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Sonderregion Ferner Osten

Das Goethe-Institut hat eine Sonderregion China eingerichtet und mit einer Extraförderung ausgestattet. Pikanterweise gehört zur Sonderregion China auch die Insel Taiwan, obwohl sich die Volksrepublik und die abtrünnige Insel bekanntlich wenig grün sind.

Von Katharina Borchardt | 05.01.2007
    2010 findet in Shanghai die Expo statt. Die Metropole rüstet sich schon jetzt, unter anderem stampft sie schnell noch schlappe 100 neue Museen aus dem Boden. China erlebt nicht nur ein Wirtschaftswachstum, sondern auch einen kulturellen Aufbruch von ungeheurem Ausmaß. Zeit für das Goethe-Institut, eine neue Chinastrategie zu entwickeln und die Institute in der Region finanziell besonders zu fördern. "Das war auch dringend nötig", sagt Michael Kahn-Ackermann, Institutsleiter in Peking:

    "China ist ja ein Spätkömmling. Die Arbeit in China hat in dem Moment begonnen, in dem das Goethe-Institut ständig abbauen musste und ständig weniger Mittel bekommen hat. Und entsprechend ist die Region China bis heute vollständig unterfinanziert."

    Die Sonderförderung von jährlich einer knappen Million Euro verschafft da Erleichterung. Das Geld kommt aber noch nicht neuen Projekten zugute, sondern dient zunächst dem Ausbau der Institutsgebäude und der Schulung neuer Lehrkräfte an den Standorten Peking, Hongkong und Shanghai. Denn Deutschkurse werden stark nachgefragt. Deutsch ist in China inzwischen zur drittwichtigsten Fremdsprache avanciert - nach Englisch und Japanisch. Kein Wunder: Schließlich ist China der wichtigste Handelspartner für Deutschland in Asien und Deutschland wiederum Chinas bedeutendster Partner in Europa. 5400 Chinesinnen und Chinesen haben 2006 an den Kursen des Goethe-Instituts teilgenommen. Mangels ausreichend Fachpersonal mussten aber auch einige tausend Bewerber abgewiesen werden.

    Auch das Kulturzentrum in Taipei auf der Insel Taiwan kann mit 4000 Einschreibungen im Jahr nicht klagen. Seit neuestem gehört es auch zur Sonderregion China. Das ist politisch natürlich heikel, reagieren die Taiwanesen doch sehr empfindlich auf die zunehmende Macht des Festlandes. Michael Kahn-Ackermann aus Peking aber wiegelt ab:

    "Hinter dem politischen Säbelrasseln, das so von Zeit zu Zeit sich erhebt, verschwindet ja häufig, dass es längst engste kulturelle Kontakte zwischen Taiwan und dem Festland gibt. Und es ist heute für einen taiwanesischen Wissenschaftler oder Künstler absolut problemlos und völlig normal, in Shanghai, Peking oder in Kanton zu arbeiten."

    Jürgen Gerbig, Institutsleiter in Taipei, aber ist sich der Brisanz dieser, wenn auch internen Struktur sehr bewusst:

    "Ich habe davor gewarnt, dass der Eindruck entsteht, wir bekommen Empfehlungen oder sogar Vorschriften, Vorgaben aus Peking. Das darf natürlich nicht passieren; das wäre der worst case."

    Stattdessen wünscht Gerbig sich Kooperationen. Gerne würde er zum Beispiel taiwanesische Künstler in die Deutschlandwochen einbinden, die im kommenden Herbst in China stattfinden. Denn ein rein deutsches Programm gibt es beim Goethe-Institut schon lange nicht mehr. Es wird nicht mehr exportiert, sondern kooperiert. Auf diese Weise entstehen gemeinsame Projekte: experimentelles Theater und zeitgenössischer Tanz, Diskussionsveranstaltungen und Literaturaustausch. Michael Kahn-Ackermann verzeichnet in China ein ungeheures Interesse an kulturellen Veranstaltungen, insbesondere bei der neu entstandenen Mittelschicht. Deshalb werden überall im Land Theater, Konzertsäle und Museen hochgezogen.

    "In China entstehen im Moment gigantische kulturelle Infrastrukturen, bei denen sich sehr schnell jetzt die Frage stellt: Was soll da drin eigentlich passieren? Und unsere chinesischen Partner merken selbst, dass sie da ein Problem haben damit und suchen bei uns auch Unterstützung im ganzen Bereich des Umgangs dann mit kulturellen Einrichtungen."

    Die Unsicherheit im Umgang mit Kultur ist eine Folge des 20. Jahrhunderts: 1912 ging die letzte der kaiserlichen Dynastien unter. Es folgten der Bürgerkrieg zwischen den Nationalisten und den Maoisten, die Invasion durch die Japaner im Zweiten Weltkrieg und schließlich ein halbes Jahrhundert Kommunismus. Die kulturelle Kontinuität ist in China schwer beschädigt. Michael Kahn-Ackermann beobachtet zurzeit unter Chinesen sowohl eine verstärkte Beschäftigung mit der chinesischen Klassik als auch ein ungebrochenes Interesse am Westen. Dieses Interesse allerdings sei nicht mehr unkritisch; es funktioniere eben einfach nicht, den Westen nur nachzuahmen. So entstehen in China eigene Kunst- und Denkrichtungen, die er als post-westliche Moderne bezeichnet. Das Goethe-Institut sputet sich nun mit Extrageldern, um an dieser Entwicklung teilzuhaben.