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Soundtrack zum Mauerfall

Werner Karma war einer der herausragenden Songtextschreiber der DDR. Seine Texte für die Gruppe Silly gelten als Soundtrack zum Untergang der DDR. Wie kaum ein anderer konnte er die Lethargie einfangen, die zum Ende der DDR das gesamte Land erfasste.

Von Bernd Gürtler |
    Ende der 60er Jahre musste die DDR-Kulturpolitik einsehen: Auf Dauer würde sich Rockmusik nicht verhindern lassen im Arbeiter- und Bauernstaat. Rockmusik, diese Unkultur des Westens, wurde gehört und gespielt. Über kurz oder lang musste das Phänomen in den Alltag integriert werden. Deutsche Songtexte wurden zur Bedingung gemacht, und erfahrene Poeten als externe Songtextschreiber sollten ordentliche Qualität garantieren. Werner Karma erinnert sich:

    "Das war schon erkennbar, dass das ein kulturpolitischer Wille war, den Rockern und Poppern, wenn sie schon Deutsch singen mussten, Leute an die Seite zu stellen, die die Sprache beherrschen."

    Von den Songtextschreibern wurde aber auch erwartet, dass sie ideologisch einwandfreie Textinhalte gewährleisten. Das ist Werner Karma ebenfalls lebhaft in Erinnerung geblieben:

    "Ja klar, Kontrolle, Aufsicht, wie man das nennen will. Das eine war die handwerkliche Geschichte, und die andere Seite war, dass man eben darauf achten wollte, dass die Ideale des Gemeinwesens nicht durch unüberlegte oder gar feindselige Texte beschädigt werden."

    Dummerweise wollte sich noch lange nicht jeder Songtextschreiber als staatliches Kontrollorgan einspannen lassen. Werner Karma jedenfalls wollte es nicht.

    "Nee, ich war ja auf der Seite der Band!"

    Für die DDR-Kulturpolitik sollte sich die Arbeitsteilung zwischen Rockbands und externen Songtextschreibern als grandioses Eigentor erweisen. Die Songtextschreiber liefern den Bands überhaupt erst die Texte, die den DDR-Alltag bis in den Wendeherbst 1989 kritisch begleiten. Werner Karma und Silly sind eine besonders effiziente Kombination der 80er-Jahre.
    Die Frauenfiguren in Werner-Karma-Songtexten sind selbstbestimmt und stark. Tamara Danz, der Silly-Sängerin damals in den Achtzigern, ist das wie eine zweite Haut auf den Leib geschrieben. Die greise SED-Führungsriege wird mit Hohn und Spott überzogen. Der Silly-Song "Die alten Männer" war sensationell. Dass sich das jemand getraut hat! Werner Karma ist auch noch ganz begeistert.

    "Allein diese drei Wörter, die alten Männer, rauf zu kriegen auf die Platte, ins Radio zu kriegen, in den Propagandarundfunk der DDR, der nun nicht gerade auf sowas gewartet hat!"

    Werner-Karma-Songtexte sind zutiefst poetisch und direkt aus dem Leben gegriffen. Politisch riskiert er viel, hat aber auch gewisse Spielräume. Geboren 1952 in Ostberlin, ist er der Sohn eines antifaschistischen Widerstandskämpfers.

    "Das macht schon einen Unterschied, ob der Vater bei der SS war oder ob der Vater ein Widerstandskämpfer war, der in Straflagern gesessen hat. Und da haben sie mir nicht so misstraut, wie sie anderen Leuten misstraut haben. Deshalb haben sie mir vielleicht mehr durchgehen lassen in den Texten."

    Nach einem Studium der Philosophie an der Humboldt Universität Berlin schreibt Werner Karma zuerst beim Liedertheater Karls Enkel und später bei Silly unbequeme Songtexte. Wie kaum ein anderer konnte er die Lethargie einfangen, die zum Ende der DDR das gesamte Land erfasst.

    "Ich habe es noch live miterlebt bei meinen Eltern, wie begeistert die nach dem Krieg waren. Die haben die Schippe in die Hand genommen, und dann haben die gebuddelt, dann haben die den Friedrichshain aufgeschüttet. Dann haben die im Nationalen Aufbauwerk die Karl-Marx-Allee gebaut. Und dann haben die Marken geklebt, pro Aufbaustunde eine Mark. Die waren ganz begeistert, und dann haben die FDJ-Lieder gesungen, den Tierpark gebaut in Friedrichsfelde. Also da war eine große Aufbruchsstimmung unter den Menschen, nach diesem furchtbaren Krieg und endlich Frieden und zu essen, und 1980 war davon nichts mehr übrig. Also im Grunde war das Land wie eingefroren."

    Dass er mit seinen Songtexten aktiv am Untergang der DDR beteiligt gewesen sein soll, bezweifelt Werner Karma.

    "Also was man in Zeitungen manchmal so liest, der Soundtrack zur Wende, das ist alles Quatsch. Aber wir sind wache Künstler gewesen und haben versucht, diese Starre aufzubrechen und immer wieder Zweifel anzumelden, um ein bisschen Leben in die Bude zu kriegen, die Leute zum Dialog zu kriegen, auch die Funktionäre, die waren nur noch am Zurückweichen."

    Die Mühe ist umsonst. Rockmusiker sind es, die im Herbst 1989 in einer eigenen Resolution Veränderungen in der DDR einfordern. Unter den Erstunterzeichnern, die Gruppe Silly.