klaren Erkenntnis, wenn es hart auf hart kommt, hat man eine Mehrheit. Aber die ist um eins geringer, als das rechnerisch möglich wäre. Ansonsten hab ich diesen Wahlvorgang für mich sofort abgehakt. Wir stehen jetzt vor wichtigen und schwierigen Sachentscheidungen, darauf konzentriere ich mich. Und die in einer Dreierkonstellation durchzusetzen, das ist nicht einfach, das muss man ganz offen sagen. Das erfordert ein hohes Maß an Überzeugungsarbeit, an Abstimmungsarbeit. Und damit ist man dann so ausgelastet, dass man sich über den Wahlgang an sich gar keine Gedanken mehr macht.
Koch: Sie haben die Dreierkoalition eben angesprochen. "Jamaika" ist die hierzulande praktizierte politische Zusammenarbeit zwischen Christdemokraten, Liberalen und Grünen. Und diese Zusammenarbeit wurde von Ihrem Vorgänger im Amt, Peter Müller, als zukunftsweisendes Modell gepriesen. Teilen Sie diese Auffassung eigentlich noch?
Kramp-Karrenbauer: Es ist eine Konstellation, die sicherlich in der ganz spezifischen Situation nach der Landtagswahl im Saarland zustande gekommen ist. Ob es ein Modell ist, das auch für andere Bundesländer taugt oder darüber hinaus, das ist schwierig zu beurteilen. Das ist immer sehr abhängig von der Konstellation im jeweiligen Bundesland selbst.
Koch: Allerdings ist der Eindruck, finde ich, nicht von der Hand zu weisen, dass das Saarland aufgrund dieser politischen Konstellation zuweilen abseitssteht, zum Beispiel im Bundesrat. Da dürfen Sie kaum einmal die Hand heben, weil der kleinste gemeinsame Nenner, auf den Sie sich verständigen können, eben Enthaltung heißt. Das war zum Beispiel beim letzten Steuerpaket so. Und jetzt ist eben die Frage: Wie wird es sein beim anstehenden Steuersenkungspaket? Geht es da in dieser Weise ähnlich?
Kramp-Karrenbauer: Also, zuerst einmal muss man sagen, dass das eine Konstellation ist, die alle Koalitionsregierungen trifft, die quasi zwei Regierungspartner aus A- oder B-Lagern haben. Und das ist auch bei großen Koalitionen nicht anders, und überall gibt es die Vereinbarung: Wenn man sich nicht einigen kann, dann enthält man sich. Und das wird sicherlich mit dem anstehenden Bundestagswahlkampf noch eine schwierigere Situation für alle Koalitionsregierungen. Was das aktuelle Steuersenkungspaket anbelangt, so gibt es hier, unabhängig von den Parteigrenzen, sicherlich eine ganz spezifische Interessenslage des Saarlandes. Wir sind heute Notlage-Land, wir müssen die Schuldenbremse einhalten, um Konsolidierungshilfen zu erhalten. Da ist jeder Euro, den wir bei den Einnahmen verlieren, der uns dort wegbricht, ein Euro, der auf der anderen Seite die Sparlast und den Spardruck erhöht. Und deswegen haben wir von Anfang an gesagt – das Saarland: Wir stehen Steuersenkungsplänen, die so zusagen Negativfolgen für die Länder haben, sehr skeptisch gegenüber. Und deswegen bleibe ich bei meiner Einschätzung, dass es kaum eine Chance gibt, dass das Saarland diesem Paket im Bundesrat zustimmt.
Koch: Abgesehen von dieser Länderproblematik muss man ja auch grundsätzlich mit der Fragestellung umgehen, ob eine Steuersenkung in der Größenordnung von plus/minus sechs Milliarden Euro in den Jahren 2013, 2014 überhaupt in die Landschaft passt.
Kramp-Karrenbauer: Also, man muss ja sehen, dass dieses Paket, so wie es jetzt verhandelt ist, einen ganz wichtigen Punkt beinhaltet, bei dem aus meiner Sicht der Gesetzgeber nicht sehr viel Spielraum hat, das ist das Thema "Existenzminimum". Der neue Bericht wird jetzt auf den Tisch kommen, er wird ja Vorgaben machen, wie das Existenzminimum zu erhöhen ist. Und das Verfassungsgericht hat klare Vorgaben gemacht, was die Sicherstellung dieses Existenzminimums anbelangt. Also insofern wird das schon noch eine Frage sein, die die Politik betrifft: Kommen wir an dieser Entscheidung überhaupt vorbei' Das andere ist das Thema, wo ja der Bund erklärt, das will er mit eigenen Mitteln machen, in den Abbau der kalten Progression einzusteigen. Das hat in der Tat etwas mit Steuergerechtigkeit, insbesondere für kleine und mittlere Einkommen, zu tun, die im Grunde genommen durch die kalte Progression nie von ihrer Lohnerhöhung in irgendeiner Art und Weise profitieren. Also insofern ist es richtig, diesen Punkt auch entscheidend mit anzugehen. Dass das natürlich in einer Situation, in der vor allen Dingen der Schuldenabbau im Vordergrund steht, auch schwierig zu vermitteln ist, das ist mir sehr bewusst.
Koch: Bleiben wir noch einen Moment beim Existenzminimum. Es ist richtig, das Bundesverfassungsgericht sagt: Der Fiskus darf da nicht zugreifen. Das bedeutet, dass der Grundfreibetrag sowieso verfassungsmäßig erhöht werden muss. Aber das macht nur einen kleinen Teil dieser geplanten Steuerentlastung aus. Dann könnte ich ja auch sagen: Lasst uns doch einfach kleinere Brötchen backen und diesen zweiten Schritt, der für 2014 vorgesehen ist, also nach der Bundestagswahl, weglassen.
Kramp-Karrenbauer: Also mit Blick auf die Länderfinanzen muss man sagen, dass gerade der erste Schritt derjenige ist, der die Länder belastet, es ist ja auch eine gesamtstaatliche Aufgabe. Der zweite Schritt – sagen wir mal – soll ja vom Bund komplett alleine finanziert werden. Insofern ist das eine Diskussion sicherlich auch auf der Bundesebene. Die Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag ganz klar dazu bekannt, die kalte Progression abbauen zu wollen. Und dass sie natürlich noch auch auf der Grundlage des Koalitionsvertrages zumindestens einen ersten Schritt in dieser Legislaturperiode vollziehen will, das ist legitim. Uns als Länder drückt vor allen Dingen das Thema Existenzminimum, denn da müssen wir mitfinanzieren.
Koch: Aber braucht man denn diese vier Milliarden, um diesen verfassungsmäßigen Grundsatz umzusetzen, geht es denn nicht auch mit weniger? Im Grunde genommen sieht es doch so aus, dass auch beim Existenzminimum die Anhebung gesplittet wird – zeitlich.
Kramp-Karrenbauer: Wenn man das Existenzminimum freistellt, muss man natürlich auch den Progressionsverlauf nach rechts anpassen, ansonsten hat man ja Unwuchten und Ungerechtigkeiten. Also das ist ein Automatismus. Deswegen erscheinen mir vom Grundsatz her die vier Milliarden Euro durchaus nachvollziehbar. Wir werden noch mal, und dabei sind wir im Moment, natürlich genau berechnen, wie verteilt sich das mit Blick auf das Saarland, wie sieht es mit dieser – ich sage einmal – vom Verfassungsgericht vorgegebenen Notwendigkeit aus, gibt es da einen Automatismus, hat man Spielraum? Im Übrigen werden wir ja sicherlich in ein entsprechendes Vermittlungsverfahren einsteigen. Und das werden sicherlich auch Punkte sein, die dort zu besprechen sind.
Koch: Sie sagen: Wir müssen noch genau prüfen. Haben Sie eine Vorstellung, was ungefähr auf das Saarland zukommt?
Kramp-Karrenbauer: Wir gehen im Moment davon aus, dass das im Saarland betrachtet rd. 25 Millionen Euro ausmacht. Wenn man weiß, dass wir zum Beispiel 260 Millionen Sanierungshilfen erhalten und man davon 25 Millionen wegrechnet, dann macht das schon einen gewissen Teilbereich aus, der für uns natürlich schwer zu kompensieren ist.
Koch: Der Bund hat angekündigt, dass er im Grunde genommen diese ganze Steuersenkung über neue Schulden finanzieren möchte. Und im kommenden Jahr soll die Neuverschuldung auf etwa 27 Milliarden Euro steigen. Steuersenkung auf Pump – wie geht das denn mit der Schuldenbremse überhaupt zusammen?
Kramp-Karrenbauer: Also, wir haben ja die Schuldenbremse klar vereinbart. Der Bund hält das Ziel ja auch ein, der Schuldenabbau schreitet ja auch schneller im Moment voran, als das die Planzahlen hergegeben haben. Diese Steuerentlastungen mit Abbau der kalten Progression hat natürlich auch etwas mit dem Thema "Inflation" zu tun, und insofern ist der Ansatz, zu sagen: Wir geben im Grunde genommen auch als Ausgleich für Inflation den kleinen und mittleren Beziehern Geld zurück, das ihnen sonst unrechtmäßig entzogen wird. Das ist einer, der durchaus vertretbar ist. Ob er von allen geteilt wird, ist eine andere Frage.
Koch: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Frau Kramp-Karrenbauer, im Oktober dieses Jahres sind Sie als stellvertretende Bundesvorsitzende der Frauenunion wiedergewählt worden, Sie sind Ministerpräsidentin, haben drei Kinder. Wie vielen in Ihrer eigenen Partei sind Sie denn mit diesem Lebensmodell suspekt?
Kramp-Karrenbauer: Das müssen sie die Mitglieder in der Partei selbst fragen. Ich glaube, es gibt natürlich schon auch noch den einen oder anderen und die eine oder andere, für die das nach wie vor ein ungewöhnlicher Lebenslauf ist. Aber für die überwiegende Mehrheit in der Partei und vor allen Dingen auch für die wirklich weit überwiegende Mehrheit gerade der Frauen in der Partei ist das ein Modell, das sie durchaus nachvollziehen können. Und im Vergleich zur Biografie zu Ursula von der Leyen komme ich mit drei Kindern ja geradezu bescheiden daher.
Koch: Aber die Partei ringt um das Betreuungsgeld für Eltern, und zwar für diejenigen, die ihre Kinder eben nicht in eine Kindertagesstätte schicken. Warum fällt es denn der Union dann so schwer, vor Ihrem persönlichen Hintergrund betrachtet jetzt auch, sich an diesen gesellschaftlichen Realitäten auch zu orientieren?
Kramp-Karrenbauer: Wir haben immer gesagt in der Union, und dazu stehe ich auch, wir wollen eine Wahlfreiheit. Wir wollen Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, es soll jeder selbst entscheiden können. Dazu muss ich aber Rahmenbedingungen auch so stellen, dass es für beide möglich ist. Und das bedeutet auf der einen Seite, dass ich die Infrastruktur schaffe. Deswegen brauche ich auch weiter die Anstrengungen etwa im Bereich der Kinderkrippen, dort haben wir Nachholbedarf. Es bedeutet aber durchaus auch, dass es legitim ist, darüber nachzudenken, wie ich die Menschen stärke, die für sich, und das ja durchaus auch mit wohlerwogenen Gründen sagen,: Ich möchte meine Kinder selbst betreuen oder selbst erziehen. Und deswegen sage ich: Ich stehe dem Betreuungsgeld nach wie vor skeptisch gegenüber. Aber wenn man sich durchaus dieser Argumentation nähert, dann bin ich allerdings der Auffassung, dann sollte das Betreuungsgeld in Form einer zusätzlichen Alterssicherung auch gewährt werden, weil das dann auch Lücken in der Erwerbsbiografie, gerade von Frauen, schließt. Ich würde es nicht als Bargeld auszahlen.
Koch: Jetzt gibt es ja auch noch einen Vorschlag von Bundesfamilienministerin Christina Schröder, die dann sagt, dann lasst es uns zeitlich befristen, das ist das eine, oder eben auch an Eltern auszahlen, die teilzeitbeschäftigt sind. Glauben Sie, dass dieser Vorschlag noch eine Chance hat?
Kramp-Karrenbauer: Ich halte die Grundkonzeption der Barauszahlung, egal in welcher Form, eigentlich nicht für die geeignete, sondern ich plädiere klar dafür, wenn man diesen Weg gehen will, dann – bitte schön – als zusätzliche Leistung mit Blick auf die Alterssicherung.
Koch: Sie sind ja nicht die Einzige, die das sehr kritisch sieht, dass man im Grunde genommen einen Bürger dafür honoriert, dass er ein staatliches Angebot nicht wahrnimmt. Warum können Sie sich nicht durchsetzen? Woran hängt es?
Kramp-Karrenbauer: Also ich glaube, dass wir hier eine gewisse Schieflage in der Diskussion haben. Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, in der Eltern, in der gerade auch Frauen schief angeschaut wurden, wenn sie ihre Kinder in eine Kindertagesstätte gegeben haben. Und wir müssen schon aufpassen, dass jetzt mittlerweile nicht Eltern schief angeschaut werden, wenn sie sich entscheiden, ihr Kind zum Beispiel nicht in eine Krippe zu geben. Sie haben eben gesagt, das sei ein staatliches Angebot – und die Betonung liegt auf Angebot. Insofern bin ich auch nicht bei denjenigen, die das Betreuungsgeld als Herdprämie diffamieren, sondern aus meiner Sicht ist der Ansatz zu sagen, wie können wir auch diejenigen honorieren, die für sich ganz persönlich entscheiden, ich will sozusagen einen ganz besonderen Fokus auf die eigene Erziehung meiner Kinder auch legen, ohne dass es da zu Missbräuchen kommt. Das ist ja das, was am meisten gegen das Thema Barauszahlung spricht. Wenn man dieser Debatte folgen will, dann gibt es aus meiner Sicht einen guten und vernünftigen Weg, und das wäre der Blick über die zusätzliche Alterssicherung, weil wir natürlich sehen müssen, dass nach wie vor die Alterssicherung sich hauptsächlich über die bezahlte Arbeit abspielt und jede Unterbrechung auch für denjenigen der unterbricht, egal ob Mann oder Frau, ein Risiko mit sich bringt, im Alter arm zu sein. Und deswegen wäre der Ansatz zu sagen, dort wo es Unterbrechungen gibt, weil sie auch selbst gewollt sind, dort mindern wir sie ab durch etwa eine zusätzliche Altersvorsorge, den hielte ich dann auch für einen vernünftigen Weg.
Koch: Frau Kramp-Karrenbauer, dieses Betreuungsgeld muss man auch vor dem Hintergrund diskutieren des Profils der Partei. Ist es der Ansatz zu sagen, ich muss mein konservatives Profil stärken als CDU?
Kramp-Karrenbauer: Nein, es ist der Ausdruck davon, dass es kaum ein Thema gibt in der CDU, das das Herz und die Wurzeln der Partei so berührt wie das Thema Familienpolitik. Im Übrigen stelle ich das sehr häufig fest – unabhängig von Parteigrenzen – wenn ich mit Frauen diskutiere, und zwar berufstätigen Frauen und solchen, die sich entschieden haben, verstärkt wirklich zuhause die Aufgaben wahrzunehmen, dass das immer sehr schwierige Diskussionen sind, weil natürlich hinter jedem politischen Ansatz ein Stück weit auch eigene Biografie und Entscheidung für den eigenen Lebensverlauf stehen. Und jede andere Konzeption wird von vielen Menschen als Angriff auf die eigene persönliche Lebensentscheidung empfunden. Das macht das Thema so emotional und das war schon immer eines der Herzanliegen der CDU. Und so lange ich denken kann, wird um die Frage Familienpolitik in der CDU wirklich leidenschaftlich miteinander gerungen. Und deswegen ist es für mich auch überhaupt nicht verwunderlich, dass es jetzt beim Betreuungsgeld überhaupt nicht anders ist.
Koch: In Sachen Mindestlohn will die CDU die Wünsche der Konservativen, so sie denn da sind, in der Partei allerdings nicht länger bedienen und einen anderen Weg gehen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen sich künftig auf eine einheitliche Lohnuntergrenze verständigen. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Kramp-Karrenbauer: Also ich kann diesem Vorschlag sehr viel abgewinnen. Er ist im Übrigen ein Zeichen, dass die Partei funktioniert, denn wenn man sich den Diskussionsverlauf des letzten Jahres oder dieses Jahres anschaut, dann sieht man, es ist eine echte Bewegung, die von der Parteibasis, natürlich insbesondere auch vom Arbeitnehmerflügel, gekommen ist. Das Thema ist richtig hochgekocht auch in den Regionalkonferenzen. Etwas bei der Regionalkonferenz in Karlsruhe, also in Baden-Württemberg, kam die Hälfte der Wortmeldungen zum Thema Mindestlohn. Und es ist klar zum Ausdruck gebracht worden, und zwar gerade aus einem konservativ-christlichen Ansatz heraus, dass viele Menschen es als ungerecht empfinden, wenn Menschen Vollzeit arbeiten und von ihrem Lohn ihre Familie nicht ernähren können oder sich selbst nicht ernähren können. Also, das ist etwas, was an die Frage der Gerechtigkeit auch wirklich heranrührt. Und dass die Parteispitze, die am Anfang diesem Vorschlag ja sehr skeptisch gegenüber strand, jetzt auch mit Blick auf den Parteitag signalisiert hat, sie kann sich eine Lösung vorstellen, das zeigt, dass sozusagen der Weg von unten nach oben in der CDU durchaus funktioniert. Für mich ist es ganz wichtig, auch in einer klaren Abgrenzung zur Linken und zur SPD zu sagen, wir wollen keinen einheitlich gesetzlich festgelegten Mindestlohn, sondern für uns gilt nach wie vor: Absoluten Vorrang hat die Tarifregelung für die Branche, die die Tarifpartner ausverhandeln, denn das sichert auch, dass der Lohn so ausgehandelt ist, dass er die Produktivität mit berücksichtigt und letztendlich keine Arbeitsplätze infrage stellt oder vernichtet. Wir haben allerdings Entwicklungen, wo man das in einer Branche mit den Tarifvertragsparteien nicht hinbekommt. Und für diese Fälle hat die Bundespartei aus meiner Sicht zu Recht gesagt, für diese Fälle hat bisher die gesetzliche Regelung, die wir haben, nämlich das Mindestarbeitsbedingungsgesetz, im Grunde genommen versagt. Es wird nicht angewandt. Und deswegen brauchen wir dort eine andere Konstruktion. Das könnte diese Kommission sein aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die dann eine Lohnuntergrenze festlegt. Worüber im Moment gestritten wird und das wird sicherlich auch eine Diskussion nach dem Parteitag sein, ist die Frage, soll es dann eine automatische Festlegung auf die bisher schon tariflich gefundene Lohnuntergrenze der Zeitarbeit sein oder soll noch mal die Möglichkeit bestehen, dass die Kommission mit Blick auf die jeweilige Branche sozusagen noch mal ein individuelles Ergebnis festlegen kann.
Koch: Wie sehen Sie das? Ich meine dieser Zeitarbeitsfaktor ist ein wesentlicher Faktor. Und das wird, wie Sie sagen, auch zu Diskussionen führen. Soll man sich orientieren, ja oder nein?
Kramp-Karrenbauer: Also, ich habe immer gesagt, dass dieser Vorschlag, der ja von der CDA kommt, für mich durchaus mit tragbar ist, weil es sich erst einmal um einen Abschluss handelt, der tarifvertraglich ausgehandelt wurde und ein Abschluss ist, der ja gerade branchenübergreifend ist. Und wenn jemand sich in seinem Geschäft einen Leiharbeiter für den entsprechenden Tariflohn einstellt, dann muss es ihm eigentlich auch möglich sein, einen Stammarbeiter genau so zu bezahlen. Mir ist es aber vor allen Dingen mit Blick auf den Bundesparteitag ganz wichtig, dass wir zu einer Entscheidung hinsichtlich einer Lohnuntergrenze kommen. Das ist das ganz wichtige Signal, das davon ausgehen muss. Deswegen wird es sicherlich auch auf dem Parteitag das Bemühen aller Seiten geben, dass es hier nicht zu einem Zufallsergebnis im Rahmen einer ganz hitzigen Debatte kommt, sondern dass man versuchen wird, im Vorfeld sicherlich eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Koch: Aus Baden-Württemberg kam gestern noch der Hinweis, dass man Vorsicht walten lassen müsse hinsichtlich der einheitlichen Lohnuntergrenze, und zwar weil die regionalen Kaufkraftunterschiede einfach dadurch nicht abgebildet würden. Also sieben Euro in Saarbrücken seien eben keine sieben Euro in Stuttgart. Muss da auch noch nachgearbeitet werden an dieser Stelle?
Kramp-Karrenbauer: Also, das sehe ich nicht so dramatisch, denn soweit ich das sehe, sind etwa bei den Flächentarifverträgen diese regionalen Unterschiede auch nicht eingearbeitet. Und auch für diejenigen sind sieben Euro in Saarbrücken etwas anderes als sieben Euro in Stuttgart.
Koch: Sie sind ein Befürworter, Sie sind schon seit langer Zeit ein Befürworter für diese Lohnuntergrenze oder Mindestlohn. Wo ist eigentlich der Unterschied? Wir bekommen einen Mindestlohn, auch wenn man ein anderes Wort dafür sucht, weil man Mindestlohn nicht verwenden will.
Kramp-Karrenbauer: Der Unterschied liegt darin, dass die Konstruktion, die wir vorschlagen, immer sicherstellt, dass es ein Lohn ist, der wirtschaftsverträglich ist, weil er nicht einfach politisch gegriffen eine Zahl festlegt, ohne zu berücksichtigen, wie es sich mit der Produktivität etwa in der Branche verhält. Und das ist der große Unterschied etwa zu den Vorschlägen insbesondere der Linken. Für die ist das ein politischer Lohn, ein politischer Preis. Für uns ist es einer, der sich aus den wirtschaftlichen Aspekten ergeben muss und der ganz in der Tradition der Tarifautonomie vor allen Dingen natürlich auch von den Partnern ausgehandelt werden soll. Und nur dort, wo es nicht funktioniert, da muss man aus meiner Sicht dann eingreifen.
Koch: Aber im Verständnis bleibt es ein Mindestlohn?
Kramp-Karrenbauer: Im Verständnis bleibt es eine Untergrenze, die aus meiner Sicht wichtig ist, weil wir gerade auch mit Blick auf das Thema soziale Marktwirtschaft doch nicht ein System zulassen können, das ohne eine solche Lohnuntergrenze – und diese Auswüchse gibt es – im Grunde genommen Unternehmen die Möglichkeit gibt, einen geringsten Lohn zu bezahlen in der Gewissheit, dass der Staat dann etwa über die Aufstockerleistungen für die Existenz des Arbeitnehmers aufkommt. Das ist keine soziale Marktwirtschaft, so wie ich sie verstehe, und sicherlich auch schon gar nicht die CDU versteht.
Koch: Frau Kramp-Karrenbauer, auch bei der Bildung ringt die CDU um einen neuen Kurs, ein zweigliedriges Schulsystem, das heißt eine Schule für alle Abschlüsse und daneben das Gymnasium. Dieses Modell soll das differenzierte dreigliedrige Schulmodell ablösen. Auf Regionalkonferenzen hat die CDU heftig über diese Problematik gestritten. Lässt sich die CDU nun auch in der Bildungspolitik sozusagen mit der gesellschaftlichen Realität versöhnen?
Kramp-Karrenbauer: Wenn man sich die bildungspolitische Realität in den Bundesländern anschaut, und zwar unabhängig davon, wie sie regiert sind, dann sieht man, dass wir in einem guten Teil der Länder Entwicklungen hin zur Zweigliedrigkeit haben, und zwar weniger aus ideologischen Gründen, sondern vor allen Dingen auch aus demografischen Gründen. Wir werden in den nächsten Jahren einen massiven Rückgang an Schülern haben. Und wenn man in einer wirklich guten Qualität und einigermaßen wohnortnah Schulabschlüsse für Schülerinnen und Schüler ermöglichen will, dann wird man gezwungen sein, verschiedene Bildungsgänge auch sozusagen unter einem Dach anzubieten.
Koch: Aber das Thema ist sehr emotional besetzt, auch in der Partei. Und es gibt viele, die können mit dieser Begrifflichkeit wenig anfangen und wollen sich auch nicht in diese Richtung bewegen. Oder sehe ich das falsch?
Kramp-Karrenbauer: Also, es ist in der Tat so, dass sicherlich neben dem Thema Familienpolitik ein zweites Thema die CDU schon immer sehr umgetrieben hat, und das ist das Thema Bildungspolitik. Das sind wirklich zwei der Kernthemen. Insofern war für mich vollkommen klar, dass dieses Thema eine heftige Diskussion auslösen wird. Und es war auch richtig und hat sich als richtig erwiesen, dass die Partei in einem großen zeitlichen Vorlauf mit sehr viel Raum auch zur Diskussion, im Übrigen auch für Nichtparteimitglieder, diese Diskussion geöffnet hat. Man muss feststellen, dass es in allen Bundesländern, auch in denjenigen, die noch ein klares dreigliedriges System haben, auch jetzt schon Schulformen gibt, die Kooperationen unter einem Dach ermöglichen. Ich stelle mit Verwunderung fest, dass in dem einen oder anderen Bundesland, das so massiv auch für die Hauptschule eintritt, die Zahl der faktisch und real existierenden Hauptschulen sich im einstelligen Bereich bewegt. Also, insofern mit Blick auf die Realität muss man sich schon fragen, ob das eine oder andere an heftiger Diskussion den Gegebenheiten im eigenen Land entspricht.
Koch: Welchen Weg wird denn der Parteitag einschlagen in dieser Frage der Bildungspolitik?
Kramp-Karrenbauer: Ich glaube, dass im Vorfeld und im Rahmen der Gesamtdebatte ja schon viele Punkte geklärt werden konnten, viele Änderungsvorschläge aufgenommen werden konnten. Es wird auch, wenn der Beschluss auf dem Parteitag so erfolgt, niemand gezwungen sein, seine Hauptschule zu schließen, sondern jeder hat die Möglichkeit, das durchaus auch noch eigenständig aufrecht zu erhalten. Aber die Partei bekennt sich ganz klar dazu, mit Blick auch auf die Schülerentwicklungen wird das Modell der Zukunft ein Zwei-Säulen-Modell sein. Und das halte ich noch mal in der Alternative zur Einheitsschule für alle auch für das richtige Modell.
Koch: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Kramp-Karrenbauer.
Kramp-Karrenbauer: Bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Annegret Kramp-Karrenbauer: Insgesamt hat die Arbeit einen guten Anfang genommen. Wir haben schnell auch nach der MP-Wahl Tritt gefasst, die Arbeitsabläufe werden quasi reibungslos weitergeführt. Auch mit der neuen Mannschaft sind viele ganz wichtige Kontakte auch mit Blick auf saarländische Interessenvertretungen geknüpft worden. Und, was besonders wichtig ist, die Hauptaufgabe des Landes, nämlich im Rahmen von "Saarland 2020" sich im Rahmen der Schuldenbremse, aber auch mit Blick auf die Attraktivierung aufzustellen, diese Arbeiten laufen hinter den Kulissen sehr geräuschlos, sodass ich sehr zuversichtlich bin, dass wir die Ergebnisse dann auch im Frühsommer präsentieren können.
Koch: Nach nur einhundert Tagen sehen Sie sich mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss konfrontiert. Es geht um Schlamperei und Günstlingswirtschaft und um eine durchaus vermeidbare Kostenexplosion bei dem Bau eines Museums. Und die Opposition, so scheint es, versucht nun, diese politische Verantwortung in erster Linie bei Ihnen zu verorten. Sind Sie in Erklärungsnöten, oder haben Sie sich nichts vorzuwerfen?
Kramp-Karrenbauer: Also, ich bin nicht in Erklärungsnöten. Dass die Opposition, die ja schon vor Wochen angekündigt hat, einen Untersuchungsausschuss machen zu wollen, den natürlich auf diejenige konzentriert, die noch aktiv mit dem höchsten Amt in der Politik ist und die die Hauptgegnerin auch in der Landespolitik ist, das ist, glaube ich, ein politisches Kalkül, das jeder nachvollziehen kann. Ich habe meine Stellungnahme zum vierten Pavillon ja abgegeben. Es gab ja den einen oder anderen Vorwurf, der gegen mich im Raum stand und der aus meiner Sicht in der Kulturausschusssitzung auch entkräftet wurde. Insgesamt habe ich ein laufendes Verfahren, ein bestehendes System übernommen. Ich habe in vielen Punkten auch auf das System, auch auf handelnde Personen vertraut, und das hat sich im Nachhinein als falsch erwiesen.
Koch: Ihr Start war ein wenig holprig, Sie benötigten einen zweiten Wahlgang. Und auch in diesem entscheidenden Wahlgang hat Ihnen ein Mitglied der Regierungskoalition die Zustimmung verweigert. Wie regiert es sich denn mit der Gewissheit, dass eine oder einer aus den eigenen Reihen – dass auf diesen Menschen eben kein Verlass ist?
Kramp-Karrenbauer: Mit der klaren Erkenntnis, wenn es hart auf hart kommt, hat man eine Mehrheit. Aber die ist um eins geringer, als das rechnerisch möglich wäre. Ansonsten hab ich diesen Wahlvorgang für mich sofort abgehakt. Wir stehen jetzt vor wichtigen und schwierigen Sachentscheidungen, darauf konzentriere ich mich. Und die in einer Dreierkonstellation durchzusetzen, das ist nicht einfach, das muss man ganz offen sagen. Das erfordert ein hohes Maß an Überzeugungsarbeit, an Abstimmungsarbeit. Und damit ist man dann so ausgelastet, dass man sich über den Wahlgang an sich gar keine Gedanken mehr macht.
Koch: Sie haben die Dreierkoalition eben angesprochen. "Jamaika" ist die hierzulande praktizierte politische Zusammenarbeit zwischen Christdemokraten, Liberalen und Grünen. Und diese Zusammenarbeit wurde von Ihrem Vorgänger im Amt, Peter Müller, als zukunftsweisendes Modell gepriesen. Teilen Sie diese Auffassung eigentlich noch?
Kramp-Karrenbauer: Es ist eine Konstellation, die sicherlich in der ganz spezifischen Situation nach der Landtagswahl im Saarland zustande gekommen ist. Ob es ein Modell ist, das auch für andere Bundesländer taugt oder darüber hinaus, das ist schwierig zu beurteilen. Das ist immer sehr abhängig von der Konstellation im jeweiligen Bundesland selbst.
Koch: Allerdings ist der Eindruck, finde ich, nicht von der Hand zu weisen, dass das Saarland aufgrund dieser politischen Konstellation zuweilen abseitssteht, zum Beispiel im Bundesrat. Da dürfen Sie kaum einmal die Hand heben, weil der kleinste gemeinsame Nenner, auf den Sie sich verständigen können, eben Enthaltung heißt. Das war zum Beispiel beim letzten Steuerpaket so. Und jetzt ist eben die Frage: Wie wird es sein beim anstehenden Steuersenkungspaket? Geht es da in dieser Weise ähnlich?
Kramp-Karrenbauer: Also, zuerst einmal muss man sagen, dass das eine Konstellation ist, die alle Koalitionsregierungen trifft, die quasi zwei Regierungspartner aus A- oder B-Lagern haben. Und das ist auch bei großen Koalitionen nicht anders, und überall gibt es die Vereinbarung: Wenn man sich nicht einigen kann, dann enthält man sich. Und das wird sicherlich mit dem anstehenden Bundestagswahlkampf noch eine schwierigere Situation für alle Koalitionsregierungen. Was das aktuelle Steuersenkungspaket anbelangt, so gibt es hier, unabhängig von den Parteigrenzen, sicherlich eine ganz spezifische Interessenslage des Saarlandes. Wir sind heute Notlage-Land, wir müssen die Schuldenbremse einhalten, um Konsolidierungshilfen zu erhalten. Da ist jeder Euro, den wir bei den Einnahmen verlieren, der uns dort wegbricht, ein Euro, der auf der anderen Seite die Sparlast und den Spardruck erhöht. Und deswegen haben wir von Anfang an gesagt – das Saarland: Wir stehen Steuersenkungsplänen, die so zusagen Negativfolgen für die Länder haben, sehr skeptisch gegenüber. Und deswegen bleibe ich bei meiner Einschätzung, dass es kaum eine Chance gibt, dass das Saarland diesem Paket im Bundesrat zustimmt.
Koch: Abgesehen von dieser Länderproblematik muss man ja auch grundsätzlich mit der Fragestellung umgehen, ob eine Steuersenkung in der Größenordnung von plus/minus sechs Milliarden Euro in den Jahren 2013, 2014 überhaupt in die Landschaft passt.
Kramp-Karrenbauer: Also, man muss ja sehen, dass dieses Paket, so wie es jetzt verhandelt ist, einen ganz wichtigen Punkt beinhaltet, bei dem aus meiner Sicht der Gesetzgeber nicht sehr viel Spielraum hat, das ist das Thema "Existenzminimum". Der neue Bericht wird jetzt auf den Tisch kommen, er wird ja Vorgaben machen, wie das Existenzminimum zu erhöhen ist. Und das Verfassungsgericht hat klare Vorgaben gemacht, was die Sicherstellung dieses Existenzminimums anbelangt. Also insofern wird das schon noch eine Frage sein, die die Politik betrifft: Kommen wir an dieser Entscheidung überhaupt vorbei' Das andere ist das Thema, wo ja der Bund erklärt, das will er mit eigenen Mitteln machen, in den Abbau der kalten Progression einzusteigen. Das hat in der Tat etwas mit Steuergerechtigkeit, insbesondere für kleine und mittlere Einkommen, zu tun, die im Grunde genommen durch die kalte Progression nie von ihrer Lohnerhöhung in irgendeiner Art und Weise profitieren. Also insofern ist es richtig, diesen Punkt auch entscheidend mit anzugehen. Dass das natürlich in einer Situation, in der vor allen Dingen der Schuldenabbau im Vordergrund steht, auch schwierig zu vermitteln ist, das ist mir sehr bewusst.
Koch: Bleiben wir noch einen Moment beim Existenzminimum. Es ist richtig, das Bundesverfassungsgericht sagt: Der Fiskus darf da nicht zugreifen. Das bedeutet, dass der Grundfreibetrag sowieso verfassungsmäßig erhöht werden muss. Aber das macht nur einen kleinen Teil dieser geplanten Steuerentlastung aus. Dann könnte ich ja auch sagen: Lasst uns doch einfach kleinere Brötchen backen und diesen zweiten Schritt, der für 2014 vorgesehen ist, also nach der Bundestagswahl, weglassen.
Kramp-Karrenbauer: Also mit Blick auf die Länderfinanzen muss man sagen, dass gerade der erste Schritt derjenige ist, der die Länder belastet, es ist ja auch eine gesamtstaatliche Aufgabe. Der zweite Schritt – sagen wir mal – soll ja vom Bund komplett alleine finanziert werden. Insofern ist das eine Diskussion sicherlich auch auf der Bundesebene. Die Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag ganz klar dazu bekannt, die kalte Progression abbauen zu wollen. Und dass sie natürlich noch auch auf der Grundlage des Koalitionsvertrages zumindestens einen ersten Schritt in dieser Legislaturperiode vollziehen will, das ist legitim. Uns als Länder drückt vor allen Dingen das Thema Existenzminimum, denn da müssen wir mitfinanzieren.
Koch: Aber braucht man denn diese vier Milliarden, um diesen verfassungsmäßigen Grundsatz umzusetzen, geht es denn nicht auch mit weniger? Im Grunde genommen sieht es doch so aus, dass auch beim Existenzminimum die Anhebung gesplittet wird – zeitlich.
Kramp-Karrenbauer: Wenn man das Existenzminimum freistellt, muss man natürlich auch den Progressionsverlauf nach rechts anpassen, ansonsten hat man ja Unwuchten und Ungerechtigkeiten. Also das ist ein Automatismus. Deswegen erscheinen mir vom Grundsatz her die vier Milliarden Euro durchaus nachvollziehbar. Wir werden noch mal, und dabei sind wir im Moment, natürlich genau berechnen, wie verteilt sich das mit Blick auf das Saarland, wie sieht es mit dieser – ich sage einmal – vom Verfassungsgericht vorgegebenen Notwendigkeit aus, gibt es da einen Automatismus, hat man Spielraum? Im Übrigen werden wir ja sicherlich in ein entsprechendes Vermittlungsverfahren einsteigen. Und das werden sicherlich auch Punkte sein, die dort zu besprechen sind.
Koch: Sie sagen: Wir müssen noch genau prüfen. Haben Sie eine Vorstellung, was ungefähr auf das Saarland zukommt?
Kramp-Karrenbauer: Wir gehen im Moment davon aus, dass das im Saarland betrachtet rd. 25 Millionen Euro ausmacht. Wenn man weiß, dass wir zum Beispiel 260 Millionen Sanierungshilfen erhalten und man davon 25 Millionen wegrechnet, dann macht das schon einen gewissen Teilbereich aus, der für uns natürlich schwer zu kompensieren ist.
Koch: Der Bund hat angekündigt, dass er im Grunde genommen diese ganze Steuersenkung über neue Schulden finanzieren möchte. Und im kommenden Jahr soll die Neuverschuldung auf etwa 27 Milliarden Euro steigen. Steuersenkung auf Pump – wie geht das denn mit der Schuldenbremse überhaupt zusammen?
Kramp-Karrenbauer: Also, wir haben ja die Schuldenbremse klar vereinbart. Der Bund hält das Ziel ja auch ein, der Schuldenabbau schreitet ja auch schneller im Moment voran, als das die Planzahlen hergegeben haben. Diese Steuerentlastungen mit Abbau der kalten Progression hat natürlich auch etwas mit dem Thema "Inflation" zu tun, und insofern ist der Ansatz, zu sagen: Wir geben im Grunde genommen auch als Ausgleich für Inflation den kleinen und mittleren Beziehern Geld zurück, das ihnen sonst unrechtmäßig entzogen wird. Das ist einer, der durchaus vertretbar ist. Ob er von allen geteilt wird, ist eine andere Frage.
Koch: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Frau Kramp-Karrenbauer, im Oktober dieses Jahres sind Sie als stellvertretende Bundesvorsitzende der Frauenunion wiedergewählt worden, Sie sind Ministerpräsidentin, haben drei Kinder. Wie vielen in Ihrer eigenen Partei sind Sie denn mit diesem Lebensmodell suspekt?
Kramp-Karrenbauer: Das müssen sie die Mitglieder in der Partei selbst fragen. Ich glaube, es gibt natürlich schon auch noch den einen oder anderen und die eine oder andere, für die das nach wie vor ein ungewöhnlicher Lebenslauf ist. Aber für die überwiegende Mehrheit in der Partei und vor allen Dingen auch für die wirklich weit überwiegende Mehrheit gerade der Frauen in der Partei ist das ein Modell, das sie durchaus nachvollziehen können. Und im Vergleich zur Biografie zu Ursula von der Leyen komme ich mit drei Kindern ja geradezu bescheiden daher.
Koch: Aber die Partei ringt um das Betreuungsgeld für Eltern, und zwar für diejenigen, die ihre Kinder eben nicht in eine Kindertagesstätte schicken. Warum fällt es denn der Union dann so schwer, vor Ihrem persönlichen Hintergrund betrachtet jetzt auch, sich an diesen gesellschaftlichen Realitäten auch zu orientieren?
Kramp-Karrenbauer: Wir haben immer gesagt in der Union, und dazu stehe ich auch, wir wollen eine Wahlfreiheit. Wir wollen Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, es soll jeder selbst entscheiden können. Dazu muss ich aber Rahmenbedingungen auch so stellen, dass es für beide möglich ist. Und das bedeutet auf der einen Seite, dass ich die Infrastruktur schaffe. Deswegen brauche ich auch weiter die Anstrengungen etwa im Bereich der Kinderkrippen, dort haben wir Nachholbedarf. Es bedeutet aber durchaus auch, dass es legitim ist, darüber nachzudenken, wie ich die Menschen stärke, die für sich, und das ja durchaus auch mit wohlerwogenen Gründen sagen,: Ich möchte meine Kinder selbst betreuen oder selbst erziehen. Und deswegen sage ich: Ich stehe dem Betreuungsgeld nach wie vor skeptisch gegenüber. Aber wenn man sich durchaus dieser Argumentation nähert, dann bin ich allerdings der Auffassung, dann sollte das Betreuungsgeld in Form einer zusätzlichen Alterssicherung auch gewährt werden, weil das dann auch Lücken in der Erwerbsbiografie, gerade von Frauen, schließt. Ich würde es nicht als Bargeld auszahlen.
Koch: Jetzt gibt es ja auch noch einen Vorschlag von Bundesfamilienministerin Christina Schröder, die dann sagt, dann lasst es uns zeitlich befristen, das ist das eine, oder eben auch an Eltern auszahlen, die teilzeitbeschäftigt sind. Glauben Sie, dass dieser Vorschlag noch eine Chance hat?
Kramp-Karrenbauer: Ich halte die Grundkonzeption der Barauszahlung, egal in welcher Form, eigentlich nicht für die geeignete, sondern ich plädiere klar dafür, wenn man diesen Weg gehen will, dann – bitte schön – als zusätzliche Leistung mit Blick auf die Alterssicherung.
Koch: Sie sind ja nicht die Einzige, die das sehr kritisch sieht, dass man im Grunde genommen einen Bürger dafür honoriert, dass er ein staatliches Angebot nicht wahrnimmt. Warum können Sie sich nicht durchsetzen? Woran hängt es?
Kramp-Karrenbauer: Also ich glaube, dass wir hier eine gewisse Schieflage in der Diskussion haben. Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, in der Eltern, in der gerade auch Frauen schief angeschaut wurden, wenn sie ihre Kinder in eine Kindertagesstätte gegeben haben. Und wir müssen schon aufpassen, dass jetzt mittlerweile nicht Eltern schief angeschaut werden, wenn sie sich entscheiden, ihr Kind zum Beispiel nicht in eine Krippe zu geben. Sie haben eben gesagt, das sei ein staatliches Angebot – und die Betonung liegt auf Angebot. Insofern bin ich auch nicht bei denjenigen, die das Betreuungsgeld als Herdprämie diffamieren, sondern aus meiner Sicht ist der Ansatz zu sagen, wie können wir auch diejenigen honorieren, die für sich ganz persönlich entscheiden, ich will sozusagen einen ganz besonderen Fokus auf die eigene Erziehung meiner Kinder auch legen, ohne dass es da zu Missbräuchen kommt. Das ist ja das, was am meisten gegen das Thema Barauszahlung spricht. Wenn man dieser Debatte folgen will, dann gibt es aus meiner Sicht einen guten und vernünftigen Weg, und das wäre der Blick über die zusätzliche Alterssicherung, weil wir natürlich sehen müssen, dass nach wie vor die Alterssicherung sich hauptsächlich über die bezahlte Arbeit abspielt und jede Unterbrechung auch für denjenigen der unterbricht, egal ob Mann oder Frau, ein Risiko mit sich bringt, im Alter arm zu sein. Und deswegen wäre der Ansatz zu sagen, dort wo es Unterbrechungen gibt, weil sie auch selbst gewollt sind, dort mindern wir sie ab durch etwa eine zusätzliche Altersvorsorge, den hielte ich dann auch für einen vernünftigen Weg.
Koch: Frau Kramp-Karrenbauer, dieses Betreuungsgeld muss man auch vor dem Hintergrund diskutieren des Profils der Partei. Ist es der Ansatz zu sagen, ich muss mein konservatives Profil stärken als CDU?
Kramp-Karrenbauer: Nein, es ist der Ausdruck davon, dass es kaum ein Thema gibt in der CDU, das das Herz und die Wurzeln der Partei so berührt wie das Thema Familienpolitik. Im Übrigen stelle ich das sehr häufig fest – unabhängig von Parteigrenzen – wenn ich mit Frauen diskutiere, und zwar berufstätigen Frauen und solchen, die sich entschieden haben, verstärkt wirklich zuhause die Aufgaben wahrzunehmen, dass das immer sehr schwierige Diskussionen sind, weil natürlich hinter jedem politischen Ansatz ein Stück weit auch eigene Biografie und Entscheidung für den eigenen Lebensverlauf stehen. Und jede andere Konzeption wird von vielen Menschen als Angriff auf die eigene persönliche Lebensentscheidung empfunden. Das macht das Thema so emotional und das war schon immer eines der Herzanliegen der CDU. Und so lange ich denken kann, wird um die Frage Familienpolitik in der CDU wirklich leidenschaftlich miteinander gerungen. Und deswegen ist es für mich auch überhaupt nicht verwunderlich, dass es jetzt beim Betreuungsgeld überhaupt nicht anders ist.
Koch: In Sachen Mindestlohn will die CDU die Wünsche der Konservativen, so sie denn da sind, in der Partei allerdings nicht länger bedienen und einen anderen Weg gehen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen sich künftig auf eine einheitliche Lohnuntergrenze verständigen. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Kramp-Karrenbauer: Also ich kann diesem Vorschlag sehr viel abgewinnen. Er ist im Übrigen ein Zeichen, dass die Partei funktioniert, denn wenn man sich den Diskussionsverlauf des letzten Jahres oder dieses Jahres anschaut, dann sieht man, es ist eine echte Bewegung, die von der Parteibasis, natürlich insbesondere auch vom Arbeitnehmerflügel, gekommen ist. Das Thema ist richtig hochgekocht auch in den Regionalkonferenzen. Etwas bei der Regionalkonferenz in Karlsruhe, also in Baden-Württemberg, kam die Hälfte der Wortmeldungen zum Thema Mindestlohn. Und es ist klar zum Ausdruck gebracht worden, und zwar gerade aus einem konservativ-christlichen Ansatz heraus, dass viele Menschen es als ungerecht empfinden, wenn Menschen Vollzeit arbeiten und von ihrem Lohn ihre Familie nicht ernähren können oder sich selbst nicht ernähren können. Also, das ist etwas, was an die Frage der Gerechtigkeit auch wirklich heranrührt. Und dass die Parteispitze, die am Anfang diesem Vorschlag ja sehr skeptisch gegenüber strand, jetzt auch mit Blick auf den Parteitag signalisiert hat, sie kann sich eine Lösung vorstellen, das zeigt, dass sozusagen der Weg von unten nach oben in der CDU durchaus funktioniert. Für mich ist es ganz wichtig, auch in einer klaren Abgrenzung zur Linken und zur SPD zu sagen, wir wollen keinen einheitlich gesetzlich festgelegten Mindestlohn, sondern für uns gilt nach wie vor: Absoluten Vorrang hat die Tarifregelung für die Branche, die die Tarifpartner ausverhandeln, denn das sichert auch, dass der Lohn so ausgehandelt ist, dass er die Produktivität mit berücksichtigt und letztendlich keine Arbeitsplätze infrage stellt oder vernichtet. Wir haben allerdings Entwicklungen, wo man das in einer Branche mit den Tarifvertragsparteien nicht hinbekommt. Und für diese Fälle hat die Bundespartei aus meiner Sicht zu Recht gesagt, für diese Fälle hat bisher die gesetzliche Regelung, die wir haben, nämlich das Mindestarbeitsbedingungsgesetz, im Grunde genommen versagt. Es wird nicht angewandt. Und deswegen brauchen wir dort eine andere Konstruktion. Das könnte diese Kommission sein aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die dann eine Lohnuntergrenze festlegt. Worüber im Moment gestritten wird und das wird sicherlich auch eine Diskussion nach dem Parteitag sein, ist die Frage, soll es dann eine automatische Festlegung auf die bisher schon tariflich gefundene Lohnuntergrenze der Zeitarbeit sein oder soll noch mal die Möglichkeit bestehen, dass die Kommission mit Blick auf die jeweilige Branche sozusagen noch mal ein individuelles Ergebnis festlegen kann.
Koch: Wie sehen Sie das? Ich meine dieser Zeitarbeitsfaktor ist ein wesentlicher Faktor. Und das wird, wie Sie sagen, auch zu Diskussionen führen. Soll man sich orientieren, ja oder nein?
Kramp-Karrenbauer: Also, ich habe immer gesagt, dass dieser Vorschlag, der ja von der CDA kommt, für mich durchaus mit tragbar ist, weil es sich erst einmal um einen Abschluss handelt, der tarifvertraglich ausgehandelt wurde und ein Abschluss ist, der ja gerade branchenübergreifend ist. Und wenn jemand sich in seinem Geschäft einen Leiharbeiter für den entsprechenden Tariflohn einstellt, dann muss es ihm eigentlich auch möglich sein, einen Stammarbeiter genau so zu bezahlen. Mir ist es aber vor allen Dingen mit Blick auf den Bundesparteitag ganz wichtig, dass wir zu einer Entscheidung hinsichtlich einer Lohnuntergrenze kommen. Das ist das ganz wichtige Signal, das davon ausgehen muss. Deswegen wird es sicherlich auch auf dem Parteitag das Bemühen aller Seiten geben, dass es hier nicht zu einem Zufallsergebnis im Rahmen einer ganz hitzigen Debatte kommt, sondern dass man versuchen wird, im Vorfeld sicherlich eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Koch: Aus Baden-Württemberg kam gestern noch der Hinweis, dass man Vorsicht walten lassen müsse hinsichtlich der einheitlichen Lohnuntergrenze, und zwar weil die regionalen Kaufkraftunterschiede einfach dadurch nicht abgebildet würden. Also sieben Euro in Saarbrücken seien eben keine sieben Euro in Stuttgart. Muss da auch noch nachgearbeitet werden an dieser Stelle?
Kramp-Karrenbauer: Also, das sehe ich nicht so dramatisch, denn soweit ich das sehe, sind etwa bei den Flächentarifverträgen diese regionalen Unterschiede auch nicht eingearbeitet. Und auch für diejenigen sind sieben Euro in Saarbrücken etwas anderes als sieben Euro in Stuttgart.
Koch: Sie sind ein Befürworter, Sie sind schon seit langer Zeit ein Befürworter für diese Lohnuntergrenze oder Mindestlohn. Wo ist eigentlich der Unterschied? Wir bekommen einen Mindestlohn, auch wenn man ein anderes Wort dafür sucht, weil man Mindestlohn nicht verwenden will.
Kramp-Karrenbauer: Der Unterschied liegt darin, dass die Konstruktion, die wir vorschlagen, immer sicherstellt, dass es ein Lohn ist, der wirtschaftsverträglich ist, weil er nicht einfach politisch gegriffen eine Zahl festlegt, ohne zu berücksichtigen, wie es sich mit der Produktivität etwa in der Branche verhält. Und das ist der große Unterschied etwa zu den Vorschlägen insbesondere der Linken. Für die ist das ein politischer Lohn, ein politischer Preis. Für uns ist es einer, der sich aus den wirtschaftlichen Aspekten ergeben muss und der ganz in der Tradition der Tarifautonomie vor allen Dingen natürlich auch von den Partnern ausgehandelt werden soll. Und nur dort, wo es nicht funktioniert, da muss man aus meiner Sicht dann eingreifen.
Koch: Aber im Verständnis bleibt es ein Mindestlohn?
Kramp-Karrenbauer: Im Verständnis bleibt es eine Untergrenze, die aus meiner Sicht wichtig ist, weil wir gerade auch mit Blick auf das Thema soziale Marktwirtschaft doch nicht ein System zulassen können, das ohne eine solche Lohnuntergrenze – und diese Auswüchse gibt es – im Grunde genommen Unternehmen die Möglichkeit gibt, einen geringsten Lohn zu bezahlen in der Gewissheit, dass der Staat dann etwa über die Aufstockerleistungen für die Existenz des Arbeitnehmers aufkommt. Das ist keine soziale Marktwirtschaft, so wie ich sie verstehe, und sicherlich auch schon gar nicht die CDU versteht.
Koch: Frau Kramp-Karrenbauer, auch bei der Bildung ringt die CDU um einen neuen Kurs, ein zweigliedriges Schulsystem, das heißt eine Schule für alle Abschlüsse und daneben das Gymnasium. Dieses Modell soll das differenzierte dreigliedrige Schulmodell ablösen. Auf Regionalkonferenzen hat die CDU heftig über diese Problematik gestritten. Lässt sich die CDU nun auch in der Bildungspolitik sozusagen mit der gesellschaftlichen Realität versöhnen?
Kramp-Karrenbauer: Wenn man sich die bildungspolitische Realität in den Bundesländern anschaut, und zwar unabhängig davon, wie sie regiert sind, dann sieht man, dass wir in einem guten Teil der Länder Entwicklungen hin zur Zweigliedrigkeit haben, und zwar weniger aus ideologischen Gründen, sondern vor allen Dingen auch aus demografischen Gründen. Wir werden in den nächsten Jahren einen massiven Rückgang an Schülern haben. Und wenn man in einer wirklich guten Qualität und einigermaßen wohnortnah Schulabschlüsse für Schülerinnen und Schüler ermöglichen will, dann wird man gezwungen sein, verschiedene Bildungsgänge auch sozusagen unter einem Dach anzubieten.
Koch: Aber das Thema ist sehr emotional besetzt, auch in der Partei. Und es gibt viele, die können mit dieser Begrifflichkeit wenig anfangen und wollen sich auch nicht in diese Richtung bewegen. Oder sehe ich das falsch?
Kramp-Karrenbauer: Also, es ist in der Tat so, dass sicherlich neben dem Thema Familienpolitik ein zweites Thema die CDU schon immer sehr umgetrieben hat, und das ist das Thema Bildungspolitik. Das sind wirklich zwei der Kernthemen. Insofern war für mich vollkommen klar, dass dieses Thema eine heftige Diskussion auslösen wird. Und es war auch richtig und hat sich als richtig erwiesen, dass die Partei in einem großen zeitlichen Vorlauf mit sehr viel Raum auch zur Diskussion, im Übrigen auch für Nichtparteimitglieder, diese Diskussion geöffnet hat. Man muss feststellen, dass es in allen Bundesländern, auch in denjenigen, die noch ein klares dreigliedriges System haben, auch jetzt schon Schulformen gibt, die Kooperationen unter einem Dach ermöglichen. Ich stelle mit Verwunderung fest, dass in dem einen oder anderen Bundesland, das so massiv auch für die Hauptschule eintritt, die Zahl der faktisch und real existierenden Hauptschulen sich im einstelligen Bereich bewegt. Also, insofern mit Blick auf die Realität muss man sich schon fragen, ob das eine oder andere an heftiger Diskussion den Gegebenheiten im eigenen Land entspricht.
Koch: Welchen Weg wird denn der Parteitag einschlagen in dieser Frage der Bildungspolitik?
Kramp-Karrenbauer: Ich glaube, dass im Vorfeld und im Rahmen der Gesamtdebatte ja schon viele Punkte geklärt werden konnten, viele Änderungsvorschläge aufgenommen werden konnten. Es wird auch, wenn der Beschluss auf dem Parteitag so erfolgt, niemand gezwungen sein, seine Hauptschule zu schließen, sondern jeder hat die Möglichkeit, das durchaus auch noch eigenständig aufrecht zu erhalten. Aber die Partei bekennt sich ganz klar dazu, mit Blick auch auf die Schülerentwicklungen wird das Modell der Zukunft ein Zwei-Säulen-Modell sein. Und das halte ich noch mal in der Alternative zur Einheitsschule für alle auch für das richtige Modell.
Koch: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Kramp-Karrenbauer.
Kramp-Karrenbauer: Bitte schön.
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