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"Solaris" begehbar

Stanislaw Lem ist ein großer Name der Science-Fiction-Literatur. In seinem Roman "Solaris" geben ein ferner Planet und eine Raumstation den Hintergrund für eine Geschichte ab, in der es um nichts weniger geht als um Tod und Gott, Schuld und Erkenntnis. "Solaris" diente als Vorlage für einen Tarkovski-Film und eine Obst-Oper. Die neueste Adaption findet im Theater statt, oder besser: auf dem Flugplatz.

Von Hartmut Krug | 27.08.2004
    Der ehemalige Regierungsflughafen der DDR bei Neuhardenberg, auf dem Sigmund Jähn seine "Kosmonautenschule" eingerichtet hatte, ist ein verwunschener Ort. Vom Flugverkehr derzeit ungenutzt, auch wenn Billigfluglinien ihr Interesse angemeldet haben, wirken Flugbahnen und geschlossene Hangars wie hineingewachsen in die niedrige, Heideähnliche Natur. Ein Ort mit Atmosphäre, der durch seine Geschichte wie durch seinen Ruhezustand Raum viel Raum für Assoziationen bietet. Der Schauspieler Martin Wuttke hat den Flughafen vor drei Jahren als Theaterspiel-Ort entdeckt und agiert dort nun bereits zum dritten Mal als Regisseur.

    Zuerst hat er in und vor einem Flugzeughangar Dostojewskis "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" inszeniert und dabei das russische Stück auf einen amerikanischen Highway verpflanzt. Dann aktualisierte er auf dem Flugfeld "Die Perser" von Aischylos, und gestern wurde das Publikum in einen Hangar gesetzt, um durch dessen weitgeöffnete Tore einer erkennntnistheoretischen Geschichte von Wissenschaftlern bei der Erkundung des Planeten Solaris zuzuschauen.

    Der an der Berliner Volksbühne arbeitende Schauspieler Wuttke ist als Regisseur kräftig geprägt von dessen Intendanten Frank Castorf. Das führt bei der Inszenierung nach Stanislaw Lems Roman "Solaris" dazu, dass Wuttke die besonderen szenischen Möglichkeiten seiner Spielstätte verschenkt.

    Auf dem Flugfeld und im vorderen Teil des Hangars stehen Gewächshausähnliche, hell erleuchtete, aber nicht direkt einsehbare kleine Gebäude. Auf drei übereinander gestaffelten Leinwänden wird das jeweilige Geschehen in diesen Häuschen als Montage unterschiedlichster Filme gezeigt. Live-Filmbilder, aus denen die Darsteller gelegentlich leibhaftig auf den Flugfeld treten, aber auch vorfabrizierte Filmsequenzen. Dabei übersetzt Wuttke die erkenntnistheoretischen Dispute nur selten in Bilder. Der Flug zur Solaris, bei Lem ein Erlebnisbericht, wird bei Wuttke dem Fliegerpatienten vom Psychiater abgefragt. Die Dialoge sind von Geräuschüberlagerungen unterlegt. So wird auch die Fremdheit und Verwirrung, die der Ankömmling Kelvin Klein auf der Solaris empfindet, auf diesem Planeten mit dem riesigen zähflüssigen Ozean, der vielleicht ein einziges Gehirn ist, mehr beredet statt gezeigt.

    "Solaris" ist der Versuch einer analytischen Auseinandersetzung mit dem Anthropozentrismus, also ein philosophisches Disputstück. Auf dem Planeten Solaris materialisieren sich durch die Gallert-Gehirn-Meeresmasse die gedanklichen Vorstellungen der Menschen und werden zu realen Figuren. Wer diese wirklich sind, welches Bewußtsein sie haben und welche Zukunft, das bleibt offen. Jeanne Balibar und Inga Rumpf, Filmschauspielerinnnen aus Frankreich und Deutschland, geben Kleins seit langem tote Ehefrau als scharf und fahl geschminkten doppelten Zombie auf Selbstsuche. Regisseur Wuttke überführt Lems lange spannungsvolle Dispute leider nur in überdrehtes Gewusel und lautstarkes Getobe. Nicht selten stoßen die Personen heftig aufeinander, und dann fliegen die Worte, die Fetzen und manchmal auch die Milchglaswände. Dann wieder werden die Texte fast aufgesagt, was im Falle des belgischen Astrophysikers Christophe Kotanyi in der Rolle eines Wissenschaftlers nur bedingt verständlich wird. Sonst aber gewinnt die Aufführung einen eigenen Reiz durch die Internationalität des Ensembles. Der holländische Schauspieler Fedja van Huet, Protagonist des berühmten Hollandia Theaters, gibt dem Ankömmling Kelvin Klein eine starke Präsenz. Der massige Volker Spengler, der bei Wuttke als Personalisierung der metaphysischen Wirkung des Planeten Solaris auftritt, der also Solaris ist (was bei Lem nicht vorkommt), der aber immer wieder mit seinem richtigen Vornamen Volker angesprochen wird, er benennt das Thema. Indem er von den Schwierigkeiten der Menschen erzählt, die Wirklichkeit mit ihren Verstandeskräften zu fassen.

    Die Kraft, die aus Spenglers knarzender Stimme strömt, fehlt der Inszenierung sonst weitgehend. Sie entwickelt keine Spannung, sie findet keinen richtigen Rhythmus und langweilt das Event-begierige Publikum nach kaum einer ihrer zwei pausen- und endlosen Filmdisput-Szenen deutlich. Dieser Kosmonauten-Totentanz hob nie ab, sondern blieb stets im märkischen Sand stecken. Allein der Spiel-Ort war das Ereignis, nicht das Spiel. Immerhin rückt Wuttke Inszenierung einen Roman von Stanislaw Lem wieder ins öffentliche Bewußtsein, dessen Spannungspotential weit stärker ist und dessen philosophische Tiefenstrukturen viel subtiler sind, als es die Verfilmungen von Andrej Tarkowskj und Steven Soderbergh vermitteln konnte. Die Lektüre von Lems Roman jedenfalls lohnt unbedingt.