Sofia Gubaidulina - "Johannes-Passion"
Zum Gedenken an den 250. Todestag von Johann Sebastian Bach im letzten Jahr hatte die Internationale Bachakademie Stuttgart und ihr künstlerischer Leiter Helmuth Rilling vier große Kompositionsaufträge vergeben: Komponisten aus unterschiedlichen Kulturräumen wurden eingeladen, sich mit einer musikalischen Gattung auseinander zu setzen, für die Bach maßstabsetzende Werke geschaffen hat: mit der Passion. Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit wurden dann vor ziemlich genau einem Jahr in Stuttgart vier große neue Passionen vorgestellt: von Wolfgang Rihm, Sofia Gubaidulina, Osvaldo Golijov und von Tan Dun. Die Passionsstücke nach Lukas von Wolfgang Rihm erschienen bereits vor einiger Zeit auf CD; jetzt veröffentlicht hänssler classic auch die beiden Uraufführungsmitschnitte der Markus-Passion von Osvaldo Golijov und der Johannes-Passion der 1931 in Tschistopol geborenen Sofia Gubaidulina. * Musikbeispiel: Sofia Gubaidulina - Nr. 1 "Das Wort" aus: Johannes-Passion Sofia Gubaidulina wollte eine groß angelegte Passion in russischer Sprache schreiben, für 4 Solostimmen, zwei Chöre, Orchester, Synthesizer und Orgel. Doch wurde es keine russisch-orthodoxe Kirchenmusik im engeren Sinne, schon deshalb nicht, weil die Tradition dieser Kirche das Einbeziehen von Instrumenten nicht gestattet - weder im Gottesdienst, noch in anderen kirchlichen Ritualen. Gubaidulina vertonte die Geschichte vom Leiden und Tod Christi als betont ruhigen, mit Gelassenheit vorgetragenen Bericht. Neben dem Evangelium benutzte sie auch Texte aus der Offenbarung des Hl. Johannes. Diese Verbindung der Leidensgeschichte Christi mit den grausamen Schilderungen des Jüngsten Gerichts ist nicht neu: Sie findet sich gemalt zum Beispiel schon in den berühmten Fresken Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle in Rom. So sagt Gubaidulina bescheiden: "Mir blieb nur, in der Musik das zu tun, was mehrfach und lange Zeit vor mir mit den Mitteln der Architektur und der Freskenmalerei gemacht wurde. In meinem Werk habe ich mich ebenfalls bemüht, diese zwei Texte so miteinander zu verbinden, dass die beiden Ereignis-Typen ständig nebeneinander bestehen und sich durchkreuzen - die Ereignisse auf der Erde, die in der Zeit ablaufen (Leidensgeschichte) und die Ereignisse im Himmel, die sich außerhalb der Zeit entfalten (Apokalypse)." Der 10. Abschnitt dieser russischen Passion mit dem Titel "Grablegung": Zu Beginn wird berichtet, wie den mit Jesu Gekreuzigten die Beine zerschlagen werden, während ihm selbst mit einer Lanze in die Seite gestoßen wird; später folgt dann der Bericht über den heimlichen Jesu-Jünger Josef aus Arimathäa, der zusammen mit Nikodemus die Bestattung Jesu übernimmt. Der Solist ist Genady Bezzubenkov, Bass. * Musikbeispiel: Sofia Gubaidulina - Nr. 10 "Grablegung" aus: Johannes-Passion