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Sorgentelefon "Nummer gegen Kummer"
"Wir bieten emotionale Entlastung"

Schlechte Noten bereiteten vielen Schülern Sorge, sagte Anna Zacharias vom Verein "Nummer gegen Kummer" im Dlf. Zur Zeugniszeit seien sie daher einer der Hauptgründe für Anrufe. Doch auch das ganze Jahr über suchten Kinder mit den unterschiedlichsten Problemen Hilfe bei der Beratungsstelle.

29.06.2018
    Silhouette einer Frau am Telefon
    Am Sorgentelefon werde immer im individuellen Fall geschaut, womit dem Kind jetzt gerade geholfen werden könne, sagte Anna Zacharias vom Verein "Nummer gegen Kummer" im Dlf (dpa / Jan-Philipp Strobel)
    Michael Böddeker: Schule kann schlimm sein - Mobbing, Leistungsdruck und dann vor den Sommerferien auch noch das: die Zeugnisse werden vergeben. Das bedeutet für viele Schülerinnen und Schüler noch mal zusätzliche Sorgen und auch für die Eltern natürlich. Dafür gibt es verschiedene telefonische Hilfsangebote. Manche Länder haben auch gerade jetzt zur Zeugniszeit eigene Sorgentelefone geschaltet, und es gibt den Verein "Nummer gegen Kummer", der in Deutschland telefonisch Schülern und Eltern hilft und sie berät. Dort arbeitet die Pädagogin Anna Zacharias. Schönen guten Tag!
    Anna Zacharias: Guten Tag!
    Schlechte Noten machen Sorgen
    Böddeker: Wer ruft denn jetzt zur Zeugniszeit bei Ihnen an und mit welchen Problemen vor allem?
    Zacharias: Zu den Zeugnissen, rund um die Zeugnisse rufen sehr viele Schüler an, aber auch Eltern. Bei den Kindern in erster Linie mit den Problemen, dass sie vielleicht eine schlechte Note oder eine Note, die sie so nicht erwartet haben, mit nach Hause bringen, dass vielleicht auch die Versetzung gefährdet ist, und die Eltern rufen uns auf der anderen Seite an, weil sie entsetzt sind über die Note, die das Kind mit nach Hause gebracht hat und gar nicht wissen, wie sie jetzt eigentlich damit umgehen sollen. Das sind so Beispiele.
    Böddeker: Was befürchten die Schüler denn bei so einer schlechten Note? Wovor haben die Angst?
    Zacharias: Also sie haben Angst, was das in der Zukunft vielleicht für sie bedeutet oder was das dann auch vielleicht für ihre Ferienzeit bedeutet. Also wenn zum Beispiel die Versetzung gefährdet ist, müssen ja einige Kinder in die Nachprüfung gehen, die sich dann auch in dem Ferienzeitraum abspielt, aber auch Kinder, die so schlechte Noten haben, befürchten, dass sie vielleicht in dem nächsten Jahr weiterhin nicht gut zurechtkommen oder denken, sie müssen den Stoff jetzt während der Ferienzeit aufholen, und es gibt natürlich auch wirklich Kinder, die Angst haben, dass sie massiv Ärger von den Eltern bekommen. Das haben wir auch.
    "Wir fangen die Kinder auf"
    Böddeker: Was raten Sie Schülerinnen und Schülern denn dann, wenn die mit solchen Sorgen bei Ihnen anrufen?
    Zacharias: Also erst mal hören wir einfach zu, was die Kinder uns erzählen. Wir fragen nach, wie es dazu kommen kann, wir gehen mit den Kindern ins Gespräch, wir bieten eigentlich erst mal wirklich so eine emotionale Entlastung und fangen die Kinder damit auf. Selbstverständlich schimpft keiner der Berater und unsere Berater sind auch total unvoreingenommen.
    Und dann wird eigentlich in so einem zweiten Schritt geguckt, was es so an Lösungen gibt für die Kinder. Also es wird zum Beispiel abgeklopft, ob es im sozialen Umfeld jemanden gibt, der das Kind unterstützen kann - eine Oma oder eine gute Freundin, die zusammen vielleicht mit den Eltern ins Gespräch gehen kann. Und dann wird immer im individuellen Fall geschaut, womit ist dem Kind jetzt gerade selbst geholfen. Manche Kinder haben aber auch schon selber eine Idee und wollen das sozusagen dann auch noch mal von den Beratern so eine Bestätigung dafür bekommen.
    "Manchmal sind das ganz komplexe Gefühle"
    Böddeker: Vielleicht können Sie uns noch so ein bisschen mitnehmen in die Gefühlswelt von Kindern und Jugendlichen. Machen die sich selbst Vorwürfe, haben die Angst vor dem, was die Eltern sagen würden oder was die Mitschüler über sie denken könnten? Also was sind da so die Gefühle, die da eine Rolle spielen?
    Zacharias: Ja, das ist natürlich auch sehr individuell. Manchmal sind das ganz komplexe Gefühle, also dass die Kinder für sich so gar keinen Weg mehr haben, dass sie denken, oh Gott, das gibt zu Hause Ärger, ich bin der Letzte sozusagen in meiner Klasse, die Mitschüler hänseln mich vielleicht. Also dann ist das so ein Kreis, der sich bildet. Es gibt aber auch Kinder, die wirklich ganz konkret ein Problem ansprechen und sagen, ich habe eine schlechte Note in Englisch bekommen, ich finde das richtig unfair, ich habe das nicht so erwartet, und dass wir besprechen, wie kann ich damit umgehen.
    "Zeugnissorgen sind schon immer ein großes Thema bei uns gewesen"
    Böddeker: Jetzt gibt Ihr Beratungsangebot schon ziemlich lange. Haben Sie das Gefühl, dass der Druck zugenommen hat über die Jahre?
    Zacharias: Also ob der Druck zugenommen hat, das Thema Schule oder Zeugnis und Zeugnissorgen ist schon immer ein großes Thema bei uns gewesen. Ich muss sagen, die Thematik nimmt natürlich zu, also nicht, dass die Anrufe steigen, aber das Thema nimmt natürlich zu immer zum Ferienbeginn, aber das ist eigentlich eine Entwicklung, wenn ich jetzt mal die letzten fünf, sechs Jahre zurückblicke, ist die ungefähr gleichbleibend bei uns an den Telefonen. Das heißt ja aber nichts. Also das kann natürlich schon sein, dass der Druck insgesamt zunimmt. Ich denke, durch G8 werden doch einige Schüler stark unter Druck geraten sein und auch Leistungsdruck empfinden, aber ich kann jetzt nicht sagen, dass wir das Thema früher am Telefon nie hatten und das jetzt auf einmal bei uns ganz extrem geworden ist. Das können wir nicht so sagen.
    Böddeker: Jetzt gehen gerade in mehreren Bundesländern die Sommerferien los. Es gibt die Zeugnisse und damit auch die entsprechenden Sorgen, aber Schüler und generell Kinder und Jugendliche können ja das ganze Jahr über bei Ihnen anrufen.
    Zacharias: Genau.
    Böddeker: Mit welchen Problemen melden die sich bei Ihnen?
    Zacharias: Also Kinder und Jugendliche melden sich in der Regel so zu den Themen, die sie in der Pubertät beschäftigen. Das ist auch unsere Hauptzielgruppe, also Kinder zwischen 12 und 17 Jahren, die uns kontaktieren. Da geht es viel um Liebe, Partnerschaft. Bei den Jungs gerade um Sexualität, aber auch um psychosoziale Probleme oder psychosoziale Gesundheit, Probleme in der Familie und natürlich auch Probleme in der Schule gehört auch dazu. Wir werden aber auch mit sehr schwerwiegenden Themen konfrontiert wie zum Beispiel Gewalt oder Missbrauchsthemen.
    Onlineberatung
    Böddeker: Wenn man jetzt den Begriff Sorgentelefon hört, das klingt ja heutzutage fast schon veraltet, wo Kinder und Jugendliche vor allem online kommunizieren, aber Sie bieten ja inzwischen auch eine Onlineberatung an. Wie funktioniert das?
    Zacharias: Genau. Also es gibt Kinder, die einfach nicht gerne oder gut über ihre Probleme sprechen können oder auch möchten, und wir haben eigentlich schon vor 15 Jahren gesagt, wir müssen diesem Problem entgegenwirken und haben eine Onlineberatung eingerichtet. Das ist eine Plattform, die bei uns über die Internetseite www.nummergegenkummer.de zu erreichen ist, und hier können die Kinder ihre Probleme in einem anonymen und geschützten Bereich schreiben.
    Böddeker: Schüler und Eltern können sich Hilfe holen, wenn sie zum Beispiel Zeugnissorgen haben. Die Kontaktdaten für Telefon und E-Mail gibt es im Netz unter www.nummergegenkummer.de und darüber gesprochen haben wir mit Anna Zacharias vom Verein "Nummer gegen Kummer". Vielen Dank für das Interview!
    Zacharias: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.