Diese Strenge ist neu. Aber dem Präsidenten der Region Lombardei Roberto Formigoni, der das eingeschränkte Fahrverbot erlassen hat, ist die Situation vom Januar 2002 noch gut in Erinnerung. Die Stadt war gefangen unter einer schmutzigen Dunstglocke, die Konzentration krebserregender Feinstaubpartikel in der Luft erreichte Rekordwerte und das eingeschränkte Fahrverbot, bei dem genau so wie heute abwechselnd die Autos mit geradem oder die mit ungeradem Nummernschild fahren durften, dauerte ganze drei Wochen. Und als die Werte trotzdem nicht sanken, durfte drei Tage lang überhaupt niemand mehr fahren. Für die geschäftige Millionenmetropole Mailand war das eine Katastrophe. Die soll dieses Jahr verhindert werden. Durch frühzeitige Gegenmaßnahmen:
Bis zum Freitag soll nur die Hälfte aller Autos fahren. Theoretisch. Praktisch werden es doch mehr sein, denn viele Mailänder holen einfach den Zweitwagen aus der Garage, den mit dem passenden Nummernschild:
Italien ist ein Land, das sich mit der Autoindustrie FIAT und so entwickelt hat. In Mailand liegt das Verhältnis Auto zu Einwohner bei 1 zu 1,3 - während in deutschen Städten das Verhältnis bei eins zu 2 oder 2,5 liegt.
Ennio Ruota von der Umweltschutzorganisation Legambiente hat kein Auto. Er fährt mit dem Fahrrad ins Büro. Insofern hat er heute kein Problem. Im Gegenteil: weniger Autos auf den Straßen heißt weniger Stress im chaotischen Stadtverkehr.
Radfahrwege oder auch nur Trennlinien auf der Straße zwischen Autos und Fahrrädern gibt es in Mailands Zentrum nicht. Die Straßen sind eng und verstopft, im Stau stehen ist für die Mailänder ganz normal, trotzdem steigen viele nicht um auf öffentliche Verkehrsmittel. Das liegt zum einen an der Freiheit und Unabhängigkeit, die viele mit dem Autofahren verbinden, am sorgfältig gehegten Mythos des individuellen Mobilseins. Zum anderen an den Defiziten des öffentlichen Nahverkehrs:
Das U-Bahnnetz ist unzureichend und die Busse und Straßenbahnen sind gezwungen, mitten im Autoverkehr zu fahren und kommen deshalb nur langsam vorwärts. So langsam wie die Autos, weil sie nämlich keine eigene Spur haben.
Ennio Ruota fordert eine andere Verkehrsplanung als sie der Mailänder Stadtrat verfolgt. Mehr Geld für den Nahverkehr, ein verbesserter Service, mehr Fußgängerzonen und eine komplette Sperrung des historischen Zentrums für den Autoverkehr. Das hat es alles schon einmal gegeben in Mailand. Für die derzeitige Regierung unter Führung des konservativen Bürgermeisters Gabriele Albertini ist das Auto aber eine Art heilige Kuh:
Albertini hat ganze vier Jahre lang das Wort Verkehr gar nicht in den Mund genommen, für ihn bedeutet mehr Autoverkehr mehr Wirtschaftswachstum. Wir wissen aber, dass das nicht so ist.”
An Tagen wie heute zeigt sich, wie sehr der Autoverkehr Mailands Straßen sonst überlastet. Autos fahren nämlich trotz des eingeschränkten Fahrverbots noch genug herum.
Man kommt viel besser durch, freut sich Angelo Riccardi in seinem weißen Sportwagen. Morgen muss der Kieferorthopäde seinen Flitzer in der Garage lassen, dann fahren nur die mit geradem Nummernschild. Und er wird an der Bushaltestelle stehen, so wie die Mathematiklehrerin Carla Boschi heute. Bei eisigem Wind wartet sie auf die verspätete Straßenbahn.
Trotzdem begrüßt sie das eingeschränkte Fahrverbot. Der alljährlich wiederkehrende Smogalarm im Winter beunruhigt inzwischen viele und stellt das ungehemmte Autofahren in Frage. Möglicherweise auch dann noch, wenn die hohe Konzentration von schädlichen Abgasen in der Luft sinkt und alle Mailänder wieder Auto fahren dürfen, so wie immer. Und im Stau stehen, so wie immer.