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Solidarischer Musikschulverein
"WIMU ist mehr eine Familie als eine Schule"

Aus Konzerten für Geflüchtete entstand 2015 in Würzburg ein besonderer Verein: Willkommen mit Musik - kurz WIMU. Die Unterrichtsgebühren für Gesangs- und Instrumentalunterricht richten sich bei WIMU nach den finanziellen Möglichkeiten der Schüler. Für viele Beteiligte ist WIMU mehr als eine Musikschule.

Von Andrea Braun |
    Ein Schülerin der 6. Klasse spielt während des Musikunterrichts an der Kurfürst-Moritz-Schule auf einem Keyboard.
    Eine solidarische Musikschule wurde vor fünf Jahren in Würzburg ins Leben gerufen (picture alliance/ Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa)
    "Ich wusste gar nichts übers Klavier oder wie man Klavierspielen kann, wie kann man Noten liest. Und jetzt kann ich Noten lesen, ich kann irgendein Stück raussuchen und wenn ich das gut übe, dann kann ich das danach auch gut spielen", erzählt Nayiry Arslanian.

    Die 22-Jährige kam vor drei Jahren aus Syrien nach Deutschland – und hatte sich eigentlich schon als Kind gewünscht, Klavierspielen zu lernen. Aber durch den Krieg in ihrem Heimatland und die Flucht, erst in den Libanon, dann nach Deutschland, wo sie nun das Abitur nachholt, hatte sie den Gedanken an solchen Luxus irgendwann ad acta gelegt. Bis ihr eine Freundin von WIMU e.V. erzählte, der solidarischen Musikschule, mit den geringen Gebühren. Dort hat sie nun seit anderthalb Jahren tatsächlich den ersehnten Unterricht – und ihre Klavierkünste wachsen und gedeihen.

    Der Kontrabassist und E-Bassist Jonas Hermes ist einer der Gründer und Lehrer der Musikschule, und leitet inzwischen ihre Geschäftsstelle. Er erinnert sich:

    "2014 haben die Erlöserschwestern in unmittelbarer Nachbarschaft der Musikhochschule, wo wir damals alle studiert haben, eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete eingerichtet und auch zu Spenden aufgerufen. Wir als Musiker hatten wenig zu spenden, und haben uns dann überlegt, wir spielen ein Konzert für die Menschen. Und dieses Konzert hat uns alle so gefesselt und emotional so berührt, dass wir beschlossen haben, wir werden das wiederholen, und im Endeffekt waren es in einem Zeitraum von 2014 bis 2016 über 70 Konzerte mit verschiedenen Besetzungen."
    Instrumentalunterricht für Flüchtlinge
    Doch dabei blieb es nicht. Schon im Herbst 2014 bat die Klosteroberin die jungen Musiker, doch auch kleine musikpädagogische Einheiten für die Flüchtlinge anzubieten, um ihnen ein wenig Ablenkung in ihrer unsicheren emotionalen Situation zu ermöglichen. Daraus entstand im Laufe des Jahres 2015 dann WIMU: Willkommen mit Musik, die solidarische Musikschule. Nun gaben mehrere Studenten und junge Absolventen der Hochschule nämlich Instrumentalunterricht für Flüchtlinge - und zwar kostenlos, oder gegen nur sehr geringe Gebühren. Und dieses Konzept ging auf.

    Jonas Hermes: "Inzwischen ist es so, dass wir um die 50 Instrumentalschülerinnen haben, die in unserem eigenen Haus unterrichtet werden. Unser eigenes Haus ist natürlich nicht unser Haus, aber weil es den Erlöserschwestern gehört, also quasi unseren Geburtshelferinnen, fühlt es sich schon sehr nach einem eigenen Zuhause an."

    Vor zwei Jahren gab sich WIMU als gemeinnütziger e.V. auch verwaltungstechnisch einen neuen Rahmen, und finanziert sich heute durch Förderungen der Stadt Würzburg, des Bezirks Unterfranken und des Tonkünstlerverbands Bayern, durch Fördermitglieder und Spender. Und, betont Hermes: "Was immer mehr dazu kommt, sind auch die Unterrichtsbeiträge, denn die, die bei uns Unterricht nehmen, teilweise verbessern sie ihre finanzielle Situation und können dann einen kleinen Beitrag leisten. Es kommt aber auch immer mehr vor, dass Familien, die jetzt nicht klassisch in die Zielgruppe fallen, sich bei uns melden und einfach die Idee, unser pädagogisches Konzept gut finden, und bei uns Unterricht buchen."
    Öffentliche Annerkennung für die WIMU
    Das Engagement der jungen Musiker wurde auch mehrfach öffentlich anerkannt: Unter anderem die Kulturmedaille der Stadt Würzburg bekamen sie verliehen, den Integrationspreis der Regierung von Unterfranken und diverse andere Ehrungen. Zur Zeit arbeiten bei WIMU nun neun Musiklehrer, dazu kommen einige Musikpädagoginnen und Sonderpädagogen, die nach wie vor auch in diversen Einrichtungen mit Geflüchteten arbeiten.

    Unterrichtet wird, wie an jeder anderen Musikschule auch, klassische Violine und Klavier, dazu kommen Schlagzeug, Bass, Gitarre und Gesang für Rock, Pop und Jazz – wobei das Angebot vor allem der Nachfrage folgt. Also ganz normales Musikschulleben inzwischen? Nicht ganz, meint Jonas Hermes:

    "Ich denke, der größte Unterschied ist, dass wir eigentlich immer sagen, wir versuchen so weit wie möglich, an die Menschen zu denken, die bei uns unterrichtet werden, und möglichst wenig interne Regeln, interne Abläufe zu den Maximen unseres Handelns machen."

    Natürlich, auch WIMU wurde durch die Coronakrise hart getroffen: Sämtliche Band– und Chorproben wurden gestrichen, auch das geplante Sommerkonzert zum fünfjährigen Bestehen konnte nicht stattfinden. Aber der Unterricht lief vom ersten Tag des Lockdown an weiter – online. Und zum Glück läuft auch die Finanzierung weiter, denn bei WIMU gibt es nur eine feste Stelle mit zwölf Wochenstunden – der Rest der Lehrer arbeitet auf Minijob– oder Honorarbasis. Doch sie alle konnten weiterbezahlt werden, und zum bayrischen Schulbeginn Mitte September will man nun auch wieder Präsenzunterricht anbieten: Das Hygienekonzept steht.
    WIMU ist mehr als nur Musikunterricht
    Und vielleicht ist diese Präsenz bei WIMU auch nochmal ein Stückchen wichtiger, als bei anderen Musikschulen – denn der Kontakt zu den Lehrern bedeutet für viele Schüler, gerade unter den Geflüchteten, sehr viel.

    Nayiry Arslanian: "Zum Beispiel meine Lehrerin ist mehr eine Freundin als eine Lehrerin. Wenn ich manchmal traurig bin oder schlechte Laune habe, dann reden wir am Anfang, ob es gut geht oder ob ich Sorgen habe - irgendwas, und danach fangen wir an, zu spielen. Ich finde, WIMU ist mehr eine Familie als eine Schule."

    Das sehen auch die Lehrer so: "Die Möglichkeit als Musiker, als Musiklehrer, über die Tätigkeit des Unterrichtens oder des Musizierens hinaus mit Menschen zusammen sein zu können, Menschen ein Stück weit begleiten zu können, ist was wahnsinnig Schönes, was für mich die Arbeit bei WIMU total wertvoll macht.

    Und vielleicht ist doch auch Musik für Menschen, die Verfolgung und Flucht hinter sich haben, besonders wichtig.

    Nayiry: "Ich habe das Gefühl, nachdem ich Klavier spielen gelernt habe, bin ich ruhiger geworden. Manchmal wenn ich traurig bin zum Beispiel, spiele ich Klavier. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass Musik uns Ruhe gibt in unserem Leben. Und ich mag Musik, und vor allem: ich mag Klavier. Das ist eine andere Welt."