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"So eine Riesen-Reform braucht natürlich auch Zeit"

Der Hartz-IV-Ombudsrat der Bundesregierung legt heute nach rund eineinhalbjähriger Tätigkeit seinen Abschlussbericht vor. Es gebe bei Hartz IV vor allem in den Organisationsformen "noch eine Menge Veränderungsbedarf", sagte die SPD-Politikerin Christine Bergmann, Mitglied des Ombudsrats. Die Arbeitsgemeinschaften zur Betreuung von Langzeitarbeitslosen hätten sich nicht bewährt. Bergmann sprach sich außerdem für die Einführung von Kombi- und Mindestlöhnen aus.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Sie wurde damals von der rot-grünen Bundesregierung als notwendig und längst überfällig bezeichnet: die Hartz-IV-Reform, mit der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt wurden. Überflüssige Doppelstrukturen sollten damit abgebaut, Arbeitslosen die Rückkehr in den Arbeitsmarkt erleichtert werden. Doch schnell wurde klar: Diese Reform wird nicht ohne Probleme über die Bühne gehen. Deshalb setzte die Bundesregierung einen Ombudsrat ein. Heute legt das Gremium seinen Abschlußbericht vor. Die ehemalige Bundesfamilienministerin und SPD-Politikerin Christine Bergmann ist Mitglied dieses Ombudsrates und jetzt bei uns am Telefon. Frau Bergmann, Milliardenlöcher im Bundeshaushalt hat Hartz IV gerissen, da man sich über die Anzahl der Anspruchsberechtigten getäuscht hatte. Die Arbeitslosigkeit ist seitdem nicht spürbar gesunken. Ist Hartz IV ein Schlag ins Wasser?

    Christine Bergmann: Nein. Ich glaube, das sieht der Ombudsrat nicht so. Es war schon richtig, die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen. Wir haben jetzt auch das ganze Ausmaß eigentlich der Langzeitarbeitslosigkeit auf dem Tisch. Insbesondere bei den Jugendlichen ist es wichtig, dass die gut betreut werden und da rutscht jetzt auch keiner mehr durch. Insofern war das richtig, aber es gibt natürlich - das haben wir auch in den letzten Monaten schon gesehen - doch noch eine Menge Veränderungsbedarf. Es ist ja auch einiges schon in die richtige Spur gesetzt worden, aber so eine Riesen-Reform braucht natürlich auch Zeit. Es sind vor allen Dingen auch die Strukturfragen, an denen man noch viel arbeiten muss.

    Heckmann: Bundespräsident Köhler hat bei uns im Deutschlandfunk am Wochenende gesagt, Hartz IV sei von Anfang an zu stark auf organisatorische Verbesserungen ausgerichtet gewesen. Sehen Sie das auch so?

    Bergmann: Es war vor allen Dingen klar, dass dieser Kompromiss ... - das war ja ein politischer Kompromiss zu sagen, wir machen jetzt solche Arbeitsagenturen, Arbeitsgemeinschaften, was ja die meisten sind, wo die Kommune drin sitzt und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit und die müssen das jetzt irgendwie zusammen hinkriegen. Das war von vornherein ziemlich schwierig. Es hat sich auch erwiesen, dass das eigentlich nicht funktionieren kann, weil das viel zu viel Abstimmungsbedarf erfordert, viel zu viel von unterschiedlichen Seiten hineinregiert wird in die Arbeitsgemeinschaften. Hier muss man Klarheit schaffen, klare Rechtsgrundlagen, klare Zuständigkeiten. Der Geschäftsführer einer solchen Einheit, wie man es auch immer nennt, der muss doch Weisungsbefugnis haben über sein Personal. Der muss auch sehr viel Verantwortung übernehmen können. An der Ecke fehlt es sehr. Da muss noch viel verändert werden.

    Heckmann: Das heißt Sie würden sagen, die Arbeitsgemeinschaften haben sich in dieser Form nicht bewährt?

    Bergmann: Ja, das muss man, glaube ich, so klar sagen. Hier hat es schon einige Verbesserungen gegeben im letzten Jahr, aber wir halten die nicht für ausreichend. Eigentlich sagen wir, müsste man eine eigenständige Organisationseinheit haben, die natürlich auch kontrolliert wird, die aber alle Kompetenzen hat, um eben vor Ort wirklich agieren zu können. Es geht einfach zu viel Zeit und zu viel Kraft drauf und dann gibt es noch eine unzureichende Software. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ja viel tun, die sollen aber vermitteln und nicht permanent nur sich um die Abstimmung kümmern.

    Heckmann: Die Union hat damals ja gefordert, dass die Kommunen zuständig sein sollten für die Betreuung der Langzeitarbeitslosen. Wäre das jetzt wieder eine Option, die ins Spiel zu bringen ist?

    Bergmann: Das kann man so eindeutig auch nicht sagen. Wir haben ja einige solcher Optionskommunen und auch da gibt es natürlich noch Abstimmungsbedarf mit den Arbeitsagenturen und auch das funktioniert nicht immer optimal. Ich glaube, hier muss man wirklich noch mal ran und sagen, welche Struktur haben wir jetzt, die die Probleme wirklich am besten löst und auch am unbürokratischsten löst. Es ist ja auch ein Riesen-Aufwand, der da betrieben wird bei jeder Änderung. Für die Betroffenen ist es schwierig, einen Bescheid überhaupt lesen zu können. Das haben wir ja alles gemerkt bei unserer Arbeit.

    Heckmann: Frau Bergmann, die Politik hat versprochen, die Reform nach dem Prinzip Fördern und Fordern durchzuführen. Vom Fordern können viele Menschen wahrscheinlich ein Lied singen. Wurde denn das Versprechen gehalten, auch zu fördern?

    Bergmann: Es ist doch zu wenig integriert worden, trotz des schwierigen Arbeitsmarktes, den wir ja haben. Es ist auch die Frage, reichen die Instrumente aus. Es hat aber eben auch mit Strukturen zu tun: Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter permanent andere Dinge zu tun haben, dann können sie nicht genug wirklich fördern. Es hat relativ gut funktioniert im Bereich der Unter-25-Jährigen. Da gibt es wirklich Verbesserungen durch die intensive Betreuung. Wenn vor Ort gut zusammengearbeitet wird - das gilt generell -, dann kann man da wirklich eine ganze Menge bewegen. Aber für uns ist auch die Frage: Reichen die Instrumente? Wir kennen den Arbeitsmarkt. Wir wissen, dass viele der Langzeitarbeitslosen - und das sind nicht nur die Wenigqualifizierten; es sind eben auch die älteren auch kurz vor der Rente - kaum Chancen haben, in den ersten Arbeitsmarkt rein zu kommen. Also braucht man eigentlich, sage ich, ein neues Übereinkommen, wie man jetzt auch öffentlich Arbeit fördert in bestimmten Bereichen für bestimmte Personengruppen, um ihnen Arbeit zu ermöglichen, von der wir ja reichlich haben, die wir nicht finanzieren können. Das ist eine gute Aufgabe, sage ich immer, für die große Koalition.

    Heckmann: Das heißt, Sie sprechen sich für die Einführung von Kombi- oder beziehungsweise auch von Mindestlöhnen aus?

    Bergmann: Beides! Das eine ist, dass man sagt, wie kann ich jetzt Arbeit noch mal öffentlich fördern. Das andere ist, dass wir sehen, wie viele Menschen neben Arbeitslosengeld II auch ein Erwerbseinkommen haben, das heißt, Einkommen aus Erwerbsarbeit so niedrig sind, dass sie unter den Regelsätzen liegen, wir also hier schon einen Kombilohn geschaffen haben durch die Grundsicherung, ohne dass wir einen Mindestlohn haben. Das gehört aus meiner Sicht zusammen. Man muss sich jetzt auch sehr bald angucken, wie schaffen wir einen Mindestlohn in welcher Form auch immer, aber der eben nicht nur den tarifgebundenen Bereich betrifft, denn in dem außertariflichen oder dem nicht tarifgebundenen Bereich haben wir natürlich besondere Probleme. Das sind Fragen, die in den nächsten Monaten gelöst werden müssen.

    Heckmann: Muss man in diesem Zusammenhang aus Ihrer Sicht auch über Kürzungen bei den Hartz-IV-Sätzen nachdenken, um eben den Anreiz zu erhöhen, Arbeit anzunehmen?

    Bergmann: Nein! Das würde ich nicht sagen. Ich würde sagen, das ist der falsche Ansatzpunkt, denn die 345 Euro Regelsatz sind nun wirklich nicht üppig bemessen. Das andere Thema ist aus meiner Sicht das wichtigere, dass man sagt, wie schaffen wir es denn eigentlich, dass Menschen doch mehr, die das ja alle wollen, ihr Einkommen über Erwerbseinkommen beziehen. Denn wenn wir eben Bereiche haben - und ich nenne immer die Call-Center, wo von 600 Euro bei 40 Wochenstunden bis 900 Euro für 48 Wochenstunden solche Löhne gezahlt werden -, dann ist klar, dass hier Ansprüche entstehen, die das Arbeitslosengeld II dann auch in die Höhe treiben. Das muss man dann schon im Zusammenhang sehen. Die Debatte oder die Frage, wie schaffen wir hier andere Lösungen, die stellt sich schon.

    Daneben muss man natürlich auch gucken, dass man im Niedriglohnbereich Möglichkeiten aber gezielt politisch schafft, wo man sagt, wo wollen wir denn jetzt so einen Kombilohn gezielt haben, meinetwegen im Bereich der Betreuung, der Älteren oder wo auch immer. Das ist aus meiner Sicht leistbar und das ist vor allen Dingen von einer großen Koalition leistbar.