Archiv


Sonnenaufgang in Edinburgh

Ernst Hemingways Erzählung "Fiesta – The Sun Also Rises" wurde jetzt als Schauspiel beim Edinburgh International Festival aufgeführt - von zwei New Yorker Theatertruppen.

Von Ulrich Fischer |
    "The Sun Also Rises" spielt in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Ich-Erzähler Jake ist Amerikaner. Er arbeitet als Korrespondent in Paris. Er gehört einem Kreis von wohlhabenden Ausländern an, die ihre Zeit damit vertun, von Café zu Café zu ziehen, von Restaurant zu Restaurant.

    Im Mittelpunkt steht Bret, eigentlich Lady Ashley. Die britische Aristokratin hat einen Freund nach dem anderen, die abgelegten bleiben ihr aber verbunden und verfolgen einander mit Eifersüchteleien, die sich einmal auch zu einer Schlägerei steigern. Um der Langeweile in Paris zu entgehen, reisen die Freunde nach Spanien, um Forellen zu fischen und an einer Fiesta teilzunehmen. Dort verliebt sich Brett in einen Torero, von dem sie sich aber trennt, weil sie einsieht, dass sie zu alt für den 19-Jährigen ist. Zum Schluss vertraut sie sich dem Ich-Erzähler an. Sie hätten zusammenbleiben sollen. Das ist die Schlüsselszene: Ernest Hemingways Roman, der die Langeweile des unergiebigen Treibens trotz aller äußeren Reize bis zur Ödnis beschreibt, erzählt von ungelebtem Leben.

    Genau diesen Kern präparieren die beiden amerikanischen Truppen, die die Bühnenfassung uraufführten heraus: The Elevator Repair Service – also: der Aufzugs-Reparatur-Dienst, und der New York Theatre Workshop. Hemingways Stoff drängt zur darstellenden Kunst, weil er vor allem äußerliche Vorgänge beschreibt und wegen der ausgeprägten Dialoge. "Fiesta" ist zweimal verfilmt worden. Die Bühnenfassung in Edinburgh entfernt sich von aller Einfühlung und Nachahmung, die Amerikaner suchen die Distanz, ihre Spielweise ist vor allem episch. Das muss sie auch, wie sollte sie sonst einen Stierkampf auf die Bühne bringen.

    Zunächst einmal vertraut die Uraufführungs-Inszenierung von John Collins auf die akustische Kulisse:

    So klingt die Fiesta. Dann tritt der Torero auf. Seine rote Hose und die goldbestickte Jacke beleben das Bild. Das Symbolische, das Ernest Hemingway mit dieser Gestalt anstrebte, wird sichtbar: der Kontrast zu den Nichtstuern ist unübersehbar und ästhetisch reizvoll. Der Torero wird von einer Frau verkörpert – eine Breitseite gegen Hemingways Machismo. Susie Sokol stellt sich an die Rampe, ganz ruhig. Das Bild wirkt, die Zuschauer können sich den Stierkampf selbst denken – das Publikum wird zur Mitarbeit aufgefordert. Es ist immer erfreulich, wenn Theaterleute ihre Zuschauer für intelligent halten – das Publikum in Edinburgh geht mit.

    Später wird ein Stierkampf noch angedeutet, indem ein Schauspieler einen Tisch umfunktioniert. Der Tisch bekommt vorn an der Stirnseite unten Rollen und oben zwei Hörner. Das genügt völlig, wenn ein Mann ihn schiebt, um auf der Bühne den Stier anzudeuten – es hat auch eine ironische Seite. Der Humor gehört zu den Stärken der Aufführung.

    Regisseur John Collins amalgamiert in seiner Uraufführungsinszenierung mit seinen epischen Elementen Illusionstheater: die Kostüme sind teilweise prächtig, das Interieur einer Pariser Bar ist bis in die Einzelheiten auf die Bühne gebracht: Ausstatter David Zinn hat sich genau mit seinem Beleuchter abgesprochen und die akustische Kulisse hat Qualitäten eines Hörspiels: das ergibt eine Opulenz, die im lebhaften Gegensatz zur Schlichtheit der epischen Elemente steht. Aber beides geht gut zusammen – die amerikanische Truppe kreiert einen ganz eigenen Stil.

    Die Schauspieler agieren brillant. Mike Iveson spielt den Ich-Erzähler; er springt virtuos und scheinbar mühelos von der berichtenden Ebene in die Spielsphäre und Lucy Taylor stellt Brett Ashley als verführerische Femme fatale dar, der langsam dämmert, dass sie nicht immer so weiter machen kann. Das Ensemble bringt eine unangenehme Botschaft über die Rampe des Royal Lyceum in Edinburgh: Wir haben nichts gelernt. Die Warnung von Ernest Hemingway vor dem öden Hedonismus ist ungehört verhallt. Heute ist es nicht besser als damals.

    Eine ebenso ernste wie heitere Uraufführung gleich zum Auftakt, originell inszeniert. Das Edinburgh International Festival hat Luft unter den Flügeln.