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Skurrile Theaterorte

Die grauen Wände, an denen zuweilen der Putz abfällt, lassen schon von außen einen gewissen Renovierungsbedarf erkennen. Selbst innen sieht es so gastlich nicht aus: Steinboden, kahle, dunkle Wände, die großen Torbogenfenster zugemauert: Man sieht der ehemaligen Kapuzinerkirche in Überlingen ihr Alter von 350 Jahren durchaus an. Doch solche Klänge waren in dieser ganzen Zeit noch nie zu hören.

Thomas Wagner berichtet |
    In der Kapuzinerkirche hat Kitsch gespielt. Und Kitsch ist ein schöner, unterhaltsamer Theaterabend, der nichts anderes will, als die Menschen glücklich zu machen...

    ...so Regisseur Jörg Wesenmüller vom Stadttheater Konstanz. Mit "Kitsch", eine Persiflage auf die Pop- und Schlagerkultur der 50er, 60er und 70er Jahre erlebte die Überlinger Kapuzinerkirche ihre Feuertaufe als Sommertheater.

    Die Kapzuzinerkirche ist erst einmal ein sehr kahler Raum, der erst einmal von sich aus keine Ornamente oder Schnörkel mit sich bringt, ein protestantischer Raum, wenn man das mal so sagen darf. Aber der hat natürlich den Vorteil, dass er zum einen eine sehr schöne, angenehme Akustik hat, also einen wunderbaren Klang haben die Stimmen und die Musik. Und der Vorteil der ein wenig düsteren Räumlichkeit ist, dass der Fokus auf das Spiel, auf das Spielgeschehen natürlich größer ist.

    Damit kam der Kapuzinerorden, der in Überlingen Mitte des 17. Jahrhunderts die kleine Kirche nur wenige Meter vom Bodenseeufer entfernt bauen ließ, ganz ungewollt den Anforderungen der späteren "Theater-Macher" entgegen. Denn aus den Bauvorschriften des Ordens geht hervor, dass eine "kleine und arme Kirche in Saalform": errichtet werden sollte – mit "weißgetünchten Innenräumen", die lediglich Tafelmalereien gestatteten. Dann kam, Anfang des 19. Jahrhunderts, die Säkularisation; das Kloster wurde aufgelöst. Michael von Oppen, Projektleiter am Stadttheater Konstanz:

    Es ist eigentlich so, dass die Kirche ab 1808 nicht mehr als Kirche genutzt worden ist, dann vom Bad-Hotel als Schankwirtschaft mitbenutzt worden ist. Es gibt eigentlich seit Ende des 19. Jahrhunderts Überlegungen seitens der Stadt Überlingen, hier so eine Art Theatersaal unterzubringen ....ja, da sind wir nun.

    Ein Theatersaal, in dem zunächst leichte Kost geboten wird – aber nicht nur: "Die Glut" als zweite Produktion in der Kapuzinerkirche ist ein Zwei-Personen-Stück nach dem gleichnamigen Beststeller von Sandor Marai. Es zeichnet das Aufeinandertreffens eines gealterten Generals mit einem Jugendfreund nach, der freilich ein Verhältnis mit der Generalsgattin hatte – ein philosophischer Diskurs über die Frage nach Wahrheit, Entlarvung und Rache. Und schließlich "Novecento", die Legende vom Ozeanpianisten: Der italienische Autor Alessandro Barrico beschreibt darin die Geschichte eines auf einem Ozendampfer ausgesetzten Findelkindes, das Zeit seines Lebens als Pianist auf eben diesem Dampfer zubringen wird. Schon in diesem Jahr unterstützt die gastgebende Stadt Überlingen das Projekt mit 500 000 Euro und stellt zudem die Kapuzinerkirche zur Verfügung. Die erfährt nun eine Nutzung, die eher im Sinne der Kapuzinermönche von einst liegt als das, was sich bisher in dem Gebäude abspielte. Oberbürgermeister Volkmar Weber:

    Im Volksmund heißt diese Kirche auch eine Karabinerkirche. Es war eine Waffenwerkstatt und eine Waffenlagerkammer. Hier wurden alte, historische Gewehre aufgearbeitet und hergerichtet. Und das hat hier über 15 Jahre stattgefunden. Und wir sind natürlich froh, diese Kirche mit neuem Inhalt zu füllen.

    Das alte Gebäude hat damit eine beachtenswerte Wandlung durchgemacht. Karl-Christian Moritz spielt und singt bei "Kitsch" mit. Für ihn ist die Kapuzinerkirche...

    ...ein Raum mit einer bewegten Geschichte. Und wir tun unseres dazu, um die Geschichte noch zu erweitern. In einer Kirche hab’ ich schon gesungen, aber noch nicht in einem Waffenlager. Dass der Bühneneingang noch ein Tresorkombinationsschloss hat, das ist der Kick.


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