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Sonnenliebende Seltenheit

Begradigte Flüsse und Wassersportgeräte machen der Würfelnatter das Leben schwer. In Deutschland gehört sie mittlerweile zu den seltensten Wirbeltieren überhaupt - vermutlich gibt es hier nur noch ein paar 100 Exemplare an Lahn, Mosel und der Nahe. Artenschützer versuchen, ihren Lebensraum zu bewahren.

Von Gerd Stuhlfauth |
    Eng ist es im Tal der Untermosel - steile Weinberge, die Bundesstraße. Dann eine Böschung und anschließend ein rund 20 Meter breiter Kies-Auen-Bereich bis zum Flussufer: Lebensraum für die Würfelnatter.

    Die Schlange ist ungefährlich für den Menschen. Sie schwimmt und taucht gut und frisst fast ausschließlich Fische. Die Weibchen legen ihre Eier in den feuchten Boden oder in verrottendes Pflanzenmaterial. Für die Würfelnatter gibt es heute nur noch wenige geeignete Uferbereiche, sagt Sigrid Lenz, Biologin mit Doktortitel.

    "Sie braucht also entlang des Gewässers kleine Buchten, beruhigte Zonen mit Jungfischbrut und Ähnlichem. Am Ufer braucht sie Kies-Auen. Das heißt, sie braucht offene Kiesbereiche, wie sie viele Gebirgsflüsse zum Beispiel noch haben. Aber sie braucht das natürlich in sehr besonnter Lage, weil: Es ist eine enorm wärmeliebende Reptilienart."

    Und deshalb kam die Würfelnatter früher an der warmen Untermosel häufig vor. Heute aber gibt es nur noch ein kleines Vorkommen mit schätzungsweise 100 bis 200 Tieren; ebenso viele dürften es an der Lahn sein; an der Nahe immerhin um die 1000 Tiere. Der Rückgang der Art hat kaum etwas mit Gewässerverschmutzung zu tun, viel stärker mit anderen Einflüssen.

    "Das lässt sich zeitlich sehr gut an der Moselkanalisation festmachen. Nämlich dem Zeitpunkt, wo man die Mosel eben mit Staustufen reguliert hat, wo man die Ufer befestigt hat und Ähnliches. Dabei gingen an fast allen Stellen die Lebensräume für die Würfelnatter - aber auch für viele, viele andere empfindliche Uferarten - verloren."

    Dem wollen Artenschutzprojekte entgegentreten. An der Elbe bei Meißen zum Beispiel wurden vor neun Jahren 150 junge Würfelnattern ausgesetzt. Der neu gegründete Bestand entwickelte sich zunächst gut, dann kam 2002 ein großes
    Sommerhochwasser. Viele der Schlangen wurden offenbar weggespült oder verhungerten in Weinbergen, in die sie geflüchtet waren, sagt Biologin Lenz.

    "Es gibt aber von jedem Jahr Jungtierbeobachtungen. Das heißt, es kommt jedes Jahr zur Fortpflanzung. Im Moment ist eigentlich das Bestreben, die Population etwas in Ruhe zu lassen, damit sie sich erholt."

    Eine Schlange windet sich in der Hand von Sigrid Lenz. Es handele sich um ein Männchen, sagt die Biologin: 74 Zentimeter lang. Man erkennt die würfelartige Zeichnung auf dem Schlangenkörper. Sigrid Lenz untersucht zurzeit den Bestand im Auftrag des rheinland-pfälzischen Landesumweltamtes. Die Fänge werden genau dokumentiert; Teil des Artenschutzprojektes an der Untermosel.

    Das Gelände wird regelmäßig gepflegt. Das heißt, dass zum Beispiel aufkommende Gehölze entfernt werden. 2001 wurde das Naturschutzgebiet auf eine Länge von 1,8 Flusskilometer deutlich vergrößert: nicht ohne kritische Diskussionen der örtlichen Bevölkerung. Angst vor den Schlangen habe wohl niemand, sagt der Bürgermeister des kleinen Örtchens Dieblich, Andreas Perscheid. Aber einige Spazierwege fielen weg. Das passte nicht jedem.

    "Die Angler waren auch nicht begeistert. Das ist immer so, wenn man gewisse Gebiete hat, wo man immer war, wo man auch weiß, hier hat man Möglichkeiten, dann wehrt man sich dagegen, das ist auch legal. Aber man hat, glaub ich, heute Ausweichmöglichkeiten gefunden - auch seitens der Angler."

    Kaum jemand dürfte eine Würfelnatter jemals in freier Natur gesehen haben. Das Gebiet darf nicht betreten werden. Und daran scheinen sich die meisten auch zu halten. Die Bedrohung kommt eher von der Wasserseite. Sigrid Lenz:

    "Sportboote sind ein Problem. Und zwar ganz besonders, wenn es sich um diese Jetskis handelt, mit denen man ja fast keinen Tiefgang hat und wirklich in die flachen Wasserzonen reinfahren kann. Und genau die flachen Wasserzonen sind die Hauptjagdräume der Schlangen. Und gerade Jungtiere werden von diesen Jetskis quasi gehäckselt."