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Sound-Installation
Casa di Goethe neu erleben

Für seine "Korrekturen" - minimale Eingriffe fotografischer, installativer und akustischer Art - hat sich der Berliner Künstler Via Lewandowsky das Goethehaus in Rom ausgesucht. Das Ergebnis: möbellose Räume, extrem laute Klimaanlagen und ein roter Laserstrahl.

Von Thomas Migge | 14.06.2014
    Der Künstler Via Lewandowsky, aufgenommen am 03.11.2008 inmitten seiner Audio-Installation "Applaus" im Haus am Waldsee in Berlin. Die Applaus-Partitur, die sich der in Berlin lebende Künstler ausgedacht hat, hängt an sichtbaren Kabeln. Sie verbinden 96 Lautsprecher auf Stativen - quasi das Orchester. Der groteske Klangkörper füllt die ansonsten leeren Räume der Villa.
    Der Künstler Via Lewandowsky verbindet in seinen Arbeiten unterschiedliche Medien (picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Die Räume sind nackt. Keine Möbel, nichts. An den Wänden einige Fotografien. Mit Stecknadeln befestigt. Dazu bekommt der Besucher das Rauschen der Klimaanlage der Casa di Goethe in der römischen Via del Corso Nummer 18 zu hören. Die Casa di Goethe ist das einzige deutsche Museum und Kulturzentrum im Ausland. Untergebracht genau dort, wo Goethe während seiner italienischen Reise von 1786 bis 1788 lebte. Die Fotos, das eintönige Rauschen der Klimaanlage und ein roter Laserstrahl, der einen der Räume auszumessen scheint, gehören zum neuen Kunstwerk des vielseitigen deutschen Künstlers Via Lewandowsky. Die Performanceinstallation versucht Goethe in der Casa di Goethe auf die Spur zu kommen. Via Lewandowsky gab der Installation den enigmatischen Titel "Korrekturen". Warum dieser Titel?
    "Weil es hier darum geht, etwas zu korrigieren, was wir sehen oder was wir wissen. Wir kommen in diese Räume, in denen Goethe gelebt hat, und projizieren etwas, was wir irgendwo gesehen, gelesen und erfahren haben, und versuchen jetzt herauszufinden: Ist das wirklich so? Wir sind angezogen von der Atmosphäre, von der Aura des Ortes, aber die Räume sind überhaupt nicht mehr die gleichen wie sie einmal waren."
    Lewandowsky arbeitet im römischen Goethemuseum mit dem öffentlichen Raum - so wie er es schon vor Jahren im Eingangsbereich des Bendlerblocks im Berliner Verteidigungsministerium tat. Ihm geht es bei diesen Arbeiten um die Geschichte, die Aura, die Bedeutung öffentlicher Räume:
    "Die Ausstellung versucht, auf diesen Punkt Bezug zu nehmen und mit unserer Imagination zu spielen, und am Ende steht man in Räumen, die komplett leer sind und die frei sind für unsere Vorstellungen von dem, was hier stattgefunden hat und wie es ausgesehen hat."
    Lewandowskys Fotografien zeigen die nackten Museumsräume und einige Details: die Klimaanlage, ein Schlüsselloch. Er spürt Goethe in Räumen nach, die sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts grundlegend verändert haben. Zimmer, die nur noch einen Mythos beherbergen. Die Suche nach diesem Mythos Goethe in Rom symbolisiert auch das durch Lautsprecher verstärkte Rauschen der Klimaanlage. So wie Astrophysiker mit riesigen Teleskopen Geräuschen aus den Tiefen des Alls nachspüren, auf der Suche nach den Tönen eines fernen Urknalls oder anderer Lebewesen, so will Lewandowsky mit dem Rauschen der Aircondition unser zum Scheitern verurteiltes Suchen nach dem originalen Goethe an diesem Ort zum Ausdruck bringen.
    Der in Rom lebende Dichter Durs Grünbein wählte für die Ausstellung Goethes "Fasanentraum" als Wandtext aus. Der Text begleitet den Besucher von Raum zu Raum. Der "Fasanentraum" von 1785, geschrieben vor seiner Italienreise, thematisiert für Durs Grünbein Goethes Stimmung des Aufbruchs, seine diffusen sinnlichen Erwartungen:
    "Zugleich muss man ja wissen, ist das hier der Ort, an dem Goethe vermutlich die glücklichste Zeit seines Lebens verbrachte. Dieses Maximum an biografischem Erleben müssen wir jetzt sozusagen in eine Beziehung setzen zu den weiterhin sehr nüchternen Räumen."
    Die italienische Literaturwissenschaftlerin Maria Gazzetti, seit einigen Monaten Direktorin der Casa di Goethe, hatte die Idee zu der Installation, die fast das ganze Museum in Anspruch nimmt:
    "Ausstellungen mit zeitgenössischen Künstlern und Fotografen ja, aber dass ein zeitgenössischer Künstler über diese Räume reflektiert, also eine Überlegung, was kann ein Museum zeigen, das ist neu."
    Bleibt zu hoffen, dass Maria Gazzetti auch weiterhin den Mut findet, ihre Ausstellungsräume für Kunstspiele mit Atmosphären und Stimmungen zu nutzen.