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So prosaisch wie peinlich

Dass man auch im Elfenbeinturm weder vor großen Gefühlen, noch vor großen Schlammschlachten gefeit ist, zeigt ein neues Beispiel aus Großbritannien. Dort hat die neu ernannte Oxforder Professorin für Dichtkunst, Ruth Padel, nach noch nicht einmal zwei Wochen ihren Stuhl räumen müssen. Grund ist ein enthüllender Zeitungsartikel vom Anfang dieser Woche.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Jeanette Winterson, die lesbische Schriftstellerin und Londoner Bioladen-Besitzerin, hat natürlich recht, wenn sie sagt, dass "Oxford ein sexistisches kleines Drecksloch" ist. Aber gilt das nicht für den ganzen Literaturbetrieb, und zwar weltweit? Winterson hatte vor langer Zeit mal Julian Barnes die Frau weggenommen, die inzwischen verstorbenen Literaturagentin Pat Kavanagh, die zufällig auch Barnes Bücher betreute. Darüber zerriss sich das sexistische kleine Drecksloch London eine Weile das Maul, bis die nächste Sexaffäre die Schöngeister bewegte. Schlimmer als ein sexistisches kleines Drecksloch ist nur ein sexistisches kleines Drecksloch mit Gedächtnis.

    Nun musste Ruth Padel gar keine besondere Gedächtnisleistung vollbringen, um sich und ein paar Journalisten an die sexuellen Missetaten des Dichters Derek Walcott zu erinnern. Der hatte vor bald dreißig Jahren in Boston, wo er Dozent war, an Studentinnen herumgefingert, statt ihnen strenge Noten zu erteilen. Darüber gibt es ein hässliches Büchlein mit dem Titel "The Lecherous Professor" - zu Deutsch: Der geile Professor. Auf dieses Werk brauchte Padel bloß hinzuweisen, um den Nobelpreisträger Walcott als Kandidaten für die Oxforder Poetik-Professur zu diskreditieren.

    Er schied dann von selber aus dem Rennen um diesen ehrenvollen und traditionsreichen, seit drei Jahrhunderten bestehenden Posten, woraufhin Padel - als erste Frau auf demselben - gewählt wurde. Nun enthüllte aber die Sunday Times, dass Ruth Padel eben doch im Vorfeld der Wahl mit Hinweisen auf das Sexleben ihres Konkurrenten Stimmung gegen ihn gemacht hatte. Das hatte die Dame, übrigens eine Ururenkelin von Charles Darwin, bislang bestritten.

    Und so ist die Kollision von Lüge und Lyrik, von Poesie und Pose perfekt: Erst wird die reinste Form der Kommunikation, nämlich die Dichtung, durch die unreinste, nämlich den Geschlechtsverkehr, denunziert, dann werden Worte, das heilige Fundament aller dichterischen Tätigkeit, verleugnet, und schließlich artet die Besetzung eines der distinguiertesten Lehrstühle der Welt in eine akademische Farce nach der Art aus, wie David Lodge den Universitätsbetrieb dargestellt hat.

    Letztlich ging es - wie bei der amerikanischen Präsidentenwahl - um die Entscheidung zwischen zwei Novitäten: Frau oder Farbiger. Walcott, der Mann aus der Karibik, besitzt allerdings die unvergleichlich größere Reputation. Die musste zunächst demontiert werden, und zwar mit einer Kampagne, die weitaus mehr nach "sexistisches kleines Drecksloch" roch als das, was die Feministin Jeanette Winterson so empfindet: die Tatsache, dass Padel wegen ihres Verhaltens zurücktreten musste.

    Jetzt ist der Posten vakant, doch weder Walcott noch Padel werden sich erneut bewerben.