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"Soft Power" in New York
Als China das Musical erfand

Wie wird die Welt in 50 Jahren den Tag sehen, an dem Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl gewann? Aus der Sicht des chinesischen Musicals "Soft Power" ist die Antwort klar: als Ende der amerikanischen Demokratie und der kulturellen Vorherrschaft des Westens.

Von Andreas Robertz | 17.10.2019
Der US-amerikanische Schriftsteller und Dramatiker David Henry Hwang, 2012
Verkehrte Kulturwelt: der US-amerikanische Schriftsteller und Dramatiker David Henry Hwang, 2012 (imago / ZUMA Press)
Das Stück beginnt im November 2016. Filmproduzent Xūe Xíng aus Shanghai bittet den erfolgreichen New Yorker Dramatiker David Henry Hwang, aus einer in China erfolgreichen Soap ein Musical im Broadway-Stil zu schreiben. Doch wegen Chinas autoritärer Zensur und den vielen inhaltlichen Beschränkungen lehnt Hwang ab. Als sie sich zusammen am Broadway eine Wiederaufnahme des Musicals "The King and I" ansehen, lernt der Produzent Hillary Clinton kennen, die im Theater ein Fund Raising für ihren Wahlkampf veranstaltet. Auf dem Weg nach Hause wird David Hwang von einem fremdenfeindlichen Unbekannten mit einem Messer angegriffen und schwer verwundet.
Szenenwechsel, 50 Jahre später: Der Vorhang öffnet sich und auf einer knallroten Musicalbühne mit vollem Orchester, Tänzern, Glitzervorhängen und Schiebekulissen entfaltet sich Hwangs herrlich übersteigerte Version eines chinesischen Musicals der Zukunft im "amerikanischen Stil".
Kulturelle Supermacht China
China ist längst zur kulturellen Supermacht geworden, und Hwangs Erfolgsmusical "Soft Power" erzählt die Geschichte von Xing und Hillary Clinton als Parabel für einen Paradigmenwechsel kultureller Deutungshoheit. Hwang hat in der Musicalfassung natürlich keine Bedenken mehr, das Musical für Xing zu schreiben, der sich in Hillary Clinton verliebt hat und ihr hilft, ein in Gewalt und Chaos versinkendes Amerika zu retten.
"What a woman, Mrs Clinton!" - "Hillary?" - "You just met Hillary Clinton?" - "I feel we made a very deep connection."
Die Parallelen zum Broadway-Musical "The King and I", in dem ein weißes Kindermädchen dem König von Siam Kultur und Etikette beibringt und so dessen Regierung rettet, sind unübersehbar. Und natürlich hat China auch mit "Soft Power" das Genre Musical erst erfunden, dessen dilettantische Vorläufer im Amerika des vergangenen Jahrhunderts zu finden sind.
Mafiosi im Oval Office
"Soft Power" ist mit seinem zwölf-köpfigen Ensemble aus chinesisch-amerikanischen Schauspielern ein satirisches Feuerwerk, das nicht aufhört zu überraschen. Zum Beispiel, wenn in einem futuristischen "great American restaurant" alias McDonalds ein steppender Richter des obersten Gerichtshofes dem staunenden chinesischen Besucher das Prinzip des "Electoral College" erklärt - jenes aus der Sklaverei stammenden Systems von Wahlmännern, das dafür sorgt, dass bevölkerungsärmere Staaten denselben Einfluss auf die Wahl des Präsidenten haben wie bevölkerungsreiche. George W. Bush und Donald Trump konnten deshalb gewinnen, obwohl sie nicht die Mehrheit der Stimmen hatten. Für Xing ein weiterer Beweis, wie verlogen die amerikanische Demokratie ist. Oder wenn die "guten Jungs mit den Waffen" im White House den von Trump versprochenen Krieg mit China heraufbeschwören und wie Mafiosi im Oval Office herumturnen.
Musical aus der Zukunft
Mit dem Kunsttrick eines Musicals aus der Zukunft gelingt es dem Dramatiker David Hwang, einen satirischen Blick auf unsere jetzige Zeit zu werfen und sein erschüttertes Vertrauen in das politische System Demokratie zu artikulieren. Viele Amerikaner wie er erkennen seit der Wahl Donald Trumps ihr eigenes Land nicht mehr wieder. Sei es der Umgang mit Minderheiten, Gefängnislager voller Kinder, die von ihren Eltern an der mexikanischen Grenze getrennt wurden, der extreme Handelskrieg mit ehemaligen Partnern und die offene Liaison mit weißen Nationalisten. Wenn ein demokratisches System einen Donald Trump ermöglicht, dann stimmt womöglich etwas mit dem System nicht mehr – ein Gedanke, der nicht nur David Hwang umtreibt.
Auf der Bühne wacht David Hwang am Ende wie nach einem Fiebertraum im Krankenhaus auf, und Xing erzählt ihm zum Trost von einer alten chinesischen Weisheit, die besagt: Wenn man eine schwere Katastrophe überlebt hat, erwarte einen großes Glück. Das stimmt hoffnungsvoll für ein tief verwundetes Land.