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Socrates macht ernst

Die Euro-Krise hat auch in Portugal tiefe Spuren hinterlassen. Nachdem Brüssel den Druck auf das Land erhöhte, das Sparprogramm noch einmal nachzubessern, hat Premierminister Jose Socrates jetzt umfangreiche Steuererhöhungen durchgesetzt.

Von Tilo Wagner | 01.06.2010
    Erst Anfang des Jahres hat Raul Serra mit einigen Geschäftspartnern ein traditionsreiches Bekleidungsgeschäft auf der Lissabonner Flaniermeile Avenida da Liberdade übernommen. Die Unternehmer haben viel investiert und hofften auf einen guten Geschäftsverlauf. Doch nun fürchten sie, dass ihnen die Kundschaft ausbleibt, denn das Geld in den Taschen der Portugiesen wird immer knapper.

    Seit heute ist die Mehrwertsteuer von 20 auf 21 Prozent erhöht. Ebenso erhöht wurden die Einkommens- und Gewerbesteuer, die Steuern auf Grundnahrungsmittel, die Gastronomiesteuer und die Kapitalsteuern auf Aktiengewinne. Die Kaufkraft wird sinken, befürchtet Raul Serra und die Portugiesen zwangsläufig weniger konsumieren. Der Frust ist bei ihm und seinen Geschäftspartnern deshalb groß; die Wut auf die Politiker ebenso.

    "Die Politiker sind doch nur da, um sich selbst zu regieren, aber sie machen keine Politik für das Volk. Das darf dann nur wieder den ganzen Schlamassel ausbaden. Die Politiker können das dann nennen wie sie wollen, es ist immer der Mann auf der Straße, der die Rechnung zahlt."

    Premierminister Jose Sócrates hat derzeit keinen guten Stand. Sein Wahlvolk ist verärgert, denn schließlich verdankt er seine Wiederwahl im vergangenen September auch seinem Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen. Nun steht er angesichts seines drastischen Kurswechsels mit dem Rücken zur Wand. Der Premierminister versucht sich nun zu rechtfertigen:

    ""Ich habe alles versucht, um eine Steuererhöhung zu vermeiden. Aber die Situation, in die unser Land geraten ist, hat mir keine andere Wahl gelassen. Deshalb muss ich mich auch nicht entschuldigen. Ich habe lediglich getan, was ich tun musste."

    Kritiker werfen der Regierung jedoch vor, viel zu lange an teueren Investitionsprojekten,
    wie etwa dem Neubau eines Großflughafens in Lissabon festgehalten und die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Tatsächlich hat Sóctrates erst nach einem Treffen mit den Regierungschefs der Eurozone eingelenkt. Seine sozialistische Minderheitsregierung kann immerhin bei dem verschärften Konsolidierungskurs mit der Unterstützung der Sozialdemokraten – der größten Oppositionspartei – rechnen. Deren gerade neu gewählter Parteichef Pedro Passos Coelho mahnt die Regierung jedoch zu mehr Transparenz:

    ""Wenn wir die Regierung nicht unterstützt hätten, stünde unser Land jetzt vor dem Bankrott. Der Premierminister sagt, die Maßnahmen seinen nötig, um den Euro zu retten. Das ist falsch. Wir retten nicht den Euro, sondern die portugiesische Wirtschaft."

    Allerdings lässt Sócrates dabei das nötige Fingerspitzengefühl vermissen. So wurden die
    Steuererhöhungen per Regierungsbeschluss durchgesetzt. Das portugiesische Parlament
    debattiert erst in den nächsten Tagen über die Maßnahmen, die aber bereits ab heute in Kraft sind. Dadurch verstärkt sich unter Parlamentariern, aber auch in der Bevölkerung das Gefühl, dass sie in den Entscheidungsprozess zwischen Brüssel und Lissabon nicht eingebunden wurden.
    Ein Misstrauensvotum gegen die Regierung, das die Kommunistische Partei vorletzte Woche
    einbrachte, scheiterte dennoch, weil keine der Mitte-Rechts-Parteien in der gegenwärtigen Situation eine politische Krise auslösen wollte.

    Mit einem jährlichen Steuermehrgewinn von über 1 Milliarden Euro, Einsparungen im öffentlichen Sektor und Privatisierungen staatlicher Unternehmen will Portugal bis zum Jahr 2013 wieder unter der Defizitgrenze von 3 Prozent liegen, die im Wachstums- und Stabilitätspakt vorgeschrieben ist. Premierminister Sócrates:

    "Die Maßnahmen werden so lange in Kraft bleiben, bis wir unsere haushaltspolitischen Ziele erreicht haben. Der jetzige Pakt mit der Opposition gilt bis Ende 2011, aber wenn es erforderlich ist, bleibt es bis 2013 bei den Steuererhöhungen."

    Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive hätte der Zeitpunkt nicht schlechter sein können. Denn die portugiesische Wirtschaft ist im ersten Quartal dieses Jahres überraschend stark gewachsen. Und trotz der neuen Rekordarbeitslosigkeit von 10,6 Prozent, deuten erste Anzeichen daraufhin, dass im April eine leicht Erholung auf dem Arbeitsmarkt eingetreten ist. Wirtschaftsexperten fürchten jetzt, dass der private Konsum wegen der Steuererhöhungen einbricht und das Wachstum ausbremst.

    Doch nicht alle Portugiesen machen ausschließlich die Regierung für die derzeitigen Probleme verantwortlich, viele fassen sich auch an die eigene Nase und hinterfragen ihr individuelles Verhalten in den letzten Jahren. Schließlich haben insbesondere die privaten Haushalte von den billigen Krediten Gebrauch gemacht, die mit der Euro-Einführung angeboten wurden, und sich dadurch höher verschuldet. So stieg seit 1999 die Verschuldung der Familien von 81 auf 135 Prozent.