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Smartphone warnt vor Menschenmenge

Auf der Duisburger Loveparade wurden vor über zwei Jahren 21 Menschen zu Tode gedrückt. Um Katastrophen wie diese zu vermeiden, wird im Rahmen eines EU-Forschungsprojektes derzeit eine neue Überwachungsmethode entwickelt. Dabei spielen die Mobiltelefone der Veranstaltungsbesucher eine Schlüsselrolle.

Von Volker Mrasek | 12.12.2012
    August 2012. Im Herzen Londons, auf der Horse Guards Parade, steigt das Finale im Beach-Volleyball der Männer bei den Olympischen Sommerspielen.

    Jonas Reckermann und Julius Brink werden das Spiel am Ende gewinnen – und Gold für Deutschland holen! Auf Video-Portalen im Internet sind Szenen der Partie noch abrufbar.

    Was Reckermann und Brink vermutlich bis heute nicht wissen: Viele der Zuschauer im Stadion verfolgten nicht nur ihr Spiel; sie nahmen gleichzeitig an einem europäischen Forschungsprojekt teil.

    Getestet wurde dabei eine neue Sicherheitstechnologie für Großveranstaltungen. Wo sich Besucher so dicht zusammendrängen, dass es lebensbedrohlich werden könnte - das soll sich durch die neue Methode frühzeitig erkennen lassen. Dafür nutzen die Forscher Daten aus dem Mobilfunk-Netz.

    "Also, wir haben jetzt hier das Mobiltelefon. Und ich kann jetzt die App starten."

    Wirz gehört zum Team der Forscher. Der junge Schweizer ist Doktorand am Institut für Elektronik der ETH Zürich. Auch das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern macht mit. Dort wurde die sogenannte App entwickelt - ein kleines Software-Programm, das sich jeder aus dem Internet herunterladen kann. Zunächst gab es das nur für iPhones, inzwischen aber auch für Geräte, die mit Android laufen.

    Die App wird auf der Homepage eines Musik-Festivals oder einer anderen Großveranstaltung angeboten. Sie liefert Besuchern viele praktische Informationen. Darin liegt der Reiz, sich das Programm aufs Smartphone zu holen ...

    "Also, man kann schauen, wo man ist, wo was gerade läuft. Und gleichzeitig nehmen wir die Positionsdaten des Benutzers ab, also regelmäßig. Senden die an einen Server, wo sie dann verarbeitet werden."

    Das geschieht nur, wenn der Benutzer vorher sein Einverständnis gegeben hat, wie Wirz betont:

    "Jede Minute wird dann ein Paket mit den gesammelten Daten zu unserem Server geschickt. Und dort werden die Daten aufbereitet und verarbeitet zu einer Karte, wo dann die Dichten eingetragen werden. Mit unserem Ansatz ist das bis auf fünf Meter genau. Wenn viele Teilnehmer mitmachen, erhalten wir viele Positionsdaten, mit denen wir dann eine aktuelle Übersicht über das Verhalten der Festivalteilnehmer erhalten. Man sieht ziemlich schnell, wo's dann tendenziell viele Leute haben kann."

    Crowd Monitoring nennt sich das Ganze, also Menschenmengen-Überwachung.

    Ein Begriff, der zunächst einmal Misstrauen weckt. Doch wenn man Smartphone-Besitzer darüber aufklärt, welchen Nutzen das Crowd Monitoring hat und dass es auch ihrer eigenen Sicherheit dient, machen viele mit. In London empfanden vier von fünf Anwendern die neue App als nützlich, 90 Prozent gaben an, sie vertrauten dem Vorhaben. Das ergab jetzt die Auswertung am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.

    Und auch die Londoner Polizei war offenbar ganz angetan.

    "Also, ganz klar. Das haben sie gesagt, dass das für sie hilfreich ist. Bis jetzt mussten sie Kameras einsetzen. Gut, das wird weiter bestehen. Aber sogar Helikopter haben sie eingesetzt, um diese ganze Übersicht über den Event zu erhalten. Und das ist halt eine sehr kostspielige und auch aufwendige Angelegenheit."

    Martin Wirz und seine Kollegen sehen das Crowd Monitoring als sinnvolle Ergänzung zur Überwachung mit Kameras, die nur Aufnahmen aus bestimmten Perspektiven liefern, aber keinen Gesamtüberblick über die Besucherströme. Im Juli 2010 kam es in Duisburg zu dem fatalen Unglück bei der Love Parade. 21 Besucher wurden in der Menge erdrückt. Hätte Crowd Monitoring die Katastrophe unter Umständen verhindern können, wäre es damals verfügbar gewesen?

    "Ich möchte nicht sagen: verhindern. Aber es würde halt die Möglichkeit bieten, sehr schnell einen Überblick über die Situation zu erhalten. Viel schneller als mit bestehenden Kamerasystemen. Und das heißt, man hätte vielleicht dort frühzeitig erkennen können, dass etwas falsch läuft. Wie man danach reagiert hätte, das kann ich nicht sagen - ob man es hätte verhindern können, sowieso nicht."

    Noch ist das neue System allerdings gar nicht praxisreif. Es stehen weitere Tests auf dem Programm – der nächste beim Silvester-Feuerwerk in Zürich. Auch dort wird es eng zugehen. Die Veranstalter rechnen mit 200.000 Besuchern.