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Sorgenfrei zum Urknall und zurück

Astronomie. - Astronomen arbeiten mit Teleskopen und Computern. Zum einen ließe sich ohne Computer kaum eine Beobachtung auswerten - zum anderen spielt neben der Beobachtung auch die Simulation eine große Rolle, um physikalische Prozesse im Kosmos zu verstehen. Diese Simulationsrechnungen brauchen enorm leistungsfähige Computer - und in Potsdam ging gestern ein besonders schneller Rechner in Betrieb.

Dirk Lorenzen |
    Die roten Kästen im kargen Kellerraum des Astrophysikalischen Instituts Potsdam haben die Ausmaße einer großen Schrankwand. Ein paar Kontrollanzeigen blinken und ein Monitor neben den Kästen zeigt stets den aktuellen Stand der Rechenleistung - auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Es ist ein besonderer Computer mit einem großen Namen, erklärt Institutsdirektor Matthias Steinmetz:
    Der Rechner heißt Sanssouci, weil das auch einen gewissen Potsdamer Bezug hat. Natürlich ist "ohne Sorgen" auch ein guter Rechnername, insbesondere wenn man sich praktisch um 270 Rechner gleichzeitig kümmern muss, und die alle schön zusammen und synchron laufen müssen. Da muss alles bis ins Detail stimmen und da ist sorgenfrei eine gute Prognose.

    "Sanssouci" verfügt über 270 hochwertige, aber handelsübliche AMD-Opteron-Prozessoren - das hat den Rechner mit 600.000 Euro recht preiswert gemacht, traditionelle Supercomputer mit Hochleistungsprozessoren sind etwa zehnmal teurer. Durch den cleveren Aufbau kommt "Sanssouci" auch so auf 700 Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde. Steinmetz:

    Er ist auf jeden Fall derzeit unter den 250 schnellsten Rechnern weltweit. Er ist der schnellste Rechner, der einem einzelnen Forschungsinstitut in Deutschland zur Verfügung steht - übertroffen wird er nur noch von den großen Rechenzentren und den Universitätsrechenzentren. Und er ist der schnellste Rechner weltweit, der einem astrophysikalischen Institut zur Verfügung steht.

    Brandenburgs Wissenschaftsministerin Johanna Wanka griff bei der Einweihung den pfiffigen Namen des Großrechners auf und zitierte Theodor Fontanes "Wanderungen durch die Mark Brandenburg": Von Potsdam aus wurde Preußen aufgebaut, von Sanssouci aus durchleuchtet. Die Dimensionen haben sich mittlerweile etwas verändert - Matthias Steinmetz und sein Team durchleuchten mit "Sanssouci" nun den gesamten Kosmos:

    Die erste Simulation, die wir heute gestartet haben, ist die Simulation eines großen Würfels Universum, um zu sehen, wie sich in diesem Würfel Strukturen ausbilden. Wir beobachten ja, dass die Galaxien nicht beliebig verteilt sind im Universum, sondern es bildet sich eine wabenartige Struktur. Wabenartig wie ein Schweizer Käse, viel Luft in den Löchern und die Galaxien sind da, wo der Käse ist. Wir denken im Prinzip zu verstehen, wo das herkommt - nämlich durch die Gravitation. Das müssen wir jetzt im Detail überprüfen.

    So ein typischer Würfel Universum hat im Computer eine Kantenlänge von etwa 150 Millionen Lichtjahren. Wie beim Kuchen Backen kommen bestimmte kosmische Zutaten in die Form - das Backpulver ist dann offenbar die Schwerkraft: Sie wirkt unendlich weit, alles im Kosmos zieht sich gegenseitig an. Steinmetz:

    Wir haben eine Simulation mit zwei Milliarden Teilchen gestartet - eine Milliarde Teilchen der berühmt-berüchtigten Dunklen Materie, von der wir immer noch nicht wissen, was sie ist, die wir aber simulieren können im Computer, und das andere sind eine Milliarde Gasteilchen, die die sichtbare Materie beschreiben.

    Die Potsdamer Forscher verfolgen dann, wie die Testteilchen in diesem Würfel aus dem Einheitsbrei kurz nach dem Urknall das heute hoch strukturierte Universum bilden. Die Simulationen sind so aufwendig, dass selbst "Sanssouci" einige Monate Rechenzeit braucht, um die kosmische Entwicklung nachzuspielen. Die Astronomen vergleichen dann die einzelnen Entwicklungsstufen mit den Beobachtungsdaten der Großteleskope. Stimmen Modell und Beobachtung nicht überein, muss man die Zutaten - also Materie, Dunkle Materie und physikalische Phänomene - im Simulationswürfel ändern und neu berechnen: Die Potsdamer Forscher wollen so mit "Sanssouci" Schritt für Schritt Aufbau und Entwicklung des Universums verstehen.