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Sondermülldeponie im Untergrund

Umwelt. - Überwiegend Gutes im Sinn, verabreichen Ärzte und Veterinäre ihren Schützlingen allerlei Medikamente. Doch die Patienten wiederum scheiden einen Gutteil davon quasi unverbraucht wieder aus - Antibiotika, Betablocker und viele andere ernstzunehmende Substanzen gelangen so über das Abwasser in die freie Natur. Experten fordern daher eine Risikobewertung des verdeckten Sondermülls sowie einen achtsameren Umgang mit überschüssigen Arzneien.

    Wo Chemiker auch nach Medikamenten suchen, fast überall werden sie fündig: Spuren etlicher Arzneien finden sich im Abwasser, im Ablauf von Kläranlagen, im Sickerwasser von Deponien und sogar im Grundwasser. Dabei stammen die Daten gar nicht von breit angelegten Studien, sondern aus Einzeluntersuchungen einer wachsenden Zahl von Forschern. "Wir wissen heute nicht, welche Gefahr von der geringen Konzentration diese Substanzen ausgeht. Allerdings ist ein Großteil davon biologisch nur schwer abbaubar und einzelne Stoffe wirken schon in geringen Konzentrationen", resümiert Klaus Kümmerer, Leiter der Umweltmedizin der Universitätsklinik Freiburg.

    Seit zehn Jahren befasst sich der Wissenschaftler mit dem Eintrag von Pharmaka in Gewässer. Besonders besorgt ist Kümmerer angesichts der in die Natur gelangenden Antibiotika und Zytostatika. Letztere sind Gifte aus der Krebstherapie, die selbst aber auch krebserregende Eigenschaften besitzen können. Die Folgen daraus könnten dramatisch sein: "Resistenzen von pathogenen Keimen nehmen bereits heute zu und führen zu unbehandelbaren Infektionen. Über die Bedeutung der krebserregenden Zytostatika liegt derzeit überhaupt keine Risikoabschätzung vor", so der Umweltmediziner. Neue ökotoxikologische Studien sollten daher die Bedrohung der unkontrollierten Arzneien aufklären. Kümmerers Team an der Universität Freiburg macht dazu jetzt den ersten Schritt: "Dabei betrachten wir nicht eine Vielzahl einzelner Wirkstoffe, sondern verfolgen vielmehr größere Gruppen aus ähnlichen Substanzen anhand exemplarischer Verbindungen."

    Kümmerer geht es dabei nicht um einen Bann bestimmter Medikamente, sondern um einen bewussteren Umgang damit. So würden Antibiotika in einem Drittel aller Fälle unnötigerweise verschrieben und gelangten ebenso überflüssig in die Umwelt. Nach seiner Erfahrung reagierten Mediziner durchaus aufgeschlossen, wenn man sie erst auf das Problem hin anspreche. Im Fall der Zytostatika sowie bei überschüssigen Röntgenkontrastmitteln, die derzeit oftmals einfach weggegossen würden, setzt der Forscher auf verstärkte Rücknahme und Recycling durch die Hersteller: "Möglicherweise könnten dabei auch teuere Inhaltsstoffe, wie Gadolinium oder Jod, rückgewonnen werden und so den Anreiz für die Rücknahme erhöhen."

    [Quelle: Volker Mrasek]