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Skizirkus am Edersee

Dieter Brauer lenkt seinen Linienbus von Bad Wildungen am Kellerwald entlang Richtung Edertalsperre. Mit seinen Fahrgästen diskutiert der Busfahrer den Skizirkus, den Investoren am Rande des ersten hessischen Nationalparkes bauen wollen:

Von Ludger Fittkau | 30.01.2004
    Finde ich keinen Sinn drin. Aber da sind viele dagegen, viele. Gerade hier aus Edertal.

    Fahrgast Erhard Moll lebt im Edertal und sieht das ganz anders. Den 5 Hektar Wald, die für die längste Abfahrtspiste nördlich der Alpen im Nationalpark geopfert werden müssten, stehen bis zu 700 neue Arbeitsplätze gegenüber, die das Tourismus-Projekt in der strukturschwachen Region bringen könnte. 65 Millionen Euro wollen private Investoren für die Freizeitanlagen am Edersee aufbringen:

    Das ist viel für uns, das ist sehr viel für uns. Aber wenn man den Bürgermeister hört: Die haben da gar kein Interesse dran, bei so was mitzuziehen. Und die Leute, die das beantragt haben, die sich wirklich viel Arbeit gemacht haben, die kommen gar nicht zur Geltung.

    Der Bürgermeister, der kritisiert wird, weil er das Skiprojekt im Nationalpark angeblich nicht genug unterstützt, heißt Wolfgang Gottschalk. Er steuert das Auto langsam die Serpentinen hinauf, die aus dem Edertal auf den 600 Meter hohen Peterskopf führen. Von dort oben, wo jetzt schon zwei Staubecken und Rohre eines Wasserkraftwerks das Bild bestimmen, soll sich die Skipiste fast zwei Kilometer lang ins Tal schlängeln:

    Genießen sie zunächst erst mal diesen Anblick...

    ...fordert Wolfgang Gottschalk und er hat Recht: Der Blick auf den Edersee und die nordhessische Mittelgebirgslandschaft ist grandios.
    Der Edertaler Bürgermeister sieht durchaus die wirtschaftlichen Chancen, die der Skizirkus in dieser Landschaft für seine Gemeinde bietet. Schon jetzt arbeitet jeder zweite in Edertal im Tourismus:

    Gerade auch in den Wintermonaten würden wir hier ein Angebot unterbreiten können, was wir im Grunde genommen auch schon in den Frühlings- und Sommermonaten bieten. Da sind viele Menschen hier vor Ort und genießen diese Landschaft, diese Natur und die gleiche Anzahl an Besuchern könnten sich durchaus auch erfreuen, sowohl an der Landschaft, aber auch an den Möglichkeiten, die neu geschaffen werden würden, im Winter, keine Frage.

    Dennoch bedeute die geplante Piste einen deutlichen Eingriff in die Landschaft am Rande des Nationalparks - und sei deshalb nur möglich, wenn an anderer Stelle ein Ausgleich geschaffen würde. Der Naturschutzbund NABU lehnt die Kunst-Skipiste mit den 20 Skikanonen, die jährlich zusätzlich 120.000 Übernachtungen und natürlich entsprechenden Autoverkehr mit sich brächte, grundsätzlich ab: Der Skizirkus widerspricht aus Sicht des Naturschutzbundes dem Leitbild des "sanften Tourismus” für die Nationalpark-Region. Außerdem müssten ökologisch wertvolle Baubestände abgeholzt werden. Argumente, die Bürgermeister Gottschalk ernst nimmt:

    Und da sind wir wieder bei dem Punkt: Wie können sich Naturschutz und auch wirtschaftliche Betätigung miteinander verbinden in unserer Region?

    Diese Frage spaltet die Bevölkerung in der Region des neuen Nationalparks schon seit Jahren. Die Diskussionen im Linienbus sind dafür beispielhaft, weiß Dieter Brauer:

    Ich bin Busfahrer, ich höre viel, wie die Leute hier sprechen, sind geteilte Meinungen...

    Der Nationalpark bleibt vor allem deswegen umstritten, weil viele Angst haben, dass damit eine wirtschaftliche Entwicklung der Region verhindert wird. Auch der Edertaler Erhard Moll sieht das so:

    Ich sehe nicht, dass man da viel dran verdient. Mit nem Skigebiet hätten wir bestimmt mehr. Am Wochenende wären bestimmt ein paar Tausend da. Im Sommer war ja auch die Straße bis Bergheim zu, vor lauter Verkehr. Und so würde das im Winter auch sein.

    Genauso wie die Bevölkerung vor Ort, ist die hessische Landesregierung in Wiesbaden bei der Frage der Kunstschnee-Piste im Nationalpark Kellerwald bisher geteilter Meinung. Während der Wirtschaftsminister am liebsten die Genehmigung für den Bau sofort geben möchte, sieht der Umweltminister eine Vielzahl umweltrechtlicher Hindernisse - nicht zuletzt die FFH-Richtlinie der EU, die auch für den neuen Nationalpark gilt. Für den Edertaler Bürgermeister Gottschalk ist deshalb noch sehr fraglich, ob die Skianalge an der Edertalsperre wirklich realisierbar ist.
    Zur Umweltverträglichkeit kommt auch noch die - bisher offene - Frage der Wirtschaftlichkeit:

    Denn wir wollen ganz sicher nicht eine Skipiste hier errichten, die sich dann durch Leerstand auszeichnet und dann zu einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes führen würde.