
Eigentlich stammt das Attribut "fulminant" aus der medizinischen Klassifizierung für Krankheitsverläufe. Abgeleitet vom lateinischen "fulmen" ("Blitz"), bezeichnet es schlagartig auftretende Symptome, die sich schnell steigern. Nachdem das Wort aber vor allem von Sportreportern entliehen wurde und plötzlich auch im Fußball fulminante Schüsse abgegeben werden können, hat sich der tragische Sinnzusammenhang just in einen positiven verwandelt.
Und da sich bekanntlich Politik und Eventkultur gern der Sportmetaphern bedienen, kann es nicht verwundern, dass wir inzwischen auch fulminante Romane von Autoren zu lesen bekommen – oder wir werden, wie gerade jüngst, in der Alten Nationalgalerie Zeugen der fulminanten Wiederentdeckung des Bildhauers Rembrandt Bugatti; so lässt es zumindest die Pressemitteilung der Staatlichen Museen verlauten.
Zweifellos verleitet schon dieser flamboyante Name und die darin anklingende Mischung aus Sport und Mystik zur Suche nach möglichst rasanten Beschreibungen. Bugattis angemessen kurzer Lebenslauf verheißt ein wenig von dem Glamour der High Society im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und auch ein bisschen von buchstäblich genialer Raserei.
Gestaltung der Form liegt in der Familie
Geboren wurde er als Sohn des exzentrischen Mailänder Möbeldesigners Carlo Bugatti, dessen zweiter Sohn Ettore als Automobilkonstrukteur bislang bekannter war als der künstlerisch frühbegabte Rembrandt. Dass man Rembrandt Rembrandt nannte, hatte vielleicht mit Distinktion zu tun, denn am Mailänder Familiensitz der Bugattis gingen bekannte Künstler und die Spitzen der Gesellschaft ein und aus. Sein Onkel war der Maler Giovanni Segantini. Eine andere Geschichte besagt, dass der keinesfalls schöne Spross am Beginn seines Lebens einem Selbstporträt Rembrandts ähnlich gesehen haben soll. In diesem Fall darf man den Vornamen wohl eher als Spottnamen verstehen, der darauf deutet, dass der junge Rembrandt es nicht leicht hatte im Kreis seiner Familie.
Rembrandt Bugatti war aber zweifellos bildhauerisch hochbegabt. Ohne je eine Kunstakademie besucht zu haben, offenbarte er als Teenager beim Modellieren von Kühen eine so schlafwandlerische Beobachtungsgabe und Sicherheit in Anatomie und Bewegung der Tiere, dass sein Vater ihn fördern ließ. Mit 16 debütierte er auf der Frühjahrsausstellung in Mailand, schuf in den folgenden fünfzehn Jahren über 300 plastische Werke und nahm sich 1916, unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges und möglicherweise auch aufgrund von Depressionen, mit 31 Jahren das Leben.
Bekannt, ja berühmt wurde Rembrandt Bugatti während seines kurzen Lebens als Tierplastiker. Während sich die Pariser Künstlerboheme auf dem Montmartre traf, trieb sich Bugatti im Pariser Zoo und in Parks und Gärten herum, um seine Tierstudien zu betreiben. Er arbeitete schnell, oftmals in einem einzigen Arbeitsgang, hatte das Glück einen exzellenten Bronzegießer zu haben, Adrien Hébard, der auch für Rodin arbeitete. Seine Arbeiten verkauften sich gut, bis heute sind sie begehrte Sammlerstücke - der überwiegende Teil seiner Tierskulpturen in dieser Ausstellung stammt aus Privatsammlungen. Von Museen wurde sein Werk mehr oder weniger ignoriert. Daher darf sich die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie nun sogar Weltpremiere nennen - so viel Glamour muss sein.
Beseelt, aber nicht expressiv
Aber man ahnt auch, was Museen möglicherweise über Jahrzehnte hinweg vor Ankäufen seiner Werke hat zögern lassen - nicht allein die exorbitanten Preise für Originalgüsse. Dass Bugatti kunsthistorischen Rang hat, weil durch ihn erstmals Bildnisse von Marabus, Tapiren, Sekretärvögeln oder Ameisenbären in die europäische Bildhauerei eingeführt wurden, steht womöglich außer Frage. Doch seine Arbeitsweise selbst gerät schnell in Verdacht, vor allem virtuos zu sein - handwerklich erstaunlich und brillant, entzückend gerade in den kleinen Formen, wenn er eine winzige Bulldogge oder ein Wolfspaar staunenswert beseelt in den Raum zaubert. Am Ende jedoch, bei aller Brillanz und spektakulären Bewegtheit und Körperhaltungen wirken seine Figuren doch immer wieder auch seltsam ausdruckslos - ganz bei sich, aber nicht darüber hinaus. So ist es am Ende vielleicht doch eine eher tragische Erzählung, denn Bugatti starb nicht nur früh, sondern auch verarmt, trotz wohlhabender Verwandter, und zernagt vom Zweifel an seiner eigenen Kunst.