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Sookee
Meilenstein in der deutschen Rap-Geschichte

"Lila Samt" heißt das neue Album der Berliner Rapperin Sookee. Das ist eine Ansage, bezieht sie sich damit doch direkt auf "Blauer Samt", das erste Soloalbum der Heidelberger Hip-Hop-Legende Torch aus dem Jahr 2000. "Blauer Samt" gilt bis heute als ein Meilenstein in der Geschichte von Rap in Deutschland. Nun also "Lila Samt". Hip-Hop mit lila Perspektive, mit queer-feministischen Texten, kann das gut gehen? Ausgerechnet hier in Deutschland, wo in den vergangenen Jahren Raps voller Sexismus und rassistischer Tabubrüche die Charts eroberten?

Von Sascha Verlan | 07.05.2014
    Die feministische Sängerin Sookee steht am 01.09.2013 am Pariser Platz in Berlin mit einem Mikrofon in der Hand auf der Bühne.
    Die Rapperin Sookee überzeugt als wichtige und einzigartige lyrische Stimme im Rap (dpa picture alliance / Florian Schuh)
    "ich wollt 'nen representer schreiben, doch schau, wo ich gelandet bin
    mein wunsch war eigentlich auch, dass dieses album ganz anders klingt
    ich will euch nichts vormachen, der status quo macht mich traurig
    selbst die, die ich cool find, sind edgy, einfach unglaublich
    ich schau auf zehn jahre zurück, doch die gleichzeitigkeit
    von scheiße und liebe ist zu hart, die reise zu weit"
    (Sookee - Lass mich mal machen)
    Eigentlich habe sie ja einen Representer schreiben wollen, rappt Sookee zu Beginn ihres neuen Albums. Representer bezeichnet im Hip-Hop einen Song, in dem sich eine Gruppe selbst vorstellt und feiert. Doch angesichts der aktuellen Entwicklungen innerhalb der Rap-Szene in Deutschland fällt es Sookee schwer, nur von sich zu erzählen, von ihrer Liebe zum Hip-Hop, zu viel Negatives schwingt da mit, Bilder, Songs und Videos anderer Rapper, von denen sie sich abgrenzen muss.
    "ihr wollt alles zerficken, zieht euch die bilder, die ihr zeichnet
    es ist schwer, nicht an euch trotz gutem willen zu scheitern
    und jetzt sagt nicht, die gesellschaft hätt euch zu dem gemacht
    was ihr seid, ihr seid doch mächtige männer, gute nacht"
    (Sookee - vorläufiger Abschiedsbrief)
    Sookee etablierte sich schnell in der Berliner Hip-Hop-Szene
    Sookee hat angefangen zu rappen, als Sido und Bushido mit Aggro-Berlin ihre ersten kommerziellen Erfolge feierten, und sie wuchs schnell hinein in die brodelnde Berliner Hip-Hop-Szene Anfang der 2000er-Jahre.
    "Du erwischt mich wirklich an einem schlechten Zeitpunkt, weil ich einfach grade in Gesprächen immer mehr feststelle, dass ich irgendwie die letzten zehn Jahre dem Feminismus und Hip-Hop geopfert hab. Und die Frage ist, ob ich mit 50 auf Feminismus und Hip-Hop zurückkucken will."
    Während sich die männlich geprägte Szene in immer neuen sexistischen, homophoben und rassistischen Tabubrüchen verlor, im Hip-Hop-Klischee von Gangster, Gewalt und Drogen, entwickelte sich Sookee zu einer ernsthaften politischen Stimme weit über die Grenzen der Hip-Hop-Szene hinaus. Und im Gegensatz zu vielen ihrer kritisierten Kollegen kann Sookee einfach rappen und bringt auch ihre sozial-politischen Analysen lyrisch auf den Punkt:
    "ja, ich sollte drüber stehen und euch einfach übergehen
    mich auf mich selber konzentrieren und meine wege klüger wählen
    doch es braucht ein paar stimmen, die dagegenhalten
    in dieser ewigen scheiße, in diesem ekligen gehype
    ihr sagt, das sei nur entertainment, doch für mich ist das gewalt"
    (Sookee - vorläufiger Abschiedsbrief)
    Appell, Rap nicht kaputtgehen zu lassen
    "Und natürlich machen diese Bushidos und Haftbefehls und so das alles richtig, sagen: Okay, ihr wollt halt irgendwie den gewaltaffinen Kanaken, dann kriegt ihr den, so. Und dafür nehm ich euch richtig die Euros aus der Tasche. Ich kann das nachvollziehen. Ich kann das sozusagen unter 'nem Reaktionsmoment, als Reaktion auf anhaltenden, recht breiten Rassismus, total gut nachvollziehen. Die Scheiße ist halt nur, dass Sexismus und Homophobie weiter verkauft werden. Das ist halt das Ärgerliche daran. Und das ist so schwierig, das nicht gegeneinander auszuspielen."
    Sookees Kritik ist kein Selbstzweck, kein medialer Reflex, der aufzeigen möchte, dass da was schief läuft im Land. Ihre Kritik ist letztlich ein Plädoyer, ein Appell an uns alle, an die Rap-Kollegen, die Fans, an die Sozialarbeiterinnen und die Medienvertreter, das nicht zuzulassen, nicht hinzunehmen, dass die positive Haltung von Rap, dieses wichtige Sprachrohr, durch die Intoleranz einiger weniger kaputt geht.
    "Wir alle wissen, Momente der Sprachlosigkeit sind schlimm im Leben. Wenn dir die Worte fehlen, also einfach vor Glück oder aber einfach auch vor Fassungslosigkeit, die sind schlimm. Und das ist immer befreiend für jede Person, wenn du Dinge einfach klar artikulieren kannst und sagen kannst, das find ich gut oder das will ich nicht oder ich will, dass du das und das weißt, also wenn wir in der Lage sind, Sachen präzise rauszureichen, ist das schön. Und deswegen lieb ich halt Rap und diese Sprachlastigkeit an Rap."
    "liebe für zerbrechlichkeit, rücksicht und gerechtigkeit
    liebe für kein zeitgefühl, die erste oder letzte sein
    die oben sind abgeschöpft, liebe für den rest der bleibt
    liebe für entschleunigung, ruhe und vergessenheit"
    (Sookee - Emoshit und Hippietum)
    Sookes Album: thematisch und musikalisch vielseitig
    "Lila Samt" ist ein thematisch wie musikalisch vielseitiges Album. Ihr Song "Emoshit und Hippietum" zum Beispiel ist eine hoffnungsvolle Aufzählung all dessen, was für Sookee im Zusammenleben der Menschen wichtig ist - und in "Frau mit Sternchen" werden dann alle die genannt und gefeiert, die sonst in BattleRap-Texten verunglimpft und diskriminiert werden:
    "alle anders, alle gleich, alle sternchen mitgemeint"
    (Sookee - Frauen mit Sternchen)
    Das letzte Stück ihres Albums heißt: 'Vorläufiger Abschiedsbrief'. Wenn "Lila Samt", wie Sookee hier andeutet, tatsächlich ihr letztes Album sein sollte, dann liegt das auch, aber nicht nur an der aktuellen Rap-Szene, sondern auch an der Berichterstattung darüber in den Medien. Aber ein Blick in die Geschichte der Hip-Hop-Kultur zeigt: Das Interesse an Gangsta-Rap wird wieder verschwinden. Sookee allerdings wird als wichtige und einzigartige lyrische Stimme Bestand haben, egal ob der Mainstream sie noch entdeckt oder nicht. Wie 'Blauer Samt' ist auch "Lila Samt" ein Meilenstein in der Geschichte von Rap in Deutschland.
    Sookee – Lila Samt; Label: Springstoff
    Ab dem 7. Mai ist Sookee gemeinsam mit Lex Lafoy aus Südafrika und Shirlette Ammons aus den USA auf Purple Velvet-Tour. Start ist am 7. Mai im SO36 in Berlin. Weitere Stationen sind:
    09.5. Ostsee, L-Beach Festival
1
    10.5. Greifswald, IKuWo
    15.5. Bochum, Bahnhof Langendreer
    16.5. Hannover, BÉI CHÉZ HEINZ
    17.5. Würzburg, MS Zufriedenheit
    21.5. Wien, Fluc
    22.5. München, Feierwerk
    23.5. Leipzig, Conne Island
    24.5. Jena, IDAHOT @ Kassablanca
    28.5. Köln, CANCELLED!
    29.5. Mannheim, JUZ
    30.5. Freiburg, White Rabbit
    31.5. Zürich, Stall6 in Kooperation mit Helsinki
    01.6. Bern, Reitschule
    05.6. Hamburg, Uebel & Gefährlich
    06.6. Bielefeld, AJZ
    07.6. Berlin, Cassiopeia