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Slow Music, statt Slow Food

Jeder kennt es: Wenn man einen Wunsch hat, dann soll er unverzüglich in Erfüllung gehen. Ein Effekt der digitalen Welt. Das Warten, die Sehnsucht ist uns abhanden gekommen. Genau da setzt das Marketing eines Berliner Musik-Labels an. Wer sein neues Album hören will, muss die in Bäumen versteckten USB-Sticks mit den Tracks suchen.

Von Christoph Richter | 05.04.2012
    "We start with different spots."

    Exkursionsleiter der ungewöhnlichen Schnitzeljagd ist der aus Lyon stammende Matthieu Pons. Seit zwei Jahre lebt der Macher des Musik-Labels "Really" in Berlin.

    "I speak english. But we speak german as well, italian, french. So I think we will find a way to communicate through the walk. Let's go."

    Sich Songs schnell mal mit ein paar Mausklicks aus dem Internet herunterladen, um sie dann allein, anonym und von der Welt abgekapselt zu hören: Damit kann das kleine Berliner Plattenlabel REALLY, das sich auf Elektrominimal-Sounds spezialisiert hat, nichts anfangen. Stattdessen müssen diejenigen, die an dem neuesten Album "Out of the Woods" interessiert sind, einen zweistündigen Frühlingsspaziergang unternehmen. Kreuz und quer durch den Berliner Grunewald.

    "Auf unserer Webseite haben wir eine Karte mit den ganzen GPS-Daten und da sind eben die ganzen Spots eingezeichnet. Man kann sich entweder die Karte ausdrucken und dann durchspazieren. Oder natürlich hat man mittlerweile auch überall Internet mit den I-Phone oder was auch immer."

    Die 29-jährige Kathrin Dathe ist eine der Initiatorinnen des Projekts. Mit der Kälte und Coolness, dem verrauchten anonymen Club-Leben kann die gebürtige Thüringerin nichts mehr anfangen. Eine neue Natur- und Wandervogelbewegung will sie ins Leben rufen.

    "Wo die Leute halt auch rausgehen, sich wieder auf die Suche machen und die Sachen die sie haben wollen, dafür auf Jagd gehen."

    Und soll der perfekte Weg zum Genuss sein. Nicht slow food, sondern slow music.

    Das Projekt "Out of the Woods" erinnert an Dead Drops, eine Kunstaktion des Bremer Künstlers Aram Bartholl. Er hatte bereits 2010 anonym USB-Sticks an öffentlichen Plätzen in New York versteckt.

    Dieser - wie fünf weitere Tracks - befinden sich auf USB-Sticks, die man in vermoosten, morschen und ausgehöhlten Baumstämmen im Berliner Grunewald versteckt hat, abseits der Waldwege. Daher sollte man auch festes Schuhwerk tragen. Doch daran haben die polyglotten, rauchenden, aber recht bleichen Berliner Hippster wenig gedacht. Ganz ohne die digitale Welt geht es aber nicht, denn einen Laptop sollte man schon mitbringen. Nur so kann man sich nämlich die Musik herunterladen.

    "Man schließt das Kabel an den Computer. Voila. Und dann findet man die Datei auf dem Computer…wenn alles gut geht. In dem Fall sind es Dürer-Stuben. Dann zieht man es sich auf den Computer und schon hat man die Musikstücke."

    Verspätete Erinnerung nennt sich der Track eines Berliner Duos, mit dem etwas bizarren Namen "Dürer-Stuben". Zwei blasse Jungs, die nur in den Clubs unterwegs sind. Heute trifft man sie im Wald, indem sie auch Teile ihrer aktuellen Nummer aufgenommen haben.

    "Ist natürlich schräg, weil wir Club-Musik machen und in den Wald gehen. Aber es war eben nicht total fremd. Für uns war das ein Zurückkehren in die Kindheit, weil wir halt als Kinder auch viel im Wald waren."

    So der 22-jährige Till Gerloff. Ihm geht es um die Entdeckung der Langsamkeit, die Wiederaneignung eines Lebens, indem nicht alles sofort und unverzüglich zu haben ist.

    "Ist natürlich auch ein bisschen eine Kritik. Man geht nicht mehr in den Plattenladen, sondern ist zuhause und lädt sich es runter. In den wenigsten Zeiten legal. So hat man das Gefühl, man versinkt in Datenmengen. Hier wird man noch mal auf sich zurückgeworfen."

    Der Berliner Waldspaziergang des Elektro-Labels "Really" ist ein Plädoyer für die Suche nach dem Wahrhaftigen. Auch weil man der sozialen Netzwerke, wie Facebook oder Twitter anscheinend überdrüssig ist und nun dorthin gehen wolle, wo man glaube, wo das Leben sei. Zum Beispiel im Wald.

    Die kasachisch-deutsche Musikerin Dina Nour ist schwer begeistert. Und schwärmt, wie sie mitten im Wald anderen Schatzsuchern begegnet ist, die auch die Songs gesucht haben. Das Tolle sei, sagt sie, dass man schnell ins Gespräch komme. Ohne irgendwelche Coolness-Regeln einhalten zu müssen, ohne zwanghaft lässig zu sein.

    "Ich finde die Idee ganz klasse. Und: dass man diesen Austausch bekommt. Und einfach miterlebt, wie Technik und Natur zusammen kommen kann. Find' ich spannend."