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Sócrates vs. Silva

Bei den Parlamentswahlen in Portugal vor zwei Wochen hatte Ministerpräsident Jose Sócrates die absolute Mehrheit verloren. Sócrates will eine Minderheitsregierung bilden, doch sein Verhältnis zu dem Mann, der ihn mit dem Regierungsbildungsauftrag wieder im Amt bestätigen muss, ist empfindlich gestört: Präsident Aníbal Cavaco Silva.

Von Tilo Wagner |
    Als der Großvater von José Rua vor 128 Jahren den kleinen Hutladen am Rossio – Lissabons Hauptplatz – aufmachte, war Portugal noch eine Monarchie. Das Traditionsgeschäft überstand Republik, Salazar-Diktatur und die Nelkenrevolution. Der jetzige Besitzer beobachtet die aktuelle Politik ganz genau und glaubt zu wissen, wie sein Land nach den Parlamentswahlen aus der Krise kommen kann:

    "Ich wünsche mir politische Stabilität, Wirtschaftsaufschwung und dass die Politiker sich einig werden. Dann werden wir und unsere Kinder eine bessere Zukunft haben."

    Zurzeit sind José Ruas Forderungen jedoch reines Wunschdenken. Denn Portugal droht eine politische Zerreißprobe. Sicher ist nur, dass Premierminister José Sócrates in seinem Amt bestätigt wird. Im neuen Parlament stellt seine sozialistische Partei nicht mehr die absolute Mehrheit, sondern nur etwas mehr als zwei Fünftel aller Abgeordneten. Wie schwierig es sein wird, unter den neuen Mehrheitsverhältnissen zu regieren, erklärt Marco Lisi von der Universität Lissabon, der eine Studie über die portugiesischen Sozialisten verfasst hat:

    "Die neue Regierung Sócrates wird unter ganz anderen Bedingungen ihre Arbeit aufnehmen als in der vergangenen Legislaturperiode. Die Sozialisten haben viel weniger Abgeordnete. Und obwohl sie kurz vor der Wahl noch einmal nach links steuerten, stellt ein Großteil der Zivilgesellschaft ihre Arbeit infrage. Es wird ihr sehr schwer fallen, politische Allianzen zu formen und ihre Politik durchzusetzen."
    Schon bei der Verabschiedung des Haushaltes für 2010 ist José Sócrates auf andere Parteien angewiesen. Theoretisch ist eine Koalitionsregierung mit dem Linksblock und der kommunistischen Partei zwar möglich. Die ideologischen Unterschiede zwischen den gemäßigten Mitte-Links-Sozialisten und den dogmatischen Kommunisten scheinen jedoch so unüberbrückbar, dass wohl kein stabiles Bündnis zustande kommen wird. Wenn José Sócrates mit einer Minderheit regieren will, muss er noch eine Eigenschaft pflegen, die er bisher sträflich vernachlässigt hat: die Dialogbereitschaft. Marco Lisi bezweifelt jedoch, dass der Premier die Verhandlungen mit der Opposition selbst führen wird:

    "In der sozialistischen Partei gibt es kompromissbereite Kräfte, die sich insbesondere mit den gemäßigteren Flügeln im Linksblock und in der Kommunistischen Partei verstehen. Das Problem ist, dass in der vorherigen Regierung die Macht stark gebündelt in den Händen von José Sócrates lag. Sein Machtanspruch war fast absolut. Ein Dialog ist jetzt nur möglich, wenn er einen Teil dieser Macht an die kompromissbereiten Kräfte innerhalb seiner Partei abgibt."
    Doch selbst das könnte für ein stabiles Regieren nicht reichen. Denn ausgerechnet jetzt droht ein Konflikt mit Staatspräsident Cavaco Silva zu eskalieren, der Mitglied der stärksten Oppositionspartei ist. Das portugiesische Sommertheater war dieses Jahr von der Meldung bestimmt, Mitarbeiter des Präsidenten befürchteten, von der sozialistischen Regierung beschattet zu werden. Ohne die angebliche Bespitzelungsaffäre wirklich aus der Welt zu schaffen, meldete sich der Präsident kurz nach den Wahlen mit einer klaren Kampfansage an die bisherige Regierung zu Wort:

    "Cavaco könnte seinen Angriff gestartet haben, um auf die jetzige Regierungsbildung mehr Einfluss zu nehmen und zum Übervater der neuen Politik zu werden. Das würde auch seine Chancen erhöhen, bei der nächsten Präsidentenwahl wiedergewählt zu werden."
    Die Verfassungsgeschichte sieht eine derartig aktive Rolle des Staatsoberhauptes zwar nicht vor. Doch ausgerechnet ein sozialistischer Präsident entließ vor fünf Jahren wegen angeblicher politischer Unfähigkeit eine Mitte-Rechts-Koalition mit stabiler Mehrheit im Parlament und rief Neuwahlen aus, die die Sozialisten zurück ins Zentrum der politischen Macht brachten. Ob dieser Präzedenzfall nun für die Sozialisten zum Eigentor wird, wird sich im Verlauf des kommenden Jahres zeigen. Denn erst dann darf Präsident Cavaco Silva von seinem Verfassungsrecht Gebrauch machen und das Parlament wieder auflösen.