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Sotschi und die Olympischen Winterspiele 2014

Die Stadt Sotschi im Süden Russlands ist der Austragungsort für die olympischen Winterspiele im Jahr 2014. Vor gut einem Jahr bekam die Stadt den Zuschlag, obwohl sie damals nicht eine einzige Anlage für den Winterhochleistungssport vorweisen konnte. Seitdem stehen die Planer der olympischen Spiele vor einer riesigen Aufgabe, die Bewohner von Sotschi allerdings fürchten, das sie dabei den kürzeren ziehen. Mehr dazu von Gesine Dornblüth

14.07.2008
    Etwas außerhalb von Sotschi besucht Dmitrij Drofitschev die Gräber seiner Großeltern. Zärtlich sortiert er die Zweige der blauen Hortensien. Noch sprießt ringsum Grün, doch der Friedhof soll weichen, denn hier sollen die Eisstadien gebaut werden. Und Drofitschev und seine Nachbarn sollen umziehen. Auf ihren Grundstücken sind Hotels geplant. Als die Bewohner dem Internationalen Olympischen Komitee bei dessen Besuch in Sotschi im Frühjahr einen Protestbrief übergeben wollten, wurden sie von russischen Eliteeinheiten verprügelt. Dmitrij Drofitschev will sich davon nicht einschüchtern lassen.

    "Wir warten darauf, dass darauf die Regierung in Moskau reagiert. Ich habe immer noch einen Funken Hoffnung, dass unser Präsident von all dem nichts weiß, dass er falsch informiert ist. Vielleicht kommt er im letzten Moment und sorgt für Gerechtigkeit. Daran glaube ich."
    Vor dem Hotel "Moskau" in Sotschi blasen acht alte Männer ihre Backen auf. Die Sonne treibt den Musikern den Schweiß auf die Stirn. Urlauber bleiben stehen, wippen im Takt. Ein Postkartenidyll, das durch Plakate an den Straßen noch verstärkt wird: "Verdoppelung der Löhne" steht darauf, ein "neues städtisches Krankenhaus", "hundertprozentige Versorgung der Stadt mit Gas". All das und vieles mehr versprechen die Organisatoren der Olympischen Winterspiele den Bewohnern von Sotschi. Doch bisher sind vor allem die Immobilienpreise in der Stadt explodiert. Und Sotschi erstickt im Stau.

    Auf dem Markt von Sotschi verkauft Irina Vladimirovna Souvenirs. Sie bessert so ihre Rente auf.

    "Die vielen Baustellen machen uns das Leben schwer. Vielleicht haben wir später etwas von Olympia, wenn alles fertig ist und die Spiele stattfinden. Aber bisher haben wir nur Nachteile. Die Staus sind furchtbar. Ich wohne außerhalb, und der Bus braucht jetzt 2,5 bis 3 Stunden. Früher waren es 20 Minuten. Bei der Hitze im Bus fallen die Leute reihenweise in Ohnmacht."
    Wie das Verkehrsproblem gelöst werden soll, ist unklar. Bisher führt nur eine Uferstraße an der Küste entlang; eventuell soll darüber noch eine Hochstraße gebaut werden, so dass der Verkehr auf zwei Etagen fließen könnte.

    Bauarbeiten in und um Sotschi sind extrem schwer. Es geht um die Beschaffenheit des Bodens, denn Sotschi liegt am Meer. Ein Teil ist sumpfig. Geologen warnen, dass der Boden absacken könnte, wenn an der falschen Stelle gebaut wird. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung geht mittlerweile so weit, dass sogar Mitarbeiter der Stadtverwaltung es wagen, das Olympiaprojekt öffentlich zu kritisieren - ungewöhnlich in der russischen Provinz. Zum Beispiel Natalja Schefer, die Leiterin des städtischen Umweltausschusses von Sotschi.

    "Kein Großereignis, wie wichtig es international auch sein mag, darf auf Kosten der Einheimischen durchgeführt werden. Sotschi ist nicht einfach nur Bauland. Sotschi hat vor allem eine einzigartige Natur, einmalig in der ganzen einstigen Sowjetunion. Und Sotschi war eine Heilstätte für Millionen Menschen. Die Stadt hat gute Kureinrichtungen und Kliniken, hoch qualifizierte Ärzte. Jetzt können sich viele Menschen nicht mehr leisten, hier zu kuren. Und wenn auch noch das Ökosystem zerstört wird, kann man sich leicht ausrechnen, welche negativen Folgen das auf den Kurbetrieb haben wird."
    Natalja Schefer bekommt Schützenhilfe von Greenpeace Russland. Oberhalb von Sotschi beginnt das streng geschützte Naturgebiet Westkaukasus, wegen seiner Einzigartigkeit gar Teil des Welterbes der UNESCO. Direkt angrenzend an dieses Schutzgebiet wollten die Olympiaplaner ursprünglich die Bob-Bahn und einen Teil des Olympischen Dorfes bauen. Greenpeace äußerte Bedenken, ebenso die UNESCO.

    Der internationale Druck stieg. Anfang Juli ordnete Regierungschef Vladimir Putin schließlich an, die beiden umstrittenen Projekte an einer anderen Stelle zu bauen, weiter entfernt von dem Schutzgebiet. Doch auch so werden die Winterspiele der Natur schaden, meint Michail Krejndlin von Greenpeace Russland.

    "Es ist eine Tatsache, dass die Spiele eine große Belastung für das Ökosystem sind. Aber wir haben gesagt: Wir können aus politischen Gründen nicht gegen Olympia insgesamt sein. Immerhin könnten die Spiele ja auch eine gewisse Entwicklung für den Kurort Sotschi bringen. Ich glaube daran allerdings nicht."
    Einige Menschen in Sotschi glauben sogar, dass die Olympischen Spiele noch abgesagt werden könnten: Einfach, weil die Anlagen nicht fertig werden.