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Skurrile Geigenklänge und fröhliche Dilettantismen

"Festival für aktuelle Musik" nennt sich die Berliner MaerzMusik im Untertitel. "Aktuell" scheint jedoch vor allem ein Leerlauf der einst "Neuen" Musik. Trotzdem findet das Festival sein Publikum unter anderem für das Stück "Xenos III" von Beat Furrers in deutscher Erstaufführung oder Michael Jarrells "Kassandra".

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Musik: Beat Furrer "Xenos III"

    Aus Beat Furrers "Xenos III", eines der wenigen Stücke bisher im Festival von Format. Das Ensemble Resonanz spielte die deutsche Erstaufführung gestern im Kammermusiksaal der Philharmonie. Eine Musik, die mit ihren glissandierenden Wellenbewegungen das Flirren von Wüstenwind imaginieren will. Eröffnet worden war das MaerzMusik-Festival programmatisch mit "Timber".

    Sechs Schlagzeuger lässt Michael Gordon mit Holz- oder Metallschlägeln hämmern auf Holzbalken, wie sie als "Stundentrommeln" seit dem 8. Jahrhundert in Mittelosteuropa gebräuchlich waren. Im Rund stehen die Musiker unter einem Kranz von changierend aufleuchtenden Scheinwerfern.

    Auch der Klang changiert, bäumt sich auf und verebbt wieder, wobei wechselnde Obertonbereiche anklingen. Die Methode hat vor Jahrzehnten Steve Reich in seinem berühmten "Drumming" erfunden und zugleich perfektioniert. Gordons "Timber" wirkt dagegen matt.

    Musik: Michael Gordon " Timber"

    Ein anderes Déjà-vu der hoch preziöse Auftritt der Schweizer Performancekünstlerin Charlotte Hug. Stimmakrobatische Laute à la Meredith Monk oder wie die Laurie Anderson der frühen Jahre mischt sie mit skurrilen Geigenklängen. Trippelnd unter "Son-Icons" genannten großformatigen Zeichnungen auf halbtransparenten Pergamentbahnen versucht sie die Zuschauer auf einen "Slipway to Galaxies" zu expedieren. Dort ankommen wird wohl niemand.

    Musik: Charlotte Hug "Slipway to Galaxies"

    "Pills or Serenades" heißt ein Minidrama, das der brasilianische Komponist Chico Mello auf ein Libretto von Tobias Dutschke komponiert hat. Sprachfetzen werden da von neun Sängern und Instrumentalisten in einer mit fröhlichen Dilettantismen angereicherten halbszenischen Form präsentiert. Zu bewundern ist die Perfektion der Performance dieser Art "Scripted Reality". Nach dem tieferen Sinn dieser abrupte Stimmungswechsel ausbreitenden "Studie" fragen muss man nicht. Es ist (nur) eine Performance.

    Musik: Chico Mello "Pills or Serenades"

    Von der Thematik anspruchsvoller: "Kassandra" von Michael Jarrell. Eine eigene Sicht bietet Jarrells Monodrama indes nicht. Melodramatisch wird in den Klangteppich des Kammerorchesters "unitedberlin" das von Christa Wolfs Text inspirierte Libretto eingesprochen. Dazu flimmern Bilder auf einer Riesen-Leinwand. Die Sängerin Anna Clementi, sowie gelegentlich ein Bewegungs-Chor, aber auch reale Bilder erscheinen da in Pamela Hunters dürrer Inszenierung: Die Trojanische Mauer als Berliner Mauer mit ihrem berüchtigten "Grenzregime" gleichgesetzt – nur einer der Kurzschlüsse.

    Musik: Michael Jarrell "Kassandra"

    Für ein Portrait des Komponisten, Klarinettisten und Regisseurs Gene Coleman ist man in ein früheres Stummfilmkino, das derzeit aus dem Dornröschenschlaf geweckt wird, nach Berlin-Weißensee gezogen. Gezeigt wird dort ein einst avantgardistischer Stummfilm aus dem Jahre 1926 von Teinosuke Kinugasa. Es geht um Psychiatrien in Japan. Coleman hat dazu Livemusik komponiert. Davor gibt es einen von Coleman selbst gedrehten abstrakten Film über Architektur in Japan, unterlegt ebenfalls mit Livemusik, die klingt wie aus den 60er-Jahren.

    Musik: Gene Coleman "Spiral Network"

    "Festival für aktuelle Musik" nennt sich die MaerzMusik im Untertitel. Aktuell scheint vor allem ein gewisser Leerlauf der einst "Neuen" Musik. Ihr Publikum findet sie dennoch. Oder vielleicht gerade deswegen?