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"Sollte Kunst umsonst sein? Das muss der Künstler selbst entscheiden"

Die Dialoge in seinem neuen Film "Before Midnight" sind nicht improvisiert, sondern sie stehen alle im Drehbuch, erzählt der Regisseur Richard Linklater. Linklater spricht über die schwierige Arbeit als Filmemacher - und nimmt Stellung zur Frage, ob Kunst im digitalen Zeitalter gratis sein sollte.

Richard Linklater im Gespräch mit Sigrid Fischer | 05.06.2013
    Sigrid Fischer: Richard Linklater, 18 Jahre sind vergangen seit "Before Sunrise", geplant war das wohl nicht, das Sie jetzt wieder hier sitzen und über den dritten Teil sprechen?

    Richard Linklater: Keiner von uns hätte gedacht, dass wir nach 18 Jahren immer noch da sind. Witzig, diese Unvorhersagbarkeit. Also wir haben immer mal Scherze drüber gemacht nach dem ersten Teil, aber keiner war wirklich auf eine Fortsetzung aus. Aber so nach fünf, sechs Jahren haben Celine und Jesse angefangen, zu uns zu sprechen. Da haben wir gesagt: Wir sollten das machen. Na ja und wenn der Zweite erst mal da ist, liegt der Dritte quasi vor einem, ob man will oder nicht. Den Zweiten zu machen war schwierig und riskant. Nach dem Dritten sind wir dann immer gefragt worden, bei jedem Interview zu meinen anderen Filmen in der Zwischenzeit hieß die letzte Frage: und? Werden wir Jesse und Celine je wiedersehen? Weil sich nach dem Zweiten diese Frage einfach aufgedrängt hat

    Fischer: Weil Sie einen im Unklaren gelassen haben. Jesse verpasst in Paris sein Flugzeug zurück in die Staaten zu Frau und Kind. Und dann war Ende. Jetzt wissen wir, er ist geblieben. Das ist einerseits fiktiv, ausgedacht, aber da ist schon viel Persönliches drin in Drehbüchern, oder? Sie drei haben sich vermutlich auch entsprechend verändert, oder?

    Linklater: Julie, Ethan und ich sind älter geworden, und dass unsere Stellvertreter da draußen sind, die parallel zu uns unser Leben leben und über die man sich ausdrücken kann, das ist schon einzigartig. Als wir angefangen haben, war meine Tochter eins, jetzt geht sie aufs College. Wir alle haben zusammen acht Kinder und viel erlebt, was man in den Filmen verarbeiten kann. Aber haben wir uns geändert? Innerlich glauben wir uns sehr zu verändern, weil wir im Laufe des Lebens lernen, Erfahrungen machen, Wissen anhäufen. Wir fühlen uns irgendwann klüger und erfahrener. Aber das ist die interessante Frage: Verändern wir uns mehr, als dass wir die gleichen bleiben? Oder ändert sich das nur Leben, aber wir bleiben die Gleichen? Ich weiß es nicht.

    Fischer: Die Qualität der Dialoge ist außergewöhnlich gut, witzig, natürlich, das Timing stimmt, und mit welcher Leichtigkeit die beiden, die ja fast nur reden drei Mal 90 Minuten, das dann auch noch spielen, so also, ob sie wirklich in dem Moment diskutieren würden, da denkt man, es sei viel improvisiert worden, stimmt das?

    Linklater: Ich erinnere mich an keine einzige Dialogzeile in allen drei Filmen, die nicht im Drehbuch steht. Die die beiden einfach so eingestreut hätten. Es ist alles ganz genau durchstrukturiert, einstudiert und geplant. Ich weiß, das klingt langweilig. Wenn wir improvisiert haben, dann beim schreiben. Wir sitzen wochenlang am Tisch und reden, lachen auch viel. Wir kennen uns wirklich gut. Wir können auch geschmacklose Witze machen. Also da improvisieren wir viel. Aber sobald wir drehen, ist jede Kleinigkeit einstudiert. Die Herausforderung war es, dass es trotzdem spontan und natürlich wirkt. Es sieht so leicht aus, was die beiden da machen, aber es ist so schwer, das hat mich sehr beeindruckt. Das größte Kompliment wäre zu sagen, wir hätten die Kamera einfach laufen lassen – aber das geht nicht, niemand hat das je getan und dabei etwas Interessantes zustande gebracht.

    Fischer: Was in allen drei Filmen auffällt, dass die politische Realität der jeweiligen Zeit wenig vorkommt, 2004 würde die Französin mit dem Amerikaner sicher mal über 9/11 sprechen, oder jetzt in "Before Midnight" sind sie in Griechenland, das durch die Finanzkrise unglaubliche Schlagzeilen schreibt, aber das ist fast kein Thema im Film, warum nicht?

    Linklater: Waren Sie kürzlich in Griechenland?

    Fischer: No

    Linklater: Wenn man die Nachrichten sieht, denkt man ja, im ganzen Land herrsche riesiger Aufruhr. Aber vor Ort hat man nicht mal in Athen diesen Eindruck. Wir haben natürlich schon mit Griechen darüber diskutiert. Aber ich wollte nicht als Amerikaner hingehen und mir irgendwelche Stellungnahmen anmaßen. Der Impuls ist zwar da, dass man was dazu sagen will, aber dann dachte ich: nein, das steht mir nicht zu. Ich komme nicht als Außenstehender und sage irgendwas über die Situation in Griechenland. Außer dem, was im Film eine Rolle spielt.

    Fischer: Was die beiden durchleben in den 18 Jahren ihrer verschiedenen Beziehungsstadien, hat was etwas Musterhaftes, besonders im dritten Film - die Ernüchterung, die streiten über das gleiche, über das fast alle nach neun Jahren Beziehung mit Kindern und Beruf streiten, dabei hat es doch so romantisch angefangen damals und wir glaubten alle, die zwei sind füreinander bestimmt. Warum läuft es immer auf das Gleiche hinaus, haben Sie drei dafür eine Erklärung gefunden?

    Linklater: Das fragt sich die Menschheit seit Tausenden von Jahren. Aber es macht doch Spaß, das mal zu untersuchen. Ob wir der Wahrheit dabei nähergekommen sind? Ich meine, so ist das Leben eben, und man kann es förmlich in den Augen der beiden sehen: Als sie jung sind, glauben sie, am Horizont warten die Antworten, und wenn sie älter sind, wissen sie, dass man am besten über sich selbst lacht und sich irgendwie durchwurstelt. Es gibt nicht nur keine Antworten, man weiß auch die Fragen nicht mehr.

    Fischer: Ungefähr 2,5 Millionen Dollar hat jeder der drei Filme gekostet, das ist wenig, aber selbst bei so kleinen Budgets scheint es schwierig geworden zu sein, ein Studio zu finden, das einsteigt. Richtig?

    Linklater: Viel schwieriger. Die Studios haben sich sehr verändert, sie riskieren nichts mehr. Filme, die ich früher gedreht habe, würden sie heute nicht mehr machen. Bernie z.B. mit Jack Black, Shirley Milane, Matthew McConaughey, super low Budget, habe ich nicht finanziert bekommen. Vor zehn Jahren wäre das eine kleine studioproduzierte Komödie gewesen, aber heute? Ist man total auf sich allein gestellt, keiner hilft einem mehr. Aber so ist es eben, und es gibt zum Glück immer Leute, die unbedingt Filme drehen wollen, und dann kriegt man sie auch irgendwie realisiert. Es ist einerseits eine schwierige Zeit für Filmemacher, andererseits aber auch eine sehr gute, weil die technischen Möglichkeiten da sind. Jeder kann einen Spielfilm drehen, der gut aussieht, ihn auf seinem Laptop schneiden, eine gute digitale Tonmischung hinkriegen, für sehr wenig Geld. Das ging früher nicht. Man kann heute produktiv sein, das finde ich wichtig.

    Fischer: Wie stehen Sie denn zur Filmpiraterie, zu gratis Downloads, ist das ein Problem für Sie als Filmemacher?

    Linklater: Ich finde, Informationen müssen frei zugänglich sein. Aber ist Kunst Information? Sollten die Tageszeitungen umsonst sein? Sie haben einen investigativen Journalisten, der muss doch bezahlt werden. Der nimmt doch einen ganz wichtigen Platz in unserer Kultur ein. Sollte Kunst umsonst sein? Das muss der Künstler selbst entscheiden. Wenn er seine Kunst umsonst anbieten will, soll er das tun. Ich habe mal einen Film gedreht – "Scanner Darkly" – der wurde im Internet mehrere Millionen mal gratis heruntergeladen. Und das werfe ich der Filmindustrie vor: dass sie da keine Vorkehrungen schafft. Ich meine, die Leute hätten doch bestimmt 2 Dollar oder so gezahlt, um ihn zu sehen. Man muss doch dieser Entwicklung vorgreifen. Also mich stört es nicht, wenn Filme beim Kinostart auch gleich als Video-on-Demand erhältlich sind. Bring sie raus und hoffe, dass die Leute dafür zahlen.