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Sklavenarbeit auf dem Erdbeerfeld

Polnische Erntehelfer haben ein stärkeres Bewusstsein für ihre Rechte entwickelt und wehren sich gegen jeden Anflug von Illegalität. Die Staatsanwalt Augsburg hat inzwischen eine eigene Arbeitsgruppe zum Thema Menschenhandel eingerichtet. Doch die Ausbeutung ausländischer Saisonarbeitskräfte, mit der sich die Strafverfolger in jedem Sommer neu beschäftigen müssen, ist ein soziales und wirtschaftliches Problem.

Von Dorette Deutsch |
    "Wir haben hier eine Anklage wegen Menschenhandel erhoben, weil die Arbeitsbedingungen aus unserer Sicht so schlecht und so extrem für die polnischen Erntehelfer waren, dass der erst im Februar 2005 ins Strafgesetzbuch aufgenommene Paragraf 233 - und die Razzien, auf die die Ermittlungen zurückgehen, waren im Juni/Juli 2005 - gegeben schien. Wir haben uns aber im Lauf der Hauptverhandlungen überzeugen lassen, dass dieser Straftatbestand einschränkend ausgelegt werden muss."

    Jeden Sommer ist Günther Zechmann, Oberstaatsanwalt in Augsburg, mit der Lage der polnischen Erntehelfer befasst, meist wegen Schwarzarbeit oder nicht gezahlter Sozialabgaben. Doch neben der Routine gab es in diesem Jahr auch einen aufsehenerregenden Prozess. 31 polnische Erntehelfer hatten Anzeige erstattet: Wegen der Unterbringung zu fünft in 10 Quadratmeter-Containern, weil die Verpflegung unzureichend war und sogar Wasser fehlte.

    Neben dem Paragrafen 230, gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung, will der neue Paragraf 233 nun Arbeitnehmer schützen, die sich in einem fremden Land in allzu großer Abhängigkeit von ihrem Arbeitgeber befinden. Von "Sklaverei" oder "Schuldknechtschaft" spricht die Staatsanwaltschaft dann, wenn "ein auffälliges Missverhältnis im Vergleich mit den Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmer" besteht. Günter Zechmann:

    "Wenn man sich diese Strafregelungen anschaut, die sich der Angeklagte auch noch ausgedacht hat: Wenn die Steige nicht ganz sauber oder eine angeschimmelte Erdbeere dabei war, hat er Abzüge gemacht, und, und, und. Dazu sind noch weitere Strafen gekommen - Strafe für vorzeitige Abreise, zum Beispiel 100 Euro. Und er hat die Kaution nicht zurückgezahlt. Die haben ja 100 Euro Kaution zahlen müssen, wenn sie hierher gekommen sind. Denn wenn ich einen Stundenlohn habe von zwei Euro mal 20 oder 30 Tage, dann wird das ja aufgezehrt von der Strafe, die mich erwartete, zum Beispiel bei vorzeitiger Abreise."

    Auch die Bezahlung lediglich nach Akkordlohn ist nach deutschem Recht nicht erlaubt:

    "Nach der Feststellung der Strafkammer lagen die realen Löhne zwischen 1,14 Euro und 2,32. Und das entspricht etwa nur 40 Prozent des durchschnittlichen Entgelts, das für vergleichbare Arbeiten hier erzielt werden kann."

    Im strafrechtlichen Prozess wurde der Angeklagte zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen illegaler Beschäftigung und Ausbeutung der Arbeitskraft verurteilt. Von der Anklage "Menschenhandel und Sklavenarbeit" wurde er freigesprochen, weil es bei der saisonalen Beschäftigung zu keiner wirklichen Abhängigkeit zwischen dem Plantagenbetreiber und seinen Erntehelfern gekommen war. Darüberhinaus hatte es sich um einen Nicht-Vorbestraften gehandelt, der, nach den Worten seines Anwalts Walter Rubach, selbst gar nicht wusste, wie ihm geschah:

    "Er hat natürlich auch ein bisschen die Kontrolle über alles verloren: weil plötzlich mehr Leute da sein mussten, weil die Erntebedingungen sich verändert hatten. Was nichts daran ändert, dass er sich hätte an die Regeln halten müssen, und das hat er auch eingesehen. Ich habe selten einen Menschen erlebt, der daraufhin stante pede die Bedingungen geändert hat. Sie können das auch daran erkennen, dass wenige Tage später die Berufsgenossenschaft Kontrollen durchgeführt hat, und die haben dann festgestellt, dass die Sachen in Ordnung gebracht waren."

    Die polnischen Arbeitnehmer selbst haben ein stärkeres Bewusstsein für ihre Rechte entwickelt und wehren sich gegen jeden Anflug von Illegalität, indem sie den Weg vor das deutsche Gericht nicht mehr scheuen oder sich vor polnischen Organisationen beschweren. Die Staatsanwalt Augsburg hat inzwischen eine eigene Arbeitsgruppe zum Thema Menschenhandel eingerichtet. Doch die Ausbeutung ausländischer Saisonarbeitskräfte, mit der sich die Strafverfolger in jedem Sommer neu beschäftigen müssen, ist ein soziales und wirtschaftliches Problem. Anwalt Walter Rubach:

    "Es ist so, dass die Gesetze völlig ausreichen, um Standards zu schaffen. Aber sie können nicht verhindern, dass der Markt die Menschen veranlasst, sich darüber Gedanken zu machen: Wo können sie noch sparen? Das heißt, man versucht, an der Lohnfront was zu ändern, und da ist das EU-Recht beziehungsweise das deutsche Recht eindeutig: 5,20 Euro ist die Grenze nach unten. Und so ein Fall hier kann da schon geeignet sein."