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Soulman Curtis Harding
"Ich bin alles Mögliche"

Curtis Harding aus Atlanta hat in verschiedenen Bands gespielt, war mit Mutter und Schwester im Gospelchor unterwegs. Eher aus Langeweile hat er sein Solodebüt "Soul Power" veröffentlicht, über das sich prominente Musiker wie Iggy Pop und Jack White begeistert geäußert haben. Jetzt erscheint das Album auch in Deutschland.

Curtis Harding im Gespräch mit Dirk Schneider |
    Der Schatten von Gospelsängerinnen und Sängern.
    Ein Gospel-Chor (AFP / Flippo Monteforte)
    Dirk Schneider: Curtis Harding, das Musikmagazin Rolling Stone hat Ihnen eine große Zukunft vorausgesagt, Sie haben prominente Fans wie Jack White und Iggy Pop – fühlen Sie sich ein bisschen unter Druck, diesen Vorschusslorbeeren gerecht zu werden?
    Curtis Harding: Mein Job ist es, ein gutes Album zu machen, gute Musik. Alles andere ist egal.
    Schneider: Sie sind also ganz gelassen?
    Harding: Ich schaffe das. Ich habe es schon mal geschafft, und es wird mir wieder gelingen.
    Schneider: Im Videoclip zu Ihrem Song "Keep On Shining" sehen wir Sie als Marionette. Sie haben mal gesagt, dass in Amerika Künstler gerne in eine Schublade gesteckt werden, aus der sie schwer wieder rauskommen. Haben Sie Angst, als Marionette der Musikindustrie zu enden?
    Harding: In "Keep On Shining" geht es um eine Frau, die von einem verlangt, alle ihre Wünsche zu erfüllen. Und wenn man unglücklich verliebt ist, kann man sich schon mal wie eine Marionette fühlen, darum geht es. Aber natürlich gibt es da auch einen gewissen Interpretationsspielraum.
    Schneider: Zumindest sind Sie ja nicht gerade ein Freund der Musikindustrie. (...) Mit einer früheren Band, The Constellations, haben Sie ja mal einen Vertrag mit dem Label Virgin platzen lassen.
    Harding: Ich habe nicht direkt den Vertrag platzen lassen, eigentlich habe ich nur die Band verlassen. Das Projekt hatte eine Richtung eingeschlagen, die mir nicht gefallen hat, und ich bin von Atlanta nach Toronto gezogen. Zu der Zeit wurde dann der Vertrag mit Virgin geschlossen, es hatte schon länger Verhandlungen gegeben. Ich habe aber meine Rechte an der Musik behalten.
    "Es läuft gut"
    Schneider: Ihr Solodebüt "Soul Power" ist in den USA ja bereits erschienen, wie läuft es denn soweit mit der Solokarriere?
    Harding: Es läuft gut, jedenfalls was die Liveauftritte angeht. Ich war mit Jack White auf Tour, ausverkaufte Abende mit zehntausend Zuschauern, das ist schon okay.
    Schneider: Sie haben, wie viele Soulsänger, in einem Gospelchor angefangen, das ist ja fast schon ein Klischee.
    Harding: Das ist kein Klischee, Soul hat im Gospel seinen Ursprung. Und gerade in den Südstaaten wächst man damit auf, dass man im Kirchenchor singt. Einige der besten Musiker, die ich kenne, haben in der Kirche mit der Musik angefangen, nicht nur Sänger, auch Gitarristen und Schlagzeuger. In der Kirche wird viel improvisiert, fast wie im Jazz.
    Schneider: Lernt man im Gospelchor also, Soul zu haben? Oder hatten Sie vorher schon Soul, oder was bedeutet Ihnen der Begriff?
    Harding: Soul... das kann verschiedene Bedeutungen haben. Man kann es musikalisch verstehen, aber auch als Art, sich zu kleiden, zu sprechen oder wie man geht. Aber ich glaube, Soul kommt vor allem aus der Erfahrung und ist eine Fähigkeit, diese in etwas anderes umzuwandeln, sei es Musik oder etwas anderes.
    Schneider: Aber ist Soul nicht ein Gefühl oder eine Lebenseinstellung...
    Harding: Ja, klar, es ist all das! Und das anzuzapfen und in etwas anderes zu verwandeln, das bedeutet "Soul Power".
    Schneider: Sie waren als Kind und junger Mann mit dem Gospelchor Ihrer Mutter auf Tour, Ihre Schwester war auch dabei, was haben Sie da erlebt?
    Harding: Wir waren mit einem kleinen Bus unterwegs - wir haben das übrigens nicht "Tournee" genannt, es war unser Leben. Wir sind in die Problemviertel der Städte gefahren, manchmal sind wir dort in Kirchen aufgetreten, wir haben aber auch auf der Straße für Obdachlose gesungen, für Junkies, Gangmitglieder, zu jeder Nachtstunde. Das war eine sehr interessante Erfahrung. Ich habe eine Menge über die kulturelle Vielfalt unseres Landes erfahren, ich habe gelernt, mit Menschen umzugehen, und ich habe natürlich viel über Musik gelernt. Und jetzt bin ich wieder in einer Band, da schließt sich doch irgendwie ein Kreis.
    Schneider: Sie sind großer Fan von Punk Rock, war diese Musik für Sie eine Emanzipation von Ihrer Mutter, von Ihrer musikalischen Vergangenheit?
    Punk-Rock-Fan
    Harding: Ich war schon immer Punk Rock Fan. Aber ich bin überhaupt ein Fan von Musik. Punk Rock ist ganz einfach die roheste Form musikalischer Energie, die es überhaupt gibt. Eigentlich gab es diese Musik schon, bevor es einen Namen dafür gab. Ich war selbst schon ein Punkrocker, bevor ich diesen Begriff kannte. (lacht)
    Schneider: Aber sind Sie trotzdem einverstanden, wenn man Sie einen Soulmusiker nennt?
    Harding: Ich bin alles Mögliche. Wenn man nicht in eine Schublade gesteckt werden will, muss man viele unterschiedliche Sachen verkörpern. Aber Soul ist für mich die Grundlage, auf jeden Fall, und nimmt in meiner Musik verschiedene neue Formen an.
    Schneider: Sie nennen Ihren Musikstil Slop'n'Soul, können Sie mir diesen Begriff erklären?
    Harding: Soul ist die Grundlage, wie gesagt. Und "slop", so nennt man die Reste, die man den Schweinen gibt. Das heißt, dass meine Musik ein Mischmasch verschiedener Stile ist, aber dass sie auch nahrhaft ist, dass sie die Schweine gut nährt. Und dass sie auch etwas Schmutziges hat, bitte sehr: Das ist Slop'n'Soul.
    Schneider: Sie werfen uns also die Reste aus der Küche vor?
    Harding: Ja. Ich nehme Elemente aus Punk Rock, aus Gospel, aus anderen Genres und mache daraus eine nahrhafte Mischung, etwas sehr Lebhaftes.
    Schneider: Sie sind 34 Jahre alt ...
    Harding: 35 Jahre!
    Schneider: Sie sehen jünger aus.
    Harding: ...das kommt von den vielen Zigaretten.
    Schneider: Jedenfalls ist das recht alt für ein Solodebüt. Glauben Sie, es ist von Vorteil oder eher ein Nachteil, so spät damit herauszukommen?
    Harding: Ich wollte einfach ein Album veröffentlichen. Ich hatte all diese Songs zusammen. Eigentlich hatte ich gerade an einem Nebenprojekt gearbeitet, mit Freunden, und alle waren sie mit etwas anderem beschäftigt, und ich hatte diese Stücke zusammen, also dachte ich mir, arbeite ich halt mal daran, statt zu warten, bis die anderen wieder Zeit haben. Und dabei kam dieses Album heraus.
    Schneider: Also haben Sie keine allzu großen Erwartungen an eine Solo-Karriere?
    "Wollte nur ein gutes Album machen"
    Harding: Ich wollte nur ein gutes Album machen.
    Schneider: Das sagen alle Künstler.
    Harding: Aber das ist die Wahrheit. Klar habe ich einen gewissen Ehrgeiz. Aber wenn ich ganz groß rauskommen wollte, hätte ich mich an ein Majorlabel rangeschmissen. Ich wollte nur, dass jemand dieses Album veröffentlicht, der es genauso gut findet wie ich. Und alles Weitere wird sich zeigen.
    Schneider: Ich frage mich immer noch, wer Sie sind. Was treibt Sie an, was wollen Sie? Klar, das ist eine schwierige Frage ...
    Harding: Die Frage ist nur schwierig, weil ich Sie nicht verstehe: Was für ein Typ ich bin?
    Schneider: Was ist die treibende Kraft hinter dem, was Sie tun?
    Harding: Soul Power! Ich weiß wirklich nicht, wie ich die Frage beantworten soll. Um mich kennenzulernen, müssen wir Zeit zusammen verbringen, aber diese Zeit haben wir nicht. Sie werden das, was Sie suchen, nicht mit ein paar Fragen bekommen. Das braucht einfach Zeit. Die habe ich nicht. Ich habe Auftritte. Orte, die auf mich warten. Musik, die ich machen muss.
    Schneider: Ich versuche es mal so: Mögen Sie die Welt, in der Sie leben?
    Harding: Na klar. Manchmal. Und Sie? Mögen Sie die Welt, in der Sie leben?
    Schneider: Stellen Sie mir keine Fragen, dazu haben wir nicht die Zeit.
    Harding: Mögen Sie die Welt, in der Sie leben?
    Schneider: Im kleinen Rahmen ...
    Harding: Im Sinne von Gemeinschaft, der Menschen, mit denen Sie sich umgeben. Das ist die Welt, in der Sie leben. Ja, ich mag die Welt, in der ich lebe. Ich umgebe mich mit guten Leuten.
    Schneider: Sie wollten mal Meeresforscher werden, warum ist daraus nichts geworden?
    Harding: Ich war nicht besonders fleißig, ich habe lieber Basketball gespielt und Lieder geschrieben. Und wir waren viel unterwegs. Aber das war schon ein großer Traum von mir, genährt von vielen Meeresdokumentationen, die ich im Fernsehen gesehen habe. Und natürlich "20.000 Meilen unter dem Meer", ich wollte Kapitän Nemo sein.
    Schneider: Ist von dem Wunsch etwas übrig geblieben?
    Harding: Ja, wenn ich eines Tages genug Geld habe, kaufe ich mir vielleicht ein U-Boot, und schaue mich da unten um.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.