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Smile reloaded

44 Jahre lang schlummerte "Smile" in den Archiven. Nun ist die Platte der Beach Boys in der Realität angekommen: Instrumentalstücke, einige kurze Skizzen von Songs, düstere Musik. Der Produzent Van Dyke Parks über die Bedeutung des Werks.

Van Dyke Parks im Gespräch mit Marcel Anders | 29.10.2011
    Marcel Anders: Das "Black Album" von Prince? Der "Cocksucker Blues" der Rolling Stones? Im Zeitalter des Internets alles kalter Kaffee, der so gar nichts Mystisches mehr hat. Einzige Ausnahme: Das "Smile"-Album der Beach Boys, das die Popgeschichte der späten 60er komplett auf den Kopf gestellt hätte - wäre es nicht kurz vor Veröffentlichung in den Archiven der Plattenfirma verschwunden. Nur um jetzt, 44 Jahre später, als Meisterwerk gefeiert zu werden. Marcel Anders hat jemanden getroffen, der dabei war und mehr zu berichten weiß, als das kränkelnde Genie Brian Wilson: nämlich Co-Songwriter und Produzent Van Dyke Parks.

    Herr Parks, warum hat es so lange gedauert, um dieses Album zu veröffentlichen?

    Van Dyke Parks:Das kann ich nicht beantworten. Einfach, weil ich mich irgendwann davon abgewendet habe. Ich habe es komplett aus meinem Bewusstsein gelöscht, und mich anderen Dingen zugewendet - wie Filmen und Fernsehen. Schließlich musste ich drei Kinder durchs College bringen, was mich ein Vermögen gekostet hat. Und jedes Mal, wenn mir Leute irgendeine Bootleg Kopie von "Smile" gegeben haben, habe ich sie weggeworfen. Einfach, weil es mich nicht interessiert hat. Und es hat mir auch nicht weitergeholfen."

    Anders: Aus heutiger Sicht: inwieweit war "Smile" eine Reaktion auf den "Sommer der Liebe", aber auch auf Vietnam und die dunklen Wolken, die sich ab 1967 über Amerika zusammengezogen haben?

    Parks: Es war ein Stück Gegenkultur. Und es hatte einen starken Retro-Touch. Einfach, weil es uns darum ging, alte Kirchenhymnen und Barbershop-Melodien zu verarbeiten, die Brian und ich sehr mochten. Und es ging um das Hyperkitschige. Um den amerikanischen Traum, der in den 60ern zu verpuffen schien.

    Wobei der kreative Prozess allein darin bestand, unsere Umgebung zu beobachten und das in einer Art warnender Form umzusetzen. Wobei ich nie behaupten würde, dass ich ein großer Musiker wäre. Aber ich arbeite hart daran, das rüberzubringen, was mir wichtig ist, und etwas Ausdauerndes zu schaffen. Etwas das Bestand hat, das gut klingt und sorgfältig konstruiert ist. Das war mein wichtigstes Anliegen.

    Und zu der Zeit dachte ich eben, dass auch im Klischee eine gewisse Kunst steckt - also in der visuellen Kunst. Leute wie Andy Warhol mit seiner Tomatensuppendose, einem Foto von Marilyn Monroe oder einer Coca Cola-Flasche. Ich meine, er wurde dafür bezahlt, dass er einen Rahmen darum gemacht hat, und es hängt in einem Museum. Eben als die ultimative Neuauflage eines Gedankens. Das kurze, nicht erklärende, aber perfekt zusammengesetzte Image. ) Denn wir wollen uns ja nicht mit zu vielen Gedanken langweilen.

    Und in den 60ern wurden wir mit einer Art von Missachtung konfrontiert, die auch die Kunstwelt erreicht hat. Nämlich dieses Cartoon-Bewusstsein. Genau darum ging es auch bei "Smile". Es war eine bewusste Entscheidung von mir, das durch Texte zu erreichen, die wunderbar zu dem passten, was Brian da gemacht hat. Entweder bewusst oder unbewusst. Denn wir haben das nie groß diskutiert. Wir haben einfach zusammengearbeitet. Und das in einer sehr ruhigen, friedlichen Umgebung."

    Anders: Genauer gesagt: in einem riesigen Sandkasten, der mitten in Brians Wohnzimmer stand, und in dem sich auch sein Klavier befand?

    Parks: All die Exzesse der 60er waren vorhanden. Und Brian war ja extrem reich und berühmt. Also hat er sich die Freiheit genommen, einfach zu Hause zu bleiben und von dort zu arbeiten. Er konnte sich das leisten. Und es hat mich auch nicht sonderlich beeindruckt. Ich habe ihn einzig danach beurteilt, wie er sich mir gegenüber verhalten hat - und mir ist nicht bewusst gewesen, wie viel Zeit meines Lebens ich letztlich mit ihm verbringen würde.

    Denn "Smile" ist ja so etwas wie ein Mythos geworden, der nie verschwunden ist. Nur: Das Entscheidende ist, dass wir unseren Job erledigt haben. Und wir wären auch voll im Zeitplan gewesen, wäre uns nicht "Sergant. Pepper´s" dazwischen gekommen, das zuerst fertig war. Was das Drama noch verschlimmert hat. Denn da waren so viele Probleme und Tragödien."

    Anders: Hand aufs Herz: Wie viele Drogen waren damals im Spiel?

    Parks: Ist das so wichtig? Ich meine, das würde auch niemand im Zusammenhang mit Van Gogh und Ravel fragen. Oder Louis Armstrong. Niemand hätte es je gewagt, ihn darauf anzusprechen, wie sehr seine Arbeit von Marihuana beeinflusst war. Ganz zu schweigen von Charlie Parker oder Dizzy Gillespie.

    Und im Bezug auf "Smile" finde ich das auch nicht angemessen. Einfach, weil es irrelevant ist. Das ist so etwas von kurzsichtig und wird dem Ganzen in keinster Weise gerecht. Nämlich dem kreativen Schaffensprozess. Und der Tatsache, dass dabei etwas entstanden ist, das anhaltenden Wert besitzt. Das nicht die narkotische Erfahrung zelebriert, sondern die menschliche Leidenschaft.

    Und es war ja offensichtlich, dass "Smile" nach Frieden gesucht hat. Was ich für das Wichtigste halte. Eben diese Intention. Das ist es, was da von diesem 24jährigen Jungen ausging. Und ja, wir haben Marihuana geraucht - wenn das so wichtig ist.

    Anders: Aber bei den sagenumwobenen "Fire"-Sessions, als Brian alle Beteiligten genötigt hat, Feuerwehrhelme zu tragen, waren Sie nicht mehr dabei, oder?

    Parks: Nein, da hatte ich genug von der Sache. Es ist einfach zu verrückt geworden - selbst für mich. Also habe ich mir das Schlauchboot geschnappt, ehe das Schiff den Eisberg gerammt hat.

    Anders: Inwieweit hat die Technik der damaligen Zeit dazu beigetragen, dass sich das Album nicht so umsetzen ließ, wie Brian das wollte?

    Parks: Nun, du warst zum Beispiel nicht in der Lage, zwei Tracks zu nehmen und sie - wie heute - zu einem Dritten zusammenzufügen. Dazu brauchst du Multitracks - also eine Drei- oder Vierbandspurmaschine.

    Und was heute ganz einfach ist, war damals sehr kompliziert. Nach dem Motto: "Wenn du ein Echo über die zweite Gitarre legst, wie mischst du das? Wie positionierst du das? Und wie arrangierst du den Wechselgesang? Wie klingt das fürs Ohr am besten?

    Insofern war das für uns eine echte Herausforderung, von Drei- auf Viertrack und dann zu Acht- und 16-Track zu wechseln. Das war auf dem Höhepunkt der analogen Aufnahmetechnik. Und dann kam die 24-Track-Geschichte. Das war der Klimax. Ein echter Segen, der in den 60ern einfach nicht verfügbar war.

    Wobei ich mit den 60ern die Zeit von der Ermordung John F. Kennedy bis zur Ölkatastrophe von Santa Barbara 1969 und natürlich Charles Manson meine. Die Ermordungen, ja Hinrichtungen von Bobby Kennedy und Martin Luther King und die Eskalation des Vietnamkriegs haben das Ende eingeleitet.

    Anders: Wir haben es vermasselt" - das berühmte Resümee aus "Easy Rider"?

    Parks: Stimmt. Ich habe "Easy Rider" erst vor Kurzem wieder gesehen. Ein toller Film!

    Anders: Warum haben die Beach Boys und Capitol Records es vermasselt - war "Smile" zu viel für die Band und die damalige Zeit?

    Parks: Das waren Jungs vom Dorf. Ganz schlichte Gemüter. Mike Loves Bemerkung zum Cello auf "Good Vibrations", das ich vorgeschlagen habe, war zum Beispiel: "Wer soll denn das verdammte Ding spielen? Das kriegt doch keiner von uns hin." Was wirklich Perlen vor die Säue war. Wobei ich zugeben muss, dass die Jungs nur ihr Image schützen wollten. Und das aus gutem Grund. Sie hatten keine Ahnung, wie viel Mut es sie kosten würde, Teil der Post-Eisenhower-Zeit zu werden. Brian dagegen wollte Teil der Gegenwart sein.

    Anders: Aber "Good Vibrations" war ein Riesenhit. Hat das den Jungs nicht die Augen geöffnet?

    Parks: Leider nicht. Aber ich will hier keine alten Konflikte aufkochen. Selbst, wenn ich es nicht nett fand, dass sie mich damals als durchgeknallten Typen bezeichnet haben. Das hat mich sehr verletzt, und mein Leben nicht gerade leichter gemacht. Ich kann also nicht behaupten, dass ich von ihrer Reaktion sonderlich amüsiert war.

    Anders: Und der Moment als Brian "Strawberry Fields" von den Beatles gehört hat? War das sein persönliches Waterloo?

    Parks: Ich denke, es hat ihn unglaublich verletzt, dass "Sergant. Pepper´s" zuerst erschien. Zumal die Beatles ja von "Smile" beeinflusst waren. Sie kamen sogar zu uns ins Studio, um sich anzuhören, was wir da machen. Dann sind sie nach Hause geflogen und haben es schneller umgesetzt, als wir unser eigenes Ding beenden konnten. Sie haben nicht lange im Bentley gesessen und meditiert, sie haben es einfach gemacht - schnell und wunderbar.

    Denn sie hatten George Martin. Und Brian Wilson war zwar George Martin und die Beatles in einem. Aber er verstand es, Brians Vision Klarheit zu verschaffen und sie zu orchestrieren. Deshalb war ihr Album zuerst fertig - was für Brian und alle Beteiligten genauso schlimm war, wie Yuri Gagarins Flug in den Weltraum, der die USA so kalt erwischt hat, dass sie gar nicht verstand, was da gerade passierte.

    Anders: Das Ende des großen Songwritergenies Brian Wilson?

    Parks: Es ging ihm schon nicht besonders, als wir damit angefangen haben. Und ich habe ihn erst vor Kurzem getroffen - zusammen mit Randy Newman. Wir haben uns gemeinsam fotografieren lassen. Und sie sind beide richtig alt geworden. Ganz im Gegensatz zu mir. Sie sahen aus, wie mein Vater an einem schlechten Tag. Sie entsprechen genau der Person, die die Öffentlichkeit in ihnen sieht. Sprich: Sie haben sich ihrem Image angepasst.

    Und es war sehr interessant, das aus nächster Nähe zu beobachten. Insofern würde ich sagen, dass dieser Konkurrenzkampf mit den Beatles, dieser irrsinnige Wettstreit, ihn regelrecht getötet hat.

    Anders: Vielen Dank für das Gespräch!