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Slowakischer Giftmüll
Deponie bedroht riesiges Trinkwasserreservoir

Zwischen 1966 und 1978 wurden auf einer Deponie in Bratislava alle möglichen Giftstoffe entsorgt, darunter Abfälle eines Chemiewerks. Nun breiten sie sich wieder aus. Die Anwohner dürfen seit Jahren das Grundwasser nicht nutzen. Die Lösung des Problems wird teuer.

Von Peter Lange | 07.07.2017
    Blick von der Burg in Bratislava auf die Donau mit der Brücke des Slowakischen Nationalaufstandes, aufgenommen am 12.08.2015.
    Das kontaminierte Grundwasser bewegt sich in Richtung auf die sogenannte Schüttinsel. Hier liegt das größte Trinkwasser-Reservoir nicht nur von Bratislava, sondern von ganz Mitteleuropa. (picture alliance / dpa / Alkimos Sartoros)
    Juraj Štubniak ist 1997 nach Vrakuňa gezogen und hatte erst keine Ahnung, wo er hingeraten ist. Inzwischen ist er Mitglied des Stadtrats in Vrakuňa und Umwelt-Aktivist. Und er ist sich sicher: "Diese Sache ist eine Umweltbombe, die zwar schon längst explodiert ist. Aber niemand will es zur Kenntnis nehmen."
    Diese Sache: Das ist eine gut viereinhalb Hektar große Wiese. Einst war das ein ausgetrockneter Nebenarm der Donau mit Kiesbett.
    DDT und andere verbotene Pestizide
    Ab 1966 wurden hier zwölf Jahre lang die Abfälle aus den längst geschlossenen Chemiewerken Juraj Dimintrovs deponiert. 120.000 Kubikmeter, die insgesamt 443 Chemikalien enthalten, wie eine Studie ergeben hat, zu einem großen Teil hochgiftig.
    "In der Dimitovka wurde zum Beispiel DDT hergestellt und auch andere Pestizide, die wegen ihrer hohen Toxizität schon jahrelang verboten sind", erläutert Alena Trancokova von den Wasserwerken Bratislava. Sie bauen sich nicht ab und reichern sich über belastete Lebensmittel im Körperfett an. 1978 wurde eine drei Meter dicke Erdschicht darüber gelegt, und dann wurde die Deponie vergessen.
    "Zuerst ist nichts durchgesickert. Die Deponie lebte ihr eigenes Leben. Das Problem begann 1996, als in Gabčíkovo der Stausee eingelassen wurde. Dadurch ist das Grundwasser gestiegen und seither wird die Deponie ausgewaschen."
    Und das Grundwasser von Vrakuňa ist mit Pestiziden und Herbiziden belastet. Eine "Kontaminierungs-Wolke", so wird das offiziell genannt, hat sich gebildet, mit einer Ausdehnung von fünf bis zehn Kilometern. Die Anwohner dürfen deswegen schon seit Jahren das Grundwasser nicht mehr nutzen.
    "Ein Problem haben die Gärtner, die sich einen Brunnen bohren ließen. Wenn sie mit dem Wasser ihr Obst und Gemüse gießen, was sie bis heute tun, vergiften sie damit ihren ganzen Garten. Ich würde nicht mal über den Rasen laufen, der damit gegossen wurde. Und einige haben es sogar getrunken."
    Belastetes Obst und Gemüse
    Jindra Holíková vom Regionalamt für öffentliche Gesundheit hält das für übertrieben: "Die Schadstoffe im Grundwasser kommen in sehr niedrigen Konzentrationen vor. Die einmalige Einnahme auch teilweise kontaminierter Feldfrüchte aus diesem Gebiet stellt kein Gesundheitsrisiko dar."
    Aber für Kinder und Säuglinge ist dieses Obst und Gemüse ungeeignet, fügt sie hinzu und baden sollte man in diesem Wasser auch nicht. Die Gefahr reicht aber längst über den Stadtteil Vrakuňa hinaus. Das kontaminierte Grundwasser bewegt sich in Richtung auf die sogenannte Schüttinsel. Hier liegt das größte Trinkwasser-Reservoir nicht nur von Bratislava, sondern von ganz Mitteleuropa.
    "Wenn wir noch weitere 50 Jahre warten, um dagegen etwas zu unternehmen, werden wir von der Schüttinsel nicht mehr von einer Quelle reinen Trinkwassers reden können", sagt Alena Trancikova von den Wasserwerken, "es wird eine Quelle sein, deren Wasser wir reinigen müssen, selbst wenn wir damit nur Erdbeeren gießen wollen. Es ist nicht fünf von zwölf, sondern schon halb vier."
    Aber die slowakische Politik hat unter allen Regierungen das Problem jahrzehntelang ignoriert. Erst dank der Beharrlichkeit von Aktivisten wie Juraj Štubniak bemüht sich seit vergangenem Herbst das Umweltministerium um eine Lösung.
    "Wir haben schon einen Arbeitsplan und warten auf die Genehmigung der Baubehörde", erläutert László Sólymos, der Umweltminister. Seit April läuft auch die öffentliche Ausschreibung für die Baufirmen. Wir nehmen an, dass die Sanierung nächstes Jahr beginnen kann."
    Eine Frage des Geldes
    Sanierung bedeutet: Die Deponie soll abgedichtet werden, um zu verhindern, dass sich das kontaminierte Wasser weiter ausbreitet. Hört sich einfach an, ist aber ein Mammutprojekt, wenn man Vlasta Jánová folgt, Chefin der Abteilung Geologie und Naturquellen im Umweltministerium: "Die Deponie wird abgekapselt mit einer unterirdischen Dichtungswand, die rund 80 Zentimeter dick und zwei Kilometer lang sein wird."
    Und sie soll auf der wasserundurchlässigen Schicht in 20 Metern Tiefe stehen. Kostenpunkt 30 Millionen Euro. Juraj Štubniak hält von diesem Plan gar nichts: "Diese Betonkapsel ist billiger, als die Deponie zu beseitigen, aber sie ist völlig sinnlos. Die Wand wird doch löchrig sein wie Schweizer Käse. Das haben mir Experten gesagt. Die Politiker reden hier nur Unsinn. Nichts anderes."
    László Sólymos, der Umweltminister will das nicht gelten lassen: "Wir haben die Lösung gewählt, zu der wir in der Lage sind - finanziell wie technologisch. Ich hoffe, es wird in der Zukunft Technologien geben, die erlauben, diese Deponie zu beseitigen."
    Alena Trancokova von den Wasserwerken mag sich damit nicht abfinden: "Die Verkapselung ist nur eine vorrübergehende Lösung. Das bedeutet, wir verschieben die endgültige Lösung und überlassen sie unseren Kindern, den künftigen Generationen."