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Slowakische Mediziner im Ausstand

Der Wahlkampf in der Slowakei tritt in seine heiße Phase, und die Rechtskoalition von Premier Mikulas Dzurinda gerät von unerwarteter Seite unter Druck: Die slowakischen Klinikärzte haben einen Streik ausgerufen, um gegen die Umstrukturierung des Gesundheitswesens zu protestieren. Die eingeschränkte medizinische Versorgung wollen sie im Ernstfall bis zu den Wahlen im Juni durchhalten. Kilian Kirchgeßner berichtet.

    Es ist viel Betrieb im Krankenhaus ganz im Süden Bratislavas, im Foyer treffen sich Patienten und Angehörige. Marian Kollar, Mediziner und Vorsitzender der slowakischen Ärzte-Gewerkschaft, geht energischen Schrittes über die langen Flure und stellt bei einem kleinen Rundgang die Klinik vor. Es ist eine der größten und modernsten Einrichtungen in der Slowakei, eröffnet vor gerade einmal 15 Jahren und umgeben von sowjetischer Plattenbau-Architektur. Petrzalka heißt die Satellitenstadt am Rande von Bratislava, von hier aus sind es nur wenige Kilometer über die Grenze nach Österreich. Marian Kollar blickt oft auf das Nachbarland, wenn er über das slowakische Gesundheitssystem redet.:

    " Wir kaufen gleich teure Medikamente und die gleich teure Ausstattung. Wir arbeiten mit guten Geräten und auf vergleichbarem Niveau wie in anderen Ländern. Und trotzdem haben wir in der Slowakei nur ein Sechstel der Gesundheitsausgaben von Österreich. Das einzige, was billiger ist, sind die Arbeitskräfte. In erster Linie müssen wir also mehr Finanzmittel bekommen."

    Um diese Kernforderung geht es beim derzeitigen Streik im slowakischen Gesundheitswesen. Während überall in Europa die Krankenkassen Milliardendefizite anhäufen und die Politiker über Reformen diskutieren, hat die rechtsorientierte Regierung in Bratislava das medizinische System von Grund auf umgekrempelt. Karol Farkasovsky vom Gesundheitsministerium blickt zurück:

    "Das Gesundheitswesen war über Jahre hinweg vom sozialistischen System gezeichnet. Die Leute nahmen Medizin als etwas Kostenloses wahr und haben sich in der Folge weniger um ihre Gesundheit gekümmert. Das staatliche System haben sie sehr stark genutzt, teils auch missbraucht."

    Private Zuzahlungen gab es in der Slowakei nicht, jeder konnte sich seinen Arzt wählen, und die staatlichen Versicherungen übernahmen alle Kosten. Das ändert sich nun mit der gerade in Kraft getretenen Gesundheitsreform. Die Krankenhäuser werden nun Zug um Zug privatisiert, auf dem Versicherungsmarkt wird Konkurrenz zugelassen, und die Patienten müssen für Untersuchungen und Medikamente zuzahlen. Die Ärzte laufen Sturm gegen die neuen Regelungen, weil die ihrer Meinung nach an der chronischen Unterfinanzierung nichts ändern. Andrej Kucinsky ist Vorsitzender der mächtigen slowakischen Gesundheitsgewerkschaft, die 40.000 Ärzte und Krankenschwestern vertritt. Er wendet sich vor allem gegen die rasche Privatisierung:

    "Es geht hier um die Einführung von Marktmechanismen in das Gesundheitswesen. Das bedeutet, dass man die Probleme nicht politisch lösen wird, sondern rein ökonomisch. Das Prinzip der Hilfe, der Solidarität und der Unterstützung verliert dort seinen Inhalt, wo nur der Gewinn regiert. Und dem konnten wir selbstverständlich nicht zustimmen."

    Nicht zustimmen heißt in diesem Falle Streik. Landesweit haben viele Krankenhäuser zwei Wochen lang nur noch Notfall-Patienten aufgenommen, gerade geht die Auseinandersetzung in die zweite Runde. Die Regierung will den Forderungen nicht nachgeben. Für sie geht es, wenige Wochen vor der Wahl, um wesentlich mehr als nur um das Gesundheitswesen: In der vergangenen Legislaturperiode hat sie auf beinahe allen Gebieten grundlegende Reformen angestoßen, von der Einführung einer Einheitssteuer bis hin zur kompletten Umstellung des Rentensystems. Massenhafte Proteste sind ausgeblieben, die Slowaken haben selbst tiefe Einschnitte mit großer Geduld hingenommen. Der Streik der Ärzte ist also in der mehrjährigen Reformphase die erste Widerstandsbewegung überhaupt. Und das beobachten die Regierungsparteien mit stiller Sorge. Die streikenden Mediziner wissen um die Signalwirkung ihrer Arbeitsniederlegung und kalkulieren sie kühl mit ein. Marian Kollar von der Ärztegewerkschaft:

    "Alle unsere Aktivitäten blieben bislang komplett, aber wirklich komplett unbeachtet. Da ist es absolut legitim und auch richtig, dass wir noch dieser Regierung die Rechnung vorlegen."