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Sommerzeit in Umbrien

Mittagszeit in Umbrien. Alle Traktoren und Sägen, alle Waschmaschinen und Motorroller stehen still. Die Ameisen ruhen, und auch die Blätter des Feigenbaums rühren sich nicht. Es sind 36 Grad im Schatten, die Sonne gleißt.

Von Sybille Hoffmann |
    Das rosa Kirchlein, in Francocci, das prominent auf einer kleinen Anhöhe vor dem Dorf steht, ist seit dem Erdbeben von Assisi vor zwölf Jahren baufällig. Aber eingestürzt ist es auch beim Erdbeben von L'Aquila nicht.

    Auf der Anhöhe steht jetzt ein provisorisches quadratisches Gotteshaus aus zwei Containern. Das finden manche Dorfbewohner viel schöner, moderner, sauberer als die olle rosa Kirche. Im Moment geht es darum, eine Lichterkette an die Containerkirche anzubringen.

    Francocci liegt südlich von Perugia und nördlich von Spoleto. Etwa 60 Einwohner zählt der Ort, der Dorfheilige heißt San Giacomo, und ihm zu Ehren wird jedes Jahr am letzten Wochenende im Juli ein Fest gefeiert mit Messe, Prozession, Spielen, Tanz, Würstchen und Spanferkel. In den Tagen vor dem Fest schwirrt das Dorf vor Aufregung.

    Das Festkomitee, erzählt Gino Domenici, findet sich etwa zwei Monate vor dem Namenstag des Heiligen spontan zusammen. Wer Zeit hat, übernimmt Planung und Organisation, die anderen helfen je nach Kraft und Lust mit. Das klappt offenbar.

    Als Erstes muss Geld eingesammelt werden. Zu zweit fahren die Francocciai in die umliegenden Dörfer, klopfen an die Türen und bitten um Spenden. Diese Gelder bilden den Grundstock für die drei Tage währende Party. Was übrig bleibt, geht an die Kirche. Vielleicht wird die baufällige alte ja mal restauriert...

    In Umbrien feiert im Sommer fast jede Ortschaft ein Sommerfest, aber in der Regel handelt es sich um Veranstaltungen, bei denen die Gäste für Speisen und Getränke zahlen. Umbria Jazz in Perugia und das Festival dei Due Mondi in Spoleto verlangen für Konzerte erhebliche Eintrittspreise. Die Dörfer hingegen veranstalten je eine Sagra, eine Kirchweih, auf der gegen Geld Spezialitäten angeboten werden: Spaghetti mit Trüffeln, Aale, Lamm ... – Francocci ist eine der wenigen Ortschaften, wo man feiert und umsonst isst, trinkt und tanzt.

    Morgen wird die Pista, die Tanzfläche aus Holz angeliefert, und heute muss das Festzelt aufgebaut werden. Es ist später Nachmittag, das Thermometer steht immer noch auf über 30 Grad. Da klopfen und schrauben, heben, ziehen und zerren die Männer das Gestänge und das Plastikdach zurecht.

    Vor einigen Tagen hat Antonio in der Kirche ein kleines Bad eingebaut, Wasserzufluss, Abwassergrube ... Nun gibt es eine Kirche mit Klo für die Festgäste. Aber wo soll der Handtuchhalter hin? Die Frauen putzen die Kirchenfenster, richten die Sonnenblenden, schrubben die Kirchenbänke, der Fußboden glänzt, und schließlich riecht die Kirche sehr sauber nach Putzmittel. Da setzen sich die Frauen in den Schatten. Sie schauen den Männern bei der Arbeit zu, lästern und lachen.

    Am Freitagabend schließlich beginnt das Fest mit einem Briscola-Turnier.
    Briscola ist ein sehr einfaches Kartenspiel, und die Gäste kommen in Scharen. Jeder Spieler zahlt zehn Euro Teilnahmegebühr. Die Gewinner aus den vier Runden bekommen je ein ganzes Lamm. Um Mitternacht sitzen die Letzten noch und spielen.

    Am Samstag kurz vor 20:00 Uhr läuten die Glocken, beziehungsweise: Eine CD ruft das Dorf zum Gebet. Die Kirche ist schon voller Menschen. Ein Chor aus dem Nachbarort sitzt bereits.

    Don Ernesto hetzt verspätet, aber fröhlich herbei, grüßt hier, grüßt da, in der Hand ein Körbchen mit dem Messwein. Aus dem Schrank neben dem Badezimmer in der Kirche holt er seine Gewänder, und in rotem Ornat beginnt er die Messe. Hinter dem Altar ist das Gemälde, das San Giacomo, den Dorfheiligen, darstellt, abgehängt.

    Das Gemälde halten die Kräftigsten im Dorf, Giorgio und Gino, nach der Messe hoch.

    Don Ernesto will sich mit den Kindern vor dem Gemälde aufstellen, der Chor und die Gläubigen sollen dahinter gehen. Die kleine Prozession führt durchs Dorf, das mit Blumen und Lichtern geschmückt ist. Mit einer sauber gefegten und von allen Autos befreiten Piazza gefällt sich Francocci selbst sehr.

    Die Schulkinder haben sich lieber am Ende der Prozession eingereiht, wo sie ungestört streiten können: Wer darf die Fackeln, die Salvatore, Paola und Anna mühsam in die harte Erde am Wegesrand gerammt haben, mit einem Guss aus der Wasserflasche löschen?

    Endlich wieder am Festplatz angekommen, gibt es Chaos. Keiner hat daran gedacht, die Würstchen rechtzeitig auf den Grill zu legen. 300 Gäste bilden große Trauben und drücken gegen die Tische, die als Theke dienen. Die Francocci-Frauen versuchen, zu besänftigen. Der Grill sprüht Funken. Die Francocci-Männer schwitzen an der Glut. Aber die Würstchen sind noch immer nicht gar. Die Gäste sind hungrig.

    Mit der rasch zubereiteten Bruschetta, dem gerösteten, mit Knoblauch, Salz, und Öl gewürzten Brot, geben sich die Gäste nicht zufrieden. Sie wollen Pannini con salsiccia, fette, würzige Würste der Länge nach aufgeschnitten und zwischen zwei Weißbrotscheiben gelegt.

    "Gessica und Diego" musizieren. Gesättigt schieben alte Männer in gebügelten Hemden alte Frauen in zitterndem Chiffon über die Pista. Goldene Schnörkel glitzern an weißen Schuhen. In der Pinie hängt ein Schinken. Kinder rennen durch die tanzende Menge einem Ball hinterher.

    Jugendliche betreten die Tanzfläche erst, wenn Gessica und Diego zum Line-Dancing aufrufen. Später werden alle raten, wie hoch der Schinken hängt. Wer richtig rät, darf ihn mitnehmen.

    Höhepunkt des Festes ist der Sonntagabend. Wieder wird erst gebetet. Dann Spanferkel gegessen, getanzt und gespielt. Biancamaria macht die Musik.

    Landauf landab kennt man die Dame mit ihrem Akkordeon, ihrem kleinen Sohn und ihrem großen Wohnmobil. Ihr Konterfei hängt noch Wochen nach dem Fest an der Wand der Containerkirche.
    Am Sonntagabend aber steht an der Kirche ein Schwein - im Käfig. Wie schwer ist es? Ein neues Ratespiel. Der Gewinner darf 83 Kilo Schwein mit nach Hause nehmen. Und für die Kinder gibt's ein Wassermelonenwettessen.

    Nach dem Fest ist vor dem Fest: Abgesehen davon, dass das Festkomitee sich zum Foto mit Biancamaria versammelt hat, und abgesehen davon, dass Biancamaria versprochen hat, ihren Fan Simone, der im Rollstuhl sitzt und kaum den Kopf heben kann, zu besuchen – abgesehen von diesen Ehren, geben sich die Francocciai eine Woche später auch selbst die Ehre:

    Ein großes cena findet statt, ein Abendessen als gegenseitiges Dankeschön. In steinernen Backöfen brutzeln die Frauen dafür Lamm und Enten und zerschneiden die großen Braten in kleine Stücke. Sabatino schafft Wein heran, und Paola backt eine tischplattengroße torta mit Aufschrift: "Viva Francocci!"