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Songs mit Fingerabdruck

Mit Nägeln und Klauen kämpft derzeit auch die Musikindustrie. Dabei geht es zwar nicht um das nackte Überleben und auch ähnelt es dem Kampf gegen Windmühlen: Denn die Branche hat die Entwicklung des digitalen Vertriebs von Musik schlicht verschlafen, wurde durch Tauschbörsen wie Napster aus dem Koma geweckt und prozessiert seitdem gegen den wilden Online-Vertrieb von Musik. Der Dachverband der internationalen Musikindustrie IFPI forderte vorgestern deutsche Unternehmen auf, in ihren Firmen "Copyright-Beauftragte" zu installieren, die die Festplatten der Mitarbeiter sauber von illegalen Musiktiteln halten sollen. Auch neue technische Maßnahmen zum Schutz ihres Geschäftsmodells stellte die Musikindustrie diese Woche vor.

    "Die Musikwirtschaft hatte im Jahr 2002 erhebliche Umsatzrückgänge hinzunehmen, die etwa bei 10 Prozent liegen. Das ist vor allem, aber nicht ausschließlich darauf zurückzuführen, dass nichts leichter digital zu kopieren ist, um einem Kauf aus dem Weg zu gehen, als Musik", unterstreicht Hartmut Spieseke, Sprecher der Phonoverbände in Deutschland. Eine neue Waffe der Schlagerbranche soll dem Dammbruch jetzt jedoch Einhalt gebieten, hofft der Experte: das so genannte "Global Release Identifier" – kurz Grid. Zwar tragen alle neuen CDs bereits auf dem so genannten Q-Subkanal eine Nummer, die dieses Werk eindeutig identifiziert, der ISRC-Code, doch um die Silberscheiben gehe es gar nicht, so Spiesecke. "Wir zielen ab auf Musik, die im Internet verfügbar ist. Ein Beispiel: Der ISRC-Code weiß zwar, dass ich hier eine Madonna-Scheibe habe, nicht aber, ob es die Single oder die Longplay-Version ist. Grid transportiert genau diese Information." Zweck des neuen Identifikationssystems sei es, eine Grundlage zu schaffen für verschiedene Geschäftsmodelle und diese möglichst differenziert und genau abrechnen zu können."

    Während die ISRC-Nummer bereits in dem so genannten Glasmaster, dem Ausgangsoriginal bei der CD-Herstellung, enthalten ist, kommt die Grid-Nummer erst dann ins Spiel, wenn ein Plattenlabel einen Titel aus der CD zum Download ins Netz stellt. Streng genommen baut der neue Kode auf dem alten System auf: ohne ISRC auch kein Grid. Darüber werden die Verbände der Musikindustrie streng wachen und höchstpersönlich die Grid-Nummern verteilen. So können sich am Online-Handel interessierte Plattenfirmen für einen Beitrag von 226 Euro jährlich beliebig viele Grid-Nummern verschaffen. Notstand herrscht dabei kaum, denn bis der Grid-Zahlenraum von 30 Millionen ausgeschöpft ist, darf noch viel komponiert und vertrieben werden. Wie die Grid-Nummer mit einem Musiktitel gekoppelt und später wieder dechiffriert wird, dafür bestehen indes weder Regeln, noch eine offizielle Software. Das Grid zum globalen Standard wird, auch ohne derartige Ausfertigung, davon ist Spiesecke überzeugt: "Nachdem die beiden größten Verbände mit einer Abdeckung von rund 85 Prozent weltweit beteiligt sind, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das realisiert wird."

    Im Moment enthalten nur exotische Sounddateien im Netz Zusatzdaten, die etwa über die Verfallsdauer bestimmen, oder darüber, wie viele Kopien man von dem Song auf welchen Medien anfertigen darf. Dabei handelt es sich allerdings ebenfalls um Erfindungen der Musikindustrie, die sich trotz der "85prozentigen weltweiten Abdeckung" nicht durchsetzen konnten. Die Mehrheit der legal oder in Grauzonen vertriebenen Musiken im Netz sind derzeit reine Audiosignale. Sollte sich Grid als Standard tatsächlich etablieren, werden dann nur noch die direkt von CD privat und kostenlos in Tauschbörsen eingestellten Songs Audio pur sein. Doch die Chancen stehen gut, dass Hacker auch dieses System knacken und einen Gridnummerngenerator programmieren, der dann die "grauen" Schafe ununterscheidbar von den "weißen" machen dürfte.

    [Quelle: Maximilian Schönherr]