Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv


'Soforthilfe muss schnell ausgezahlt werden, um Insolvenzen zu verhindern'

Lange: Was kostet der Wiederaufbau in den ostdeutschen Hochwasserregionen? - Die Bundesregierung hat 130 Millionen Euro Soforthilfe zur Verfügung gestellt, dazu 600 Millionen für Schuldenerlasse und Zuschüsse. Aber die sächsische Landesregierung geht davon aus, dass allein die betroffenen Unternehmen bei ihnen zwei Milliarden Soforthilfe brauchen, um den Gang zum Konkursverwalter zu vermeiden. Für die Firmen ist dieser Wochenbeginn eine sehr sensible Phase, denn nach den Buchstaben des Gesetzes müssten eigentlich viele jetzt Insolvenz beantragen. - Am Telefon ist nun Rolf Schwanitz, seines Zeichens Staatsminister im Kanzleramt und Beauftragter für den Aufbau Ost. Guten Morgen Herr Schwanitz!

02.09.2002
    Schwanitz: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Herr Schwanitz, es gibt da eine 21-Tage-Frist, die in diesen Tagen abläuft. Kommt jetzt die große Pleitewelle, wie sie Martin Gillo, der sächsische Wirtschaftsminister, befürchtet?

    Schwanitz: Nein, das darf nicht passieren und mir ist auch ganz wichtig, heute Morgen noch mal darauf hinzuweisen, dass man jetzt wegen der 21 Tage nicht mit Angst Insolvenzgedanken hegen soll. Die Politik, egal ob das jetzt den Bund betrifft oder die betroffenen Länder, hat eine klare Ansage gemacht, und zwar eine Ansage bezogen auf Hilfe und finanzielle Unterstützung. Die von der Hochwasserflut betroffenen Unternehmen haben also, um es mal juristisch zu sagen, eine Anwartschaft auf Geld erworben. Die muss jetzt in den nächsten Tagen abgewickelt werden. Deswegen kein Gedanke an den Insolvenzrichter!

    Lange: Was soll denn ein Firmeninhaber machen, dessen Produktion durch das Hochwasser seit drei Wochen lahmgelegt ist oder dem wo möglich die ganze Firma zerstört worden ist? Was ist der konkrete Schritt, den er nun tun muss?

    Schwanitz: Der konkrete Schritt heißt, auf die jeweiligen Stellen, die in dieser Woche wie auch zum Teil schon in der letzten Woche vor Ort sein werden, zuzugehen, die Hilfen in Anspruch zu nehmen. Das betrifft nicht nur die Soforthilfen auf der einen Seite. Sie wissen, wir haben ja über Kurzarbeitergeld, aber auch über direkte Liquiditätshilfen sofort versucht, das ärgste zu verhindern, damit niemand entlassen werden muss. Das ist der erste Schritt gewesen. Aber es geht jetzt natürlich gerade auch in dieser Woche darum, den Neustart zu finanzieren, die Hilfen in die Unternehmen zu bekommen. Das wird in dieser Woche das große Thema der öffentlichen Förderbanken sowohl des Freistaates Sachsen - Sie hatten das Beispiel angesprochen - als auch der deutschen Ausgleichsbank vor Ort sein.

    Lange: Herr Gillo, den ich zitiert habe, der Wirtschaftsminister von Sachsen, sagt, manche Unternehmen brauchen sofort mehrere hunderttausend Euro, um weiterzumachen. Kriegen die Leute, die das brauchen, wirklich das Geld in dieser Woche?

    Schwanitz: Wir haben ja nicht nur über diese Soforthilfe gesprochen. Ich verstehe auch manchen Konflikt, den Herr Gillo dort mit kräftigen Worten thematisiert, nicht. Der Freistaat Sachsen hat ein Soforthilfeprogramm aufgelegt; wir haben das auch getan. Das sind die bekannten 15000 Euro.

    Lange: Mit denen man keine großen Sprünge machen kann!

    Schwanitz: Nein, aber das kann für einen Händler beispielsweise schon ein wichtiger erster Schritt sein. Wir wissen aber alle und das ist auch kein Streitpunkt, dass es dann natürlich viel größere Schadensvolumina gibt, die auch bewegt werden müssen. Da wird es ein schlankes Verfahren geben müssen. Wir haben also eine mehrstufige Variante: Pauschalentschädigungen, die dort greifen können und müssen, mit größeren Summen bis zu 50000 Euro. Wir haben uns auch mit den Ländern verständigt, über das große Förderinstrument Gemeinschaftsaufgabe Ost die Fördersätze nach oben zu nehmen. Da kann viel bewegt werden. Aber dann kann es eben auch schwerere Fälle geben, größere Unternehmen geben, bei denen die Schadenssumme in die Millionen hineingehen. Dort muss man dann auch in einem zügigen Verfahren die Beteiligten an einen Tisch holen und eine neue Finanzierungslösung für die Zukunft erarbeiten. Aber auch das ist etwas, was sich nicht nach Wochen, sondern nach Tagen bemessen muss.

    Lange: Es gibt ja auch von der Koalition eine immer deutlicher ausgesprochene Erwartung an die Banken, auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten und bei der Entschuldung dieser betroffenen Unternehmen zu helfen. Wie wollen Sie das durchsetzen?

    Schwanitz: Die Banken müssen mitziehen. Die Banken sind übrigens jetzt genauso betroffen. Ihnen ist, wenn man so will, das Objekt weggeschwommen, das sie durch Kredite letztendlich auch besichert haben. Und wenn die öffentliche Hand hier selbst Geld in die Hand nimmt, neue Objekte beispielsweise anschafft, dann hat die Bank auch etwas dabei positiv gewonnen, denn sie ist ja auch geschädigt. Also jeder muss hier einen Solidarbeitrag erbringen. Worin der konkret besteht, das werden wir im Einzelfall diskutieren.

    Lange: Aber der Bankenverband sieht dort überhaupt keine Verpflichtung irgendeiner Art?

    Schwanitz: Ich glaube das war etwas überspitzt wahrgenommen und dargestellt. Die Bankenverbände wissen genau - das haben sie auch nicht in Frage gestellt -, dass sie wie bei den Runden-Tisch-Modellen, die wir ja an sich seit vielen Jahren, seit Mitte der 90er Jahre haben und an denen sie sich beteiligen, natürlich bei einem neuen Finanzierungstableau auch die Banken mit im Boot sein müssen und im Boot sein werden.

    Lange: Herr Schwanitz, inzwischen gibt es Stimmen aus Ihrer Partei, dass die zehn Milliarden Wiederaufbaufonds vermutlich nicht reichen werden. Manfred Stolpe bringt jetzt selbst den Bundesbankgewinn als zusätzliche Geldquelle ins Gespräch. Da kann ja der Vorschlag der Union nicht so verdammenswert gewesen sein, wie Hans Eichel, der Finanzminister, ihn hingestellt hat?

    Schwanitz: Den Finanzierungsvorschlag, die Lasten auf die Kinder- und Enkelgeneration zu verteilen und nicht hier und heute zu finanzieren, den halte ich in der Tat für falsch. Wir haben auch die Kraft dazu und ich will schon noch mal sagen: Vor zwei Wochen hatte der bayerische Ministerpräsident eingeladen und unter großem Tamtam ein Hilfsprogramm von zwei Milliarden Euro beschlossen. Jetzt haben wir einen großen Aufbaupakt, der insgesamt zehn Milliarden bewegen wird. Deswegen halte ich diese Diskussion eigentlich für Theorie. Wir müssen jetzt dafür sorgen - das ist das Problem -, die Hilfe möglichst schnell vor Ort zu bringen. Da sollten wir unsere Kraft investieren und nicht in hypothetische Diskussionen, ob das reicht.

    Lange: Gibt denn der derzeitige Haushalt die Milliarden her, die benötigt werden? Es gibt ein höheres Defizit bei der Bundesanstalt für Arbeit, was heute zu lesen ist. Möglicherweise wird das Schuldenkriterium von Maastricht auch erreicht oder überschritten. Wo kommen die Kredite her, die jetzt benötigt werden?

    Schwanitz: Das hat Hans Eichel sorgsam durchgerechnet. In dem allgemeinen Wahlkampfdampf werden natürlich auch andere Spekulationen auf den Markt gestellt, aber die Zahlen, die wir haben, machen in der Tat deutlich, wir können das finanzieren, solide natürlich dadurch, dass wir auf die Einnahmemöglichkeiten zurückgreifen, die durch das einjährige Verschieben der Steuerreformstufe im nächsten Jahr hineinkommen. Da müssen die Länder auch mithelfen. Das haben sie uns allerdings auch signalisiert. Da ist ein großer Wille zur Solidarität vorhanden. Die Europäische Union ist darüber hinaus mit 1,2 Milliarden auch im Boot. Auch das ist zusätzliches Geld und das muss jetzt mobilisiert werden.

    Lange: Aber das, was durch die Verschiebung der Steuerreform an Geld zur Verfügung steht, das kommt ja eigentlich erst im nächsten Jahr in die Kasse. Wie wird der Bund dafür sorgen, dass jetzt schon die Milliarden locker gemacht werden?

    Schwanitz: Da werden Vorfinanzierungen greifen müssen. Hans Eichel hat ja deutlich gemacht, dass er beispielsweise auch eine Haushaltssperre in diesem Jahr für angebracht hält, bei der natürlich - denn wir müssen ja auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen achten - investive Ausgabepositionen nicht berührt sind, auch natürlich die Fragen der äußeren Sicherheit und der Fluthilfen nicht berührt sind. Also da kann vorfinanziert werden. Da helfen uns auch die öffentlichen Förderbanken mit und ich weiß, dass auch die Länder ihrerseits - die haben ja das selbe Problem - natürlich jetzt auch an schneller Hilfe interessiert sind und deswegen zunächst erst einmal an die vorhandenen Möglichkeiten denken und sich dann refinanzieren durch den Aufbaufonds im nächsten Jahr.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Rolf Schwanitz, Staatsminister im Kanzleramt und Beauftragter für den Aufbau Ost. - Danke für das Gespräch, Herr Schwanitz, und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio