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Solides Bühnenhandwerk

Zum Jahreswechsel schaut nun das Basler Theater auf eine überraschend starke Spielzeit zurück. Elias Perrig, Schauspieldirektor seit 2006, hat eine unspektakuläre, an handwerklicher Genauigkeit orientierte Linie verfolgt. Er scheint sich für die Basler Bühne tatsächlich verantwortlich zu fühlen und will dort eine eigene Ästhetik etablieren.

Von Christian Gampert |
    Die Basler Saison begann programmatisch: Altmeister Werner Düggelin inszenierte Albert Camus' Kurzroman "Der Fremde", und zwar so karg, so unspektakulär, so ganz auf den Text bezogen, dass man das Ganze auch für eine szenische Lesung halten konnte. Zwei Schauspieler nähern sich - erstaunt und neugierig - diesem heute in der Tat befremdlich wirkenden Text über die Gleichgültigkeit, über einen Mord, eine Totalverweigerung, über jemanden, der nicht dazugehört und gerade dadurch innerlich frei wird. Nur sehr tastend entwickeln sich aus der Lesung Bilder und Handlung, und das stellt das Publikum natürlich auf eine harte Konzentrations-Probe. Und trotzdem: Camus' Prosa entwickelt einen Sog, stimuliert die Phantasie der Zuschauer - und das ist genau das, was auch der Basler Schauspieldirektor Elias Perrig als philosophisches Motto ausgegeben hat: zurück zum Wort.

    "Was sich auf der formalen Ebene verstärkt herauskristallisiert hat, ist: sehr auf Texte, auf Literatur zu gehen, also den Text als das Primäre des Theaters herauszustellen - und dann zu gucken: was braucht man an Theatermitteln, um einen Text physisch zu machen."

    Das ist natürlich eine radikale Gegenposition zum üblichen postmodernen Kleingehäcksel, das mit viel Video, Musik und Fragmentierungen den Zuschauer zuballert oder auch betört, aber kaum noch Texterforschung betreibt. Perrig ist in dieser Hinsicht ganz altmodisch, und er gibt zu, dass die Mode-Vokabel vom "postdramatischen Theater" ihn völlig kalt lässt.

    "Ich muss sagen: ich kann mit dem Begriff gar nichts anfangen. Ich weiß nicht genau, was der Zugewinn ist, wenn man im Theater auf Dramatik verzichtet."

    In Basel will man Geschichten erzählen, so komplex wie möglich. Auch die These vom Ende des Individuums (auf dem Theater) hält Perrig für Nonsens - bei ihm wird man nicht zehn Hamlets auf der Bühne herumspringen sehen, er möchte lieber der einen Figur nachspüren, die schon verwirrend genug ist.
    Perrig selber hat in dieser Spielzeit auch ein Außenseiter-Drama auf die Bühne gebracht, Molières "Menschenfeind", und danach Simon Stephens "Pornographie" - letzteres als schnelle Notlösung, ebenfalls sehr literarisch, sprachbezogen, mit Mikrophonen. Ursprünglich wollte man Lars von Triers "Breaking the Waves" machen, die Regisseurin fiel aus, und Perrig richtete Simon Stephens' Kaleidoskop vereinsamter Londoner Großstadtmenschen dann quasi als Reportage-Hörspiel ein, Alltags-Scharmützel am Vorabend der Islamisten-Anschläge vom Juli 2005.

    "Es gibt eine inhaltliche Konzeption, nach der wir versucht haben, die Saison zu gestalten. Da hat uns die Frage des Handelns beschäftigt. Die Frage, was für Handlungsmöglichkeiten hat man eigentlich als Individuum in der Gesellschaft, wo man immer suggeriert bekommt: ist sowieso alles so global, dass man eh gar nichts tun kann."

    Die Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt, aber auch nicht so klein wie immer angenommen. Als Vorlage bevorzugt man in Basel Prosatexte, Camus, Döblin, Thomas Bernhard. Peter Kastenmüller, im Gegensatz zum leisen Perrig eher ein Paukist, durfte Döblins "Berlin Alexanderplatz" vierstündig (!) mit viel Fremdtext inszenieren, aber auch wollte man vor allem das Montage-Prinzip des Romans aufs Theater übertragen. Und Christiane Pohle richtete Thomas Bernhards "Alte Meister", mit viel Text-Verschiebungen, als fiktive Gerichtsverhandlung ein - aber Bernhards misanthropische Reflexion über Kunst und Leben, die sich am Ende dann doch zur Menschenliebe entschließt, bleibt bei Pohle leider reichlich museal.

    Bernhards Philosophie der Kunst als "Geistesproduktionsstätte" und "Gedankenaufbereitungsmaschine" gilt aber auch für das Basler Theater - und bisweilen funktioniert dieses literarisch orientierte Inszenieren erstaunlich gut.