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Sommertheater

Drei Wochen lang fahren sie durch Mecklenburg Vorpommern, Brandenburg und Berlin und spielen das Stück "Der Drache" von Jewgeni Schwarz - die Schauspielstudierenden der Rostocker Hochschule für Musik und Theater: erste Erfahrungen mit "echtem Publikum".

Von Lenore Lötsch |
    Zwei gemietete Kleinbusse stehen auf dem Hof des Fallada-Museums in Carwitz. Die zehn Schauspielstudierenden aus Rostock würden gern in den See springen, der am Ende des Grundstücks Entspannung nach der stundenlangen Fahrt verspricht, aber erst mal müssen sie ihre Bühne für heute Abend aufbauen. Drei Stellwände werden auseinandergeklappt und zusammengeschraubt, gleichzeitig möchte der Museumsleiter wissen, ob Rentner ermäßigt in die Vorstellung dürfen; und der Drachentöter Lanzelot alias David Nadvornik sucht einen Platz für seinen Kostümwechsel im Stück:

    "Bis jetzt ist es noch keine Routine. Und ich sag mal durch diese Spielortwechsel und auch, dass ich jetzt hier rum renne und gucke: von wo komm ich heute auf die Bühne oder wo hänge ich meine Sachen hin, kann's eigentlich gar keine Routine sein. Oder jemand fährt zum ersten Mal das Licht heute, der's noch nicht gemacht hat, solche Sachen, die halten's dann frisch."

    Zehn Schauspielstudierende spielen 20 Rollen, haben sechs Wochen lang die Kostüme aus Pappe gebastelt, das Bühnenbild entworfen, haben sich Geld vom Studierendenrat geborgt, um eine Sommertournee zu organisieren. Es ist der erste große Schritt hinaus aus der Rostocker Hochschule für Musik und Theater (HMT) auf jene Bühnen, die unterm Kastanienbaum im Dämmerlicht liegen – und vor ein unbekanntes Publikum. Paul Djumin Hoffmann und seine Kommilitonen sind im vierten Semester:

    "Jetzt mal zum ersten Mal, 'n richtig ganzes Stück zu arbeiten mit Regisseur. Und dann ganz wichtig, mit dieser Tour Erfahrungen vorm Publikum zu machen und auch die Angst vorm Publikum zu verlieren, beziehungsweise das Publikum, was wir in'ner HMT haben und genießen, ist kein echtes Publikum. Das sind halt einerseits die Experten, die mit'm Expertenblick raufschauen, andererseits Studenten, die mehr lachen als vielleicht gewöhnliche Zuschauer. Und hier mal echtes Publikum zu haben, Reaktionen, einfach diese Erfahrung mitzunehmen, ist jetzt genau in diesem Zeitpunkt ganz wichtig."

    Nachdem sie ein Jahr lang Kulturmanagementvorlesungen gehört haben, lernen die Rostocker Jungmimen in den nächsten drei Wochen nun auch fern der Hochschule all das, was für Schauspieler gerade in der freien Theaterszene lebensnotwendig ist: Vertragsverhandlungen, Werbung, Sponsorensuche. Für David Nadvornik ist das Schauspielstudium eher eines der festen Zügel:

    "Unser Stundenplan ist sehr stark gesetzt, also wir haben eigentlich keine Wahlmöglichkeiten. Die Szenenstudien sind fest, unsere Fächer wie Bewegung, Akrobatik und auch unsere Vorlesungen sind strukturiert. Das ermöglicht aber auch, dass wir nach acht Semestern tatsächlich unser Diplom haben. Auch die Rollenauswahl liegt ja letztendlich in den Händen der Dozenten, da kann man auch nicht wirklich mitsprechen."

    Auf der Bühne zeigen sie am Abend große Spiellust, testen mutig sich und das Publikum. Die Anfangseuphorie, einen der wenigen Studienplätze im Schauspiel ergattert zuhaben, ist im Laufe der letzten beiden Jahre verflogen, erzählt Anna Catharina Ortmann:

    "Wir sind genau auf der Hälfte. Bergfest. Es ist auch 'n bisschen wie ein Ausharren noch. Also, man genießt die Studienzeit. Aber man weiß auch: oh, nächstes Jahr. Dieses Bangen zwischen Hoffnung und Angst ist das Ganze Studium eigentlich präsent bei jedem von uns."

    Auch an diesem Abend in Carwitz tötet der fahrende Ritter Lanzelot den Drachen, der eine ganze Stadt seit Jahrhunderten in Atem hält und der die Menschen zu willfährigen Untertanen gemacht hat.

    Nach der Vorstellung werden aus dem umjubelten Ensemble wieder gehetzte Bühnenarbeiter, die möglichst schnell alles wieder verstauen wollen, um in der Nacht noch nach Berlin aufzubrechen, zur nächsten Bühne, die die Welt andeutet.

    "Es geht immer noch weiter und jetzt muss man so viel mitnehmen, wie man kann eigentlich, weil jetzt sind wir noch im geschützten Rahmen und können ausprobieren und falsch liegen und später dann draußen, da biste alleine!"

    Weitere Informationen:
    Hochschule für Musik und Theater Rostock