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Solo für Sophie Rois
Eine Frau, eine Bühne, vier Charaktere

"Beyond the Sea" heißt eine Kurzgeschichte des Briten William S. Maugham, einem der bis heute meist gespielten Theaterautoren Londons. Eigentlich geht es in dem Text um vier höchst unterschiedliche Charaktere. Die Volksbühne Berlin bringt den Text nun in Form einer Solo-Lesung auf die Bühne, meisterhaft dargeboten von Sophie Rois.

Von Hartmut Krug | 03.01.2015
    Sophie Rois auf der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin in "House for sale"
    Sophie Rois auf der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin in "House for sale" (imago/Drama-Berlin)
    Gerade war Sophie Rois in einem "Tatort" zu sehen, und schon präsentierte die Volksbühne einen Abend unter dem Titel "Beyond the Sea" – Mit Sophie Rois in die Südsee."
    Auch wenn der Untertitel "Sophie Rois präsentiert "Vessel of Wrath" von William Somerset Maugham, eingerichtet von Clemens Schönborn, nicht deutlicher machte, was das Publikum erwarten konnte: Der Abend war sofort ausverkauft. Denn Sophie Rois ist nicht nur ein Fernseh-, sondern auch ein Volksbühnenstar.
    Per Vorlese-Solo in die Südsee
    Und dann öffnete sich der Vorhang und Sophie Rois schritt, vom Beifall umrauscht und von der Melodie von "La mer" untermalt, auf die fast leere Vorbühne. Hier machte sie es sich auf dem Sofa bequem, das dort auf sie wartete. Die Lesebrille wurde geputzt, der Tee eingeschenkt, eine Zigarette geraucht und endlich viele Manuskriptseiten in die Hand genommen.
    Hinein in die Südsee ging es mit einem Vorlesungs-Solo von Maughams Erzählung "Vessel of Wrath". Was bei Rois bedeutet: Die Erzählweise sowie die Figuren wurden durch Mimik und Stimme der Vorleserin zugleich verlebendigt wie ironisiert:
    "Es gibt wenige Bücher auf der Welt, die mehr Lesestoff bieten als die "Sailing Directions", herausgegeben von der Admiralität vom Institut für Gewässerkunde. (...) Diese geschäftsmäßig nüchternen Bücher verführen zu verzauberten Reisen im Geiste."
    Maugham erzählt dann von Europäern, die auf der holländisch kolonisierten Insel Alas leben, in den östlichen Meeren, wie der Autor sagt. Er berichtet vom holländischen Gouverneur, der gern Bier mit dem heruntergekommen Ginger Ted trinkt, genannt roter Ted. Dieser kaum noch seinen Geschäften nachgehende Engländer hat viel Erfolg bei den einheimischen Frauen, ist aber dem Suff ergeben und wird leicht gewalttätig, - sodass der Gouverneur ihn nach einer Prügelei für ein halbes Jahr auf eine kleine Insel verbannt. Und dann gibt es noch den englischen Missionar und Arzt Jones sowie seine altjüngferliche Schwester Miss Jones.
    Große Schauspielkunst
    Wunderbar, wie Sophie Rois diese vier so unterschiedlichen Figuren ohne große Gesten lebendig werden lässt. Sie arbeitet mit genau dosierten mimischen Wirkungselementen, mit wechselnden Intonationen und sicher gesetzten Zäsuren.
    Maughams Erzählung von 1933 ist süffig erzählter, solider Boulevard, der in den 1930er-, 1950er- und 1970er-Jahren sowohl dramatisiert wie je zweimal für das Kino und das Fernsehen verfilmt wurde. Die Kinofassung von und mit Charles Laughton hieß "The Beachcomber" und wurde in Deutschland unter dem Titel "Ins Paradies verbannt" gezeigt.
    Psychogramm einer Jungfer
    Maughams Text erinnert stark an John Hustons Film "African Queen" und verschärft voller Ironie das Psychogramm einer Jungfer. Wenn Miss Jones mit dem Roten Ted und zwei Eingeborenen auf einer einsamen Insel strandet, durchlebt sie eine Nacht voller ängstlich-lustvoller Vergewaltigungsfantasien:
    "Aber was, wenn sie ein Kind bekäme? (...) Sie warf sich auf die Knie und flehte zu Gott, er möge sie retten. Sie betete lang, inbrünstig. Sie erinnerte Gott daran, dass sie Jungfrau sei und sie flocht beiläufig ein, für den Fall, dass es seinem göttlichen Gedächtnis entfallen sein könnte, wie hoch der heilige Paulus diesen trefflichen Zustand geschätzt habe."
    Natürlich wird Miss Jones nicht angerührt, worauf sie sich erfolgreich daran macht, Ted zu zähmen. Dadurch werden beide andere Menschen. Ganz wie es das Bibelzitat "Vessel of Wrath" oder "Gefäß des Zorns" meint, nach dem Gott die Menschen wie Gefäße mit neuen Eigenschaften füllen kann.
    So kommen die beiden nach gemeinsamem Kampf gegen die Cholera auf einer fernen Insel als Paar zurück. Sie werden heiraten, und ihre Hochzeitsreise soll auf die einsame Insel gehen, auf der Miss Jones von Ted verschont wurde.
    Was das gut gelaunte Publikum nach der anderthalbstündigen Lesung zu starkem Beifall animierte.