
Kurt Gerland: Als Sie mit den Arbeiten für Ihr Soloalbum "Ein Leichtes Schwert" begannen, gab es da die Zielsetzung ein Album aufzunehmen, das ganz anders als die "Helden" klingt?
Judith Holofernes: Nein, ich habe keinerlei Bedürfnis gehabt, mich von den Helden abzugrenzen. Wir haben ja auch nicht aufgehört, weil wir uns oder auch unsere Musik nicht mehr mochten. Es hat sich einfach so aus den Umständen ergeben.
Gerland: Trotzdem klingt vieles auf dem neuen Album anders. Folkrockmäßiger und bodenständiger. Was zum Teil bestimmt daran liegt, das Sie bei den Aufnahmen alle Gitarren selbst gespielt haben. Und sogar ungewöhnliche Instrumente wie Ukulele und Xylofon zum Einsatz gebracht haben.
Holofernes: Ich hatte eine sehr klare Vorstellung vom Sound. Ich habe mich da wirklich akribisch darauf vorbereitet. Das klingt nach weniger Spaß als es war. Ich habe ein fantastisches Mixtape zusammengestellt mit 30 Songs drauf, das ich dann an alle Beteiligten verschickt habe, um so den musikalischen Kosmos aufzumachen. Und ich habe das tatsächlich auf den Punkt gebracht, weil es mir wichtig war, dass die Musik meiner Soundästhetik entspricht.
Gerland: Bedeutet das, dass für Sie als Musikerin heute andere Dinge wichtig sind als in früheren Zeiten?
Holofernes: Ich als Fan habe schon immer gerne Musik gehört, die nicht so poliert klingt. Ich mag gerne Sachen, die groovy sind, aber nicht so klingen, als hätte sich da Jemand zuviel Mühe gegeben. Sachen, die eigentlich klingen, wie ein Sack Kartoffeln, den jemand die Treppe herunterschmeißt. Aber aus irgendeinen Grund muss man dazu tanzen, wie bei den 60er-Jahren Rock-Steady-Sachen. Die sind nicht tight. Die werden schneller und langsamer. Und die sind groovy. Und das hat mir immer sehr entsprochen. Ich bin keine Perfektionistin, was die Details angeht. Ich will, dass man Spielfreude hört, wenn man eine Platte hört.
Gerland: Kommen wir mal zu den Texten. Sie sind mittlerweile ja verheiratet und haben zwei Kinder. Hat dieses neue familiäre Umfeld Auswirkungen auf ihre Songtexte gehabt?
Holofernes: Ich habe lustigerweise das Gefühl, dass ich, je erwachsener ich werde, mit allem, was dazu gehört, eher beherzter, bestimmter, eigentlich das Gegenteil von bürgerlich werde. Das ist aber eher ein Frauenthema. Ich habe oft erlebt, dass Männer in ihren jungen Jahren dem Gestus der Revolution zugetan sind, und den eher verlieren, wenn sie Familie haben. Und bei Frauen habe ich oft das Gefühl. Die brauchen eine Weile, um Höflichkeiten abzulegen. Junge Frauen sind oft geschmeidiger und haben so eine nette Benutzeroberfläche. Ich glaube, dass Frauen eher kratzbürstiger und dem Revolutionieren zugetan sind, wenn sie erwachsen sind und Kinder haben. Aber vielleicht ist das ja auch nur eine nette Illusion.
Gerland: Aber trotz dieser rebellischen Grundhaltung geht es auf Ihrem Album ja recht märchenhaft zu. Das fängt schon mit den Fabelwesen auf dem Cover an, aber Songtitel wie "Ein Leichtes Schwert", "Pechmarie" oder "Hasenherz" stammen ja auch aus der Welt der Fantasie. Ist das bewusst?
Holofernes: Stimmt. Das ist ja lustig. Nein, das ist unbewusst. Als jemand, der Songs schreibt, habe ich immer das Gefühl, gar nicht so viel absichtlich zu machen, sondern ich habe eher das Gefühl, auf so eine Art kollektives Bildergedächtnis zurückzugreifen. Und natürlich ist unser Bildergedächtnis voll mit Märchenreferenzen und Bibelzitaten, obwohl ich keine Christin bin und auch nicht besonders bibelfest bin. Aber es gibt Bilder, die wirklich kollektiv sind. Und mit denen was zu machen und sie zu verdrehen. Das macht einfach viel Spaß.
Gerland: Wie setzen Sie denn solche Ideen für Songs um? Spontan oder sind Sie da eher eine Verfechterin der Notizzettelkultur?
Holofernes: Also, ich schreibe fahrlässig wenig auf. Ich sollte Zettel in der Tasche haben, aber irgendwie habe ich immer so ein Vertrauen, dass ich mich an die guten Sachen erinnere. Was keine besonders gute Idee ist. Was ich mache, ist, ich sammle. Es gibt vieles, was so nebenbei entsteht, was mich so anfällt. Aber natürlich gibt es dann Phasen, wo man sich hinsetzen muss und sich für eine Weile abschotten muss, um dann richtig tief in was reinzugehen, um es zu Ende zu bringen.
Gerland: Elvis Costello hat mal gesagt: Andere schreiben Songs. Ich schreibe Tagebücher. Trifft das auf Sie auch zu?
Holofernes: Ich unterschreibe natürlich sehr gerne, was Elvis Costello gesagt hat. Der wirklich mein größtes Songwritingvorbild ist - in all seinen Facetten. Aber klar, das stimmt bei mir auch. Ich schreibe Songs über alles, was mich genug entflammt, interessiert, begleitet und beschäftigt. Natürlich ist das immer ein Ausschnitt aus meinem Leben, auch, wenn der schon zwei Jahre zurückliegt. Aber es ist ein Tagebuch.
Gerland: Seit bekannt gegeben worden ist, dass Sie die Veröffentlichung eines Soloalbums planen, hat sich die Promomachinerie wieder rücksichtslos in Gang gesetzt. Auftritte in Talkshows, Interviews, Fototermine. Und das in einer Zeit, in der – nicht zuletzt aufgrund der Steuerhinterziehungsgeschichte um Alice Schwarzer -, die Frage, wie viel Öffentlichkeit der Privatsphäre prominenter Zeitgenossen zuzumuten ist, neu entflammt ist. Wie halten Sie es denn damit?
Holofernes: Bei mir ist das so ein Zwiespalt. Auf der einen Seite versuche ich sehr zu sortieren, mit wem ich spreche und wo ich vorkomme, generell mir das Böse und Blöde vom Leib zu halten. Auf der anderen Seite: In den Interviews, die ich mache, bin ich sehr ungefiltert. Bei den vielen Interviews, die man so in meinem Beruf gibt, ist es mir persönlich auch zu anstrengend, zu viel Agenda zu haben und zu viel zu filtern. Ich kann es auch nicht akzeptieren, dass man in Interviews nicht mit anderen Menschen spricht. Ich muss Gespräche führen mit echten Menschen. Und da passiert es, dass ich da auch zu offen bin. Zum Beispiel beim Thema mit den Kindern. Dann taucht es natürlich in den falschen Zusammenhängen auf und wird persönlich kommentiert. Das gefällt mir überhaupt nicht. Ich sollte einfach noch mehr filtrieren, aber ich kann es nicht.
Gerland: Zu den Gründen für die "Wir Sind Helden"-Kreativpause vor zwei Jahren zählten ja Erschöpfung und ausgepowertsein. Spätestens mit der Veröffentlichung des Albums und der Solo-Frühjahrstournee sind Sie jetzt wieder am Start. Hat das Pausieren das gebracht, was Sie erwartet haben?
Holofernes: Ich habe auf jeden Fall die Bremsen ordentlich quietschen gehört. Das Gute war, dass ich das irgendwie vorher wusste und mir versprochen hatte, auf dieses Bremsenquietschen nicht in Panik zu reagieren. Nicht mit Geschäftigkeit. Ich habe zwar viel gemacht. Ich habe den Blog angefangen, Gedichte geschrieben und sogar schon heimlich angefangen, Songs zu schreiben. Aber ich war schlau genug, nichts zu machen, was mit einer Deadline zu tun hat oder wo einer was von mir erwartet hat. Das ist der Unterschied. Und insofern hat sich die Pause auch wirklich gut angefühlt.
Gerland: Im Frühjahr gehen Sie ja nun zum ersten Mal solo auf Tour. Die kreative Pause von "Wir Sind Helden" dauert ja an. Können die Fans denn in ihren Konzerte mit Neuinterpretationen einiger Helden-Songs rechnen?
Holofernes: Auf dieser Tournee kann ich das glaube ich nicht machen. Ich kann mir vorstellen, dass ich, wenn ich länger solo unterwegs sein sollte, später wieder Helden-Songs dazunehme. Ich mag die alle noch, aber ich habe da noch nicht genug Abstand. Obwohl es schade ist, sie nicht mehr zu spielen. Aber für mich sind sie total mit dieser Band verbunden. Es würde sich absolut falsch anfühlen, "Denkmal" oder "Von hier an blind" zu spielen. Und dann zur Seite zu gucken und da stehen ganz andere Leute. Und ich hoffe, dass die Zuschauer das verstehen. Es würde mich total in Verlegenheit bringen, wenn sie im Publikum stehen und "Denkmal, Denkmal" rufen würden. Was ja heißen würde, dass mir meine Band völlig egal ist. Aber ich kann mir vorstellen, später mal wieder abseitige Helden-Songs zu spielen.
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