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Sotschi 2014
Protestieren in Sotschi?

Erst wollte Russland während Olympia in Sotschi überhaupt keine Proteste zulassen. Nun gibt es eine eigens ausgewiesene Zone dafür – allerdings abseits des Geschehens.

Von Hendrik Maaßen | 12.01.2014
    So einfach funktioniert das mit einer positiven Schlagzeile: Im vergangenen Sommer erließ Vladimir Putin noch per Dekret eine hoch umstrittene Sicherheitszone für Sotschi. Darin enthalten: Ein Verbot von jeglichen poltischen Demonstrationen in der gesamten Stadt. Das IOC äußerte Kritik, Putin das kleinstmögliche Entgegenkommen: Er lockerte das Verbot – und verkündet es nun medienwirksam nach zahlreichen Begnadigungen und kurz vor den Spielen. Dabei waren die Protestzonen schon im vergangenen Dezember beschlossen:
    "Wir freuen uns über die Ankündigung des Organisationskomitees, das nach einigen Diskussionen mit unseren Partnern in Sotschi Protestzonen eingerichtet werden. Sie geben damit Menschen die Möglichkeit ihre Meinung zu äußern, für oder gegen etwas zu demonstrieren und das in speziellen Protestzonen in Sotschi“,
    verkündete damals IOC-Präsident Thomas Bach. Ebenso medienwirksam hatte der neue IOC-Präsident damit das russische Zugeständnis als seinen ersten Erfolg im neuen Amt verkauft. Bach war Putin mit der Ankündigung zuvorgekommen. Den Macht-Menschen Putin dürfte das nicht gefallen haben. Das Verhältnis des IOC zu Demonstrationen ist ambivalent. Unter Regel 51 in der IOC-Charta steht:
    "Jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassische Propaganda an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder in anderen olympischen Bereichen ist untersagt“.
    Warum also freut sich das IOC über Protestzonen in Sotschi? Der Artikel 51 gelte an den Sportstätten, so das IOC auf Nachfrage des DLF. Den Kompromiss: Demos ja, aber nicht im Stadion gibt es seit den Spielen von Sydney 2000: In extra ausgewiesenen „Protestzonen“ ist die freie Meinungsäußerung erlaubt.
    Auch bei den Sommerspielen von Peking 2008 richteten die Organisatoren kurzfristig Protestzonen ein: drei Parks abseits der Sportstätten. Unter strengen Auflagen sollten dort Demonstrationen möglich sein. Laut der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua gab es 77 Anträge für Kundgebungen. 74 davon seien „freiwillig“ zurückgezogen worden, der Rest wurde offenbar erst gar nicht genehmigt. Tilman Zülch, der Präsident der Gesellschaft für bedroht Völker, erklärte 2008, unter den gegebenen Bedingungen würde sowieso kaum jemand in die Protestzonen kommen:
    "Aus den Olympische Spielen, der Freude, der Versöhnung, der Offenheit, der Verständigung, ist ein Olympia geworden, bei der dominiert: Ein polizeilicher Unterdrückungsapparat ungeheuren Ausmaßes. Mit einer Verbannung von Dissidenten und anderen in eine kleine Protestzone, in die natürlich niemand gehen kann, weil die Leute wissen, dass sonst Opfer von Lager oder Folter“
    Im Ergebnis wurde auch deshalb fast nur außerhalb Chinas, beim Fackellauf in London, Paris und Berlin, protestiert. Was Demonstranten im russischen Sotschi zu befürchten haben, ist schwer abzuschätzen. Aber das Muster ist dasselbe wie in Peking: Niemand kann behaupten, es dürfe nicht demonstriert werden. Aber unter welchen Bedingungen?
    "Nun sind Aktionen in bestimmten, noch zu definierenden Sonderzonen möglich, aber nur, wenn sie nicht unmittelbar mit Olympia zu tun haben. Ferner müssen sie von der Stadt, dem Innenministerium und dem Geheimdienst genehmigt werden. Die Behörden bestimmen auch die Höchstzahl der Teilnehmer“,
    berichtet DLF-Korrespondentin Gesine Dornblüth aus Russland. So werden die Spielen wohl ohne offene Kritik vor Ort über die Bühne gehen. Keine Proteste gegen die massiven Umweltzerstörung, die schlechten Arbeitsbedingungen auf den Baustellen, die Korruption und die Diskriminierung Homosexueller. Das IOC teilt trotzdem mit, man habe „gute Erfahrungen“ mit den Protestzonen gemacht und freue sich über den Schritt Putins.
    "Wir begrüßen diese Ankündigung der Protestzonen – sie ist im Einklang mit den Zusagen auf freie Meinungsäußerung, die Präsident Putin uns im letzten Jahr gegeben hat.“
    Für weitere Einzelheiten der bisherigen Protestzonen hat sich das IOC offenbar nicht interessiert. Schriftlich erklärt ein Sprecher gegenüber dem DLF.
    "Da diese Zonen von den lokalen Behörden verwaltet werden, haben wir keine Informationen darüber, wie sie 2008 in Peking oder in Vancouver 2010 genutzt wurden.“
    Die Protestzonen scheinen nur ein Alibi für die theoretisch möglichen Demonstrationen zu sein. Am Freitag erklärten die Behörden nun ein Gelände zwölf Kilometer vom Stadtzentrum Sotschis entfernt zur Protestzone. Unklar bleibt, ob Demonstranten ohne den sogenannten "Fanpass“ überhaupt in die Sicherheitszone um Sotschi einreisen dürfen. Es könnte, wie in Peking, eine Meinungsfreiheit auf dem Papier bleiben.