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"Sommer vorm Balkon"

In deutschen Produktionen der 80er- und 90er-Jahre trafen sich schicke Menschen aus der Werbebranche in Lofts in München-Schwabing und diskutierten bei Prosecco ihre komplizierten Beziehungsprobleme. Diese Zeiten sind vorbei - auch cineastisch. Dass gute Filmstoffe auch aus einem Milieu kommen können, das gemeinhin als das der sozialen Verlierer gilt, hat in der Vergangenheit der Regisseur Andreas Dresen gezeigt. Heute kommt Dresens neuer Film in die Kinos, "Sommer vorm Balkon".

Von Josef Schnelle | 05.01.2006
    Ein Prise britische Tragikomödie aus dem Arbeitermilieu etwa von Ken Loach, ein bisschen kesse Defa-Drehbuch-Tradition von Wolfgang Kohlhaase und dann noch mit Handkamera und kleinem Team in 35 Tagen gedreht – am Prenzlauer Berg in Berlin, da wo die Geschichte auch spielt. So entstehen kleine Wunder.

    Traurig-heitere Filme. Dafür ist Andreas Dresen Spezialist. Sein erster Film "Stilles Land" handelt davon, wie eine kleine Schauspieltruppe in der DDR-Provinz "Warten auf Godot" probt. Und dann geht die Mauer auf. Sie schnappen sich den Tourneebus und kommen fast bis Berlin.

    "Halbe Treppe" war 2002 ein für die Prämie zum Bundesfilmpreis mal eben improvisiertes doppeltes tragikomisches Ehemelodram mit Axel Prahl als bleibende Entdeckung fürs deutsche Kino. Mit "Willenbrock", verhob sich Andreas Dresens dann einmal an der großen Form. Große Literaturverfilmung, amerikanische Kranfahrten, gewaltige Fallhöhe der Charaktere. Das ging schief. Jetzt hat er wieder zurückgefunden zu dem, was er als einziger in Deutschland kann: leicht und heiter von kleinen Leuten und den schweren Dingen im Leben erzählen.

    Zwei Frauen - Nike und Katrin - die kein Glück haben, am allerwenigsten mit den Männern, wohnen in einem alten Mietshaus in den beiden Stockwerken übereinander. Die eine hat wenigstens einen Balkon. Da kann man sitzen und bei einem Glas Rotwein oder mehreren über alles reden, was sich da draußen – eben vorm Balkon – so zuträgt.

    O-Ton Film: "Ist so schön hier mit dir Nike. Es ist so schön drüber. Kannst Du dir vorstellen mit jemand für immer zu leben? - Ick gloob da nich dran. Ick hab gelesen. Et jibt son sexuellen Botenstoff im Gehirn. Det is wissenschaftlich erwiesen. Und nach ner Weile is der einfach weg. Schlagartig. - Die richtigen sind meist die Falschen. Weißte was ich meine? "

    Was sie meint ist ganz klar. Hinter dem kleinen Glück lauert gleich die nächste Verzweiflung. All die Probleme des Alltags. Und der hat's in sich in diesem Film, der bei aller Heiterkeit im Detail, im Grunde zeigt, wie eine Gesellschaft in die soziale Kälte abgleitet. Es ist übrigens die Gesellschaft, in der wir leben.

    Katrin hat keinen Job, aber einen halbwüchsigen Sohn, für den sie alleine aufkommen muss. Kann sie da noch an sich denken, gelegentlich? Nike pflegt einsame alte Leute. Der Tod ist kein Kumpel. Die Auftraggeber kalkulieren scharf. Viel Geld kommt bei dieser Arbeit also auch nicht herum. Nike stolpert über einen Mann. Der zieht sofort bei ihr ein und die Freundschaft der beiden Frauen gerät ihn Gefahr.

    Die Handlung des Filmes ist so karg und einfach, dass sie auch in der Beschreibung zu kargen und einfachen Sätzen verführt. Doch das täuscht nie darüber hinweg, dass sich in den kleinen häuslichen, die großen sozialen Katastrophen spiegeln. Und so kann Dresen auch der bittere Ernst eines Absturzes in den Alkoholismus zu zeigen wagen und fast eine Vergewaltigung.

    Dass sich die Figuren trotz allem grauen Ernst ihres Lebens niemals aufgeben, liegt nicht zuletzt an der Überlebenstechnik "Humor", die Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase in brillanten Dialogen – oft kleinen Storys – heraufbeschwört. Wenn die Liebe nicht klappt, einfach mal an die Erste zurückdenken:

    O-Ton Film: " Weißte wann ich das erste Mal verliebt war - mit Neun. Der war vierzehn und hieß Hansi – blöder Name, aber det war der stärkste Junge in dem Heim, wo ich damals war. Weeste wat der durchgesetzt hat, dass sich alle Jungs meinen Vornamen auf ihre kleenen Schwänze schreiben. Da stand dann überall Nike drauf mit grünem Filzstift. Und ich war schlecht angesehen - mit Neun schon."

    Wolfgang Kohlhaase hat in der DDR-Zeit einige der wichtigsten Film für Konrad Wolf geschrieben, darunter 1980 "Solo Sunny", der fast in der gleichen Gegend spielt und vom Überlebenskampf einer Sängerin zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Liedkollektiv erzählte. Mit Sunny hätten sich Nike und Katrin aus "Sommer vorm Balkon" sicher gut verstanden. Nicht nur weil ihre Dialoge aus der gleichen Feder stammen. So sehr sie auch überzeugt sind, dass das Glück sie chronisch übersehen hat, so wenig geben sie die Hoffnung auf, es doch noch zu finden.

    Irgendwie haben in Andreas Dresens Kinoschaffen die oft gelobten handwerklichen Tugenden der DDR-Filmfabrik DEFA überlebt. Und doch ist ihm – das wird mit jedem seiner Filme klarer - etwas ganz Neues gelungen: ein Kino so leicht wie die französischen Sommerkomödien von Eric Rohmer, das zugleich so ernst sein kann, wie das skandinavische Konzeptkino von Bergmann bis von Trier.

    Dresen: "Es ist vielleicht mein leichtester Film, vielleicht auch mein komischster. Er spart die bösen Seiten des Lebens nicht aus. Auf der anderen Seite kriegt man ein Gefühl dafür, dass man’s auch schaffen kann."