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"Solange der Kunde mit seinen Beinen abstimmt..."

Auch ein angeblicher "Investor mit Herz" hätte das unattraktive Geschäftsmodell von Schlecker nicht ertragreich weiterführen können, meint der Wormser Handelsexperte Jörg Funder. Eine Fristverlängerung für das insolvente Unternehmen sei keine gute Idee.

Jörg Funder im Gespräch mit Ursula Mense | 01.06.2012
    Ursula Mense: Zunächst aber geht es natürlich um Schlecker, denn heute war der Tag der Entscheidung, mit der vor allem die 13.500 noch verbliebenen Schlecker-Mitarbeiter Hoffnung verbunden hatten, denn bis heute sollten die verbliebenen Interessenten an der insolventen Drogeriekette ihre Angebote abgeben beziehungsweise verändern, bevor die Gläubiger endgültig über das Schicksal des Unternehmens und über das der Beschäftigten entscheiden sollten. Das ist am Mittag geschehen, es ist ein Ende mit Schrecken, Schlecker wird zerschlagen.

    Bewerten möchte ich diese Entscheidung nun gern mit Professor Jörg Funder,
    Handelsexperte von der Fachhochschule Worms, den ich am Telefon begrüße. Hallo, grüße Sie.

    Jörg Funder: Guten Tag.

    Mense: Das Aus für Schlecker kommt für Sie nicht überraschend, oder?

    Funder: Nein. Seit Beginn der Insolvenz beziehungsweise seitdem es bekannt wurde war es relativ klar, dass die Situation in der Lage ist, die kaum noch zu retten sein wird. Ich habe von Anbeginn gesagt, dass ich nicht an eine Investorenlösung glauben werde.

    Mense: Die Angebote der Interessenten waren deshalb nicht akzeptabel, weil sie unterhalb der Zerschlagung gelegen haben. Das war ja auch den Anbietern von vornherein klar. Wie bewerten Sie denn in dem Lichte das Angebot von 150 Millionen Euro, das der Investor Nicolas Berggruen abgegeben hat?

    Funder: Als Geschenk.

    Mense: Als Geschenk an ihn?

    Funder: Ein Geschenk an ihn, genau.

    Mense: Was heißt das? Glauben Sie, er hat gezockt, oder?

    Funder: Nein, das ist genau wie bei Karstadt. Nicolas Berggruen wird gerne – ich weiß nicht, ob er das selber tut – als Investor mit Herz dargestellt. Das kann man machen, das ist aber etwas zartrosa angestrichen. Es geht nicht um soziale Gefühle bei Investoren, sondern um Erfolg und nicht erfolgreich. Und wenn Sie nochmals die Causa Karstadt hervorrufen, auf der ja letztendlich dieses Bild beruht, so wurde auch für Karstadt kein Kaufpreis gezahlt, sondern lediglich die Summe von fünf Millionen Euro für die Markenrechte. Das operative Geschäft wurde förmlich verschenkt.

    Mense: Sie sagen, der Investor mit Herz. Gerade mit Nicolas Berggruen haben ja auch die Schlecker-Mitarbeiter sehr viel verbunden und ihn für den Retter gehalten. Glauben Sie denn, er hat einfach auch hoch gepokert, weil er hauptsächlich an den Immobilien interessiert war und vielleicht Schlecker sowieso nicht retten wollte?

    Funder: Zuallererst muss man noch mal sagen, "Investor mit Herz", und wenn wir heute auch die Nachrichten hören, der Karstadt gerettet hat: Da muss man sagen, von hinten sticht die Biene, da ist noch lange nicht alles um. Das ist Punkt eins. Punkt zwei ist, woran wird er interessiert gewesen sein. Das ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich auf alle Fälle daran, Geld zu verdienen. Auch er hätte das Deutschland-Geschäft mit seinen Verlusten nicht dauerhaft ertragreich weiterführen können. Auch da wären letztendlich Filialschließungen und Abwicklungen angestanden. Das ist einfach zu kurzfristig gedacht zu sagen, da kommt eine Person, investiert viel Geld und macht das Ganze, weil er einfach ein guter Mensch ist.

    Mense: Darum hat er ja sein Angebot wahrscheinlich auch überschaubar gehalten. – Für die Schlecker-Mitarbeiter ist die Entscheidung natürlich sehr bitter. Wäre es sinnvoll gewesen, der Verdi-Forderung noch nachzukommen und die Frist zu verlängern, um dann vielleicht doch noch andere Interessenten ins Boot zu holen?

    Funder: Ich halte das für überhaupt keine gute Idee. Dass das natürlich Programmatik von Verdi ist und auch sein muss, das ist letztendlich deren zugestandene Rolle in unserem Wirtschaftssystem. Es wird sich kein weiterer Investor finden, und zwar, weil Sie nicht über weitere Kosteneingeständnisse seitens Mitarbeiter oder anderen Parteien das Unternehmen werden retten können. Dafür fehlen einfach die Umsätze, und die können Sie per Order di Mufti nicht erlassen. Solange der Kunde mit seinen Beinen abstimmt und es keinen Grund gibt für Kunden, in einer Schlecker-Filiale einkaufen zu gehen, weil sie sich eben so darstellen, wie sie es nun mal tun, in nicht attraktiven Lagen, viel zu klein, zu hochpreisig, nicht kompetent, ohne Fachberatung, dann werden Sie das nicht retten können.

    Mense: Professor Jörg Funder von der Fachhochschule Worms, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Funder: Danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.