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Skifahren
An der Westküste Grönlands

Wer in Grönland Wintersport treiben will, der muss sich ganz auf seine eigene Kraft verlassen, denn Skilifte gibt es nicht. Die menschenleere, weite Arktis belohnt mit einem Erlebnis von Freiheit und Wildnis.

Von Folkert Lenz |
    "Das hier ist Osterbykten. Da waren die Wikinger schon im Jahr 1000. Hier gibt es noch einige Ruinen. Wir haben hier ein schönes Plätzchen gefunden, wo die Berge bis auf etwa 1000 Meter über Meeresniveau hinausgehen. Und das ist ganz traumhaft, weil der Schnee bis ganz runter zur Anlandestelle geht."
    Florian Piper ist zufrieden. Es hat sich gelohnt, mit dem Fernglas die Küste auszuspähen. Der Tourenführer auf der "Rembrandt van Rijn" weiß nun, wo er mit seinen Leuten an Land gehen kann. Kein ganz einfaches Unterfangen, denn ringsherum um das Schiff enden senkrechte Felswände jäh am Wasser. Die Fjorde Westgrönlands ziehen sich tief ins Land hinein. Und so schieben sich stundenlang steinerne, braune Talflanken an der Bordwand des Dreimasters vorbei. In langsamer Fahrt nähert sich das Segelschiff schließlich einer Stelle, an der ein Schneehang genau am flachen Strand endet.
    Wie frisch gekalkt wirkt das karge Land vor dem Bug. Der Winterschnee ist in diesem Jahr schon verschwunden. Trotzdem hat ein Tiefdruckgebiet die Küste noch mal dick eingepudert. In der Ferne kalbt ein mächtiger, blau schimmernder Gletscher in den Fjord. Manchmal dümpelt ein Eisberg leise klirrend vorbei. Kurz vor der Landungsstelle wird ein Schlauchboot zu Wasser gelassen. Denn Sack und Pack, Ski, Menschen und Material müssen jetzt ans Ufer. Die Aufregung an Bord steigt, es ist der erste Landgang auf diesem Törn.
    "Hier. Nehmt Eure Ski und bringt sie zum Schlauchboot. Und dann geht wieder aufs Achterdeck. Hier ist doch alles so eng."
    Erst später darf ein Passagier nach dem anderen die Leiter zum schwankenden Beiboot hinabklettern. Dann heißt es, Platz nehmen auf den nassen Gummiwülsten. Das Zodiac flitzt gen Küste. Der Außenborder dröhnt, während der Dreimaster auf dem Fjord immer kleiner wird. Am Ende noch ein Hüpfer vom Schlauchboot über knöcheltiefes Wasser, dann sind die Skitourengeher auf sicherem Boden. Sicher? Zwei Führer von Oceanwide Expeditions patrouillieren schon seit einer ganzen Weile mit Gewehren am Strand. Expeditionsleiter Christoph Gnieser sucht mit einer weiteren Wache die Gegend ab, ob sich nicht doch ein Eisbär dahin verirrt hat.
    "Auch, wenn das nicht ihr angestammter Lebensraum ist. Nichtsdestotrotz wackeln sie hier durch auf der Suche nach Nahrung. Insofern sind wir bewaffnet, insofern halten wir die Augen offen und insofern haben wir auch Signalpatronen und Signalpistolen dabei, mit denen wir den Bären vergrämen könnten. "
    Die einzige größere Siedlung von Grönland, die Hauptstadt Nuuk, ist zwar in der Nähe. Doch das stört die Eisbären nicht. Sie fürchten die Menschen nicht. Ein Zusammentreffen mit ihnen will Christoph Gnieser in jedem Falle ausschließen.
    "In den meisten Dokumentationen kommen sie sehr kuschelig und warmherzig rüber. Aber es ist das größte Landraubtier hier in Grönland. Und schreckt als solches auch nicht vor irgendetwas zurück."
    Aber es bleibt alles ruhig. Rucksackpacken, während Florian Piper die angepeilte Route checkt.
    "Das ist unser Spielfeld für heute. Wir haben einen schönen Gipfel im Auge, das ist der Mount Sadlen. Da vorne ist er. Knapp unter 1000 Meter. Das wird sicherlich eine Traumpartie. Die Sonne scheint, der Wind geht, arktische Temperaturen."
    Knapp unter null also um diese Jahreszeit. Steigfelle werden unter die Ski geklebt, dann geht es bergan. Immer wieder kommen unter dem wenigen Schnee die Steine hervor.
    "Dieser Frühling ist schon recht früh eingetroffen. Das sieht man auch: Der Schnee ist nicht ganz so massiv da, wie letztes Jahr zur gleichen Zeit. Aber es geht trotzdem. Und die Skitourengeher wissen ja auch, auf was sie sich da einlassen."
    Gemächlich steigt die Gruppe über die flachen Hänge bergan. Nun ist es von Vorteil, dass die Landschaft über die Jahrtausende vom grönländischen Eisschild platt gehobelt wurde. Nach drei Stunden ist der Gipfel erreicht. Und siehe da: Zum Hinunterfahren bietet sich eine Reihe von Schneefeldern an. Als die Skialpinisten später wieder im Schlauchboot sitzen, sind alle zufrieden.
    - "Hätte ich niemals gedacht, dass wir so eine lässige, tolle Abfahrt haben: Pulverschnee, nicht viel, aber 15 Zentimeter durchaus. Ein paar schöne Schwünge. Sehr, sehr fein, perfekt.
    - "Ausgezeichnet. Ich hätte es mir nicht besser vorstellen können. Zum Fahren ging es gut."
    – "Aufstieg sehr bequem, sehr gemütlich und langsam. Und runter ist es auch gut gegangen."
    Der Sturm, der aufkommt: Er wird in der nächsten Nacht zum Helfer. In wenigen Stunden trägt er die "Rembrandt van Rijn" Dutzende von Seemeilen über das Meer gen Norden. Am Morgen segelt der Kapitän in einen Fjord. Auch Bergführer Markus Amon ist froh, dass Wellen und Wasser sich wieder beruhigen.
    "Wir sind jetzt im Ewigkeitsfjord. Im vorderen Drittel, in einem Seitenarm. Und in der Bucht sollte der einzige Baum von Westgrönland stehen, da wo wir jetzt anlanden. Mal schaun, ob wir den finden. Und von da geht es dann los Richtung Skipiste."
    So ganz ernst gemeint ist das nicht mit der Piste. Aber für den Gletscher, den die Gruppe ansteuert, hat sich tatsächlich dieser Name eingebürgert – auch, wenn es dort keinen einzigen Lift gibt. Das mit dem Baum allerdings ist wahr – auch, wenn der sich noch unter dem Schnee versteckt. Christoph Gnieser kennt seine Geschichte.
    "Da ist in den 30er-Jahren ein norwegischer Fallensteller hier gewesen in der Bucht. Und er hat 100 Bäume mitgebracht. Von denen in den letzten 70, 80 Jahren 99 abgestorben sind und nur einer überlebt hat. Er ist nicht besonders hoch, wächst auch nicht über die Höhe der mittleren Schneebedeckung heraus. Aber dieser eine hält sich ganz trotzig."
    Zum Beginn der Tour kämpft sich der Trupp erst mal zu Fuß durch brusthohes Gestrüpp, Wildnis-Feeling kommt auf. Wie ein Pionier fühlt sich mancher dabei. Dicke Schneekissen liegen weiter oben auf den Findlingen vor dem Gletscher: Winterwelt wie gewünscht. Nach knapp zwei Stunden ist die Zunge vom Eis erreicht. Der Polarexperte von Oceanwide Expeditions, Christoph Höbenreich, lässt anseilen.
    "Die Bedingungen sind alles andere als ideal. Die Sicht ist schlecht, die Schneeauflage ist wie erwartet schlecht. Mögliche Spalten sieht man jetzt nicht. Und es reicht eigentlich, ungünstig in irgendeine kleine Kante reinzufahren und sich das Knie zu verdrehen. Und das wollen wir auf keinen Fall riskieren."
    Denn eine Rettung würde in dieser menschenleeren Region sehr lange dauern. Aufwärts wartet ein riesiges Gletscherbecken. Alles ist hier viel größer als von den Alpen gewohnt.
    "Der landschaftliche Eindruck ist gewaltig. Weil die ganzen Moränen und auch die Gletscher relativ frei daliegen. Oder die Spalten, die blauen Eis-Seracs, die sind frei, die sieht man sehr, sehr gut. Der Wildnischarakter ist enorm."
    Doch vor allem ist es die Stille, die auffällt. Mal das heisere Krächzen eines Raben, dann das Pfeifen des Windes, vielleicht noch das Klappern der Skibindung: Mehr ist nicht zu hören. Genau das macht die Faszination der Arktis aus, findet Christoph Höbenreich.
    "Das Gelände, in das wir da vordringen, da gibt es keine Wegweiser, keine Spuren. Und die Zeit hier verbringen zu können, ist etwas ganz Besonderes. Und wir können uns froh schätzen, dass wir heute noch solche Gegenden haben, wo wir so wild und frei unterwegs sein können, wie wir es da tun."
    Besinnliches Gleiten bringt die Skifahrer wieder hinunter zur Küste. Aber nicht alle Skitouren auf Grönland sind so sanft wie diese. Das zeigt sich in den nächsten Tagen. Dieser endet, wie er begann: mit einer spritzigen Schlauchbootfahrt zurück zum Segelschiff "Rembrandt van Rijn".
    "Wer diese Wildnis, wer diese Abgeschiedenheit einmal erlebt hat, der will das immer wieder. Und da kann man schon sagen, dass man von einer Art Eisvirus oder Polarvirus gebissen worden ist. Ich freue mich vor allem, ausbrechen zu können von daheim. Und hier diese Weiten, diese menschenleeren, abgeschiedenen, diese Grenzräume der Erde erleben zu können."